BILANZ: Herr Pieper, ein Gedankenspiel. Angenommen, Sie sind Bundespräsident: Was würden Sie an der Schweiz ändern?

Michael Pieper: Ich würde nur wenig ändern. Der Schweiz geht es doch seit langer Zeit gut, und dies dank ihrer bisher eingeschlagenen Politik.

Sie bringen mich aus dem Konzept. Unternehmer stimmen doch sonst gerne Klagelieder an, beispielsweise über die hohen Steuern.

Gerade mit der Steuersituation bin ich zufrieden. Wir haben eines der besten Steuersysteme Europas. Einzig die Doppelbesteuerung ist ein Unding. Aber sonst kann man weder unser Steuersystem noch die Höhe der Abgaben kritisieren. Insbesondere Unternehmen profitieren von der milden Besteuerung. Einige unserer ausländischen Konkurrenten liefern von ihrem Gewinn 40 bis 55 Prozent an den Staat ab, wir bezahlen die Hälfte. Im internationalen Konkurrenzkampf ist das für uns ein gewaltiger Vorteil.

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Nicht zuletzt unsere tiefen Unternehmenssteuern sind der EU ein Dorn im Auge. Wie soll sich die Schweiz im Steuerstreit verhalten?

Wir sollten, nein, wir müssen uns gegenüber der EU unbeugsam zeigen und nicht zulassen, dass unsere Steuern mit den Sätzen der EU nivelliert werden. Ich kenne die Verhältnisse in den meisten EU-Ländern sehr gut. Und gerade in steuerlichen Belangen beneiden uns alle um unser System. Dies fängt bei den Einkommenssteuern an, geht über zu den Unternehmenssteuern und kulminiert bei den Erbschaftssteuern. Als Unternehmer darf man heute in vielen Ländern gar nicht mehr sterben, ohne den Fortbestand der Firma zu gefährden. Wir müssen an unserem System festhalten, ja dieses noch weiter optimieren.

Solche Worte hören unsere deutschen Nachbarn nicht gerne.

Die Deutschen müssen ihr Steuersystem ändern – nicht wir das unsrige. Speziell bei der Erbschaftssteuer. Es ist doch unglaublich: Da arbeitet ein Patron jahrzehntelang hart am Aufbau einer Firma. Dann stirbt er, und seine Nachkommen sind dazu gezwungen, über Notverkäufe innerhalb von 30 Tagen Bares aufzutreiben, nur damit sie die Erbschaftssteuer zahlen können. Da wird fast schon mutwillig die eigene Wirtschaftskraft geschwächt.

Und wir schwächen unsere EU-Tauglichkeit. Kann es sich die Schweiz erlauben, ausserhalb der EU zu bleiben?

Mit Sicherheit.

Sagen Sie das als Unternehmer oder …

… als Schweizer Bürger und als Unternehmer. Ein EU-Beitritt oder ein Nachgeben im Steuerstreit würde uns in die Mittelmässigkeit zwingen, und zwar auf jeder Ebene, also bei der Gesetzgebung, den Steuern, den Arbeitszeiten und vielem mehr. Ein Beitritt wäre eine Katastrophe, die Schweiz würde die meisten ihrer Vorteile im Wettbewerb einbüssen. Unser Land verfügt über viele Stärken. Die sollten wir behalten und weiter ausbauen.

Welches sind denn die Stärken?

Die grösste Stärke ist die politische und wirtschaftliche Stabilität. Weitere Pluspunkte sind, wenn ich das von der Warte des Unternehmers aus betrachte, die zentrale Lage in Europa, ein effizientes Transportwesen, der hohe Ausbildungsstandard und ein gutes Niveau des Dienstleistungswesens. Dazu kommt die attraktive Steuersituation.

Und die Schwächen?

Schwächen kann ich kaum ausmachen. Wie gesagt, haben wir zwar sehr gut ausgebildete Leute. Doch ich stelle zunehmend eine gewisse Saturiertheit fest: Man gibt sich zu schnell zufrieden mit dem Erreichten. Es macht sich Mittelmässigkeit breit, der Erfolgshunger nimmt ab. Und das ist für die Entwicklung eines Landes sehr schlecht. Anderseits hat die Schweiz schon oft bewiesen, dass sie sich sehr rasch anpassen kann. Also diesbezüglich mache ich mir keine Sorgen.

Über was machen Sie sich dann Sorgen? Über die Finanzkrise?

Das Finanz- und Bankensystem steckt fraglos in einer schwierigen Phase. Aber die Finanzkrise tut uns gut. Das ist wie ein reinigendes Gewitter, wir kommen wieder zurück zur Normalität. Die übertriebenen Saläre speziell im Bankwesen und die aufgeblähten Finanzgeschäfte werden auf ein vernünftiges Mass zurückgefahren. Zudem müssen sich die Bankiers neu orientieren; nun denken sie wieder an ihre Kunden und nicht zuerst an sich selbst.

Das müssen Sie erklären.

Viele Bankiers haben den Boden unter den Füssen verloren, sie wollten nur noch riskante, undurchsichtige Finanzgeschäfte abwickeln. Das einstige Basisgeschäft dagegen wurde völlig vernachlässigt. Heimische Unternehmen wurden nicht mehr mit jener Sorgfalt bedient, die wir uns gewohnt waren. Dabei ist unser Bankensystem nicht zuletzt gerade wegen der Industriefirmen so stark gewachsen. Ja, nicht wenige Industrielle haben gar selbst Banken gegründet. Ich denke zum Beispiel an die Bank in Winterthur, die Bank im Toggenburg sowie die Bank im Aargau, aus denen die Bankgesellschaft entstanden ist.
Wenn wir heute auf den Philippinen, in Indien oder in Südafrika ein Werk errichten wollen, winken Schweizer Banken ab. Andere Institute wie eine Deutsche Bank, HSBC oder BNP dagegen reissen sich um solche Geschäfte. Sie haben vor Ort Spezialisten, die für uns Pläne machen und die Finanzierung auf die Beine stellen. Zu denken geben sollte, dass Schweizer Grossbanken einst genau bei solchen Dienstleistungen führend waren.

Und heute?

Heute steht ihnen der Sinn nur noch nach Wealth Management und Investment Banking. Die Banken interessieren sich bei mir nur für eines: «Herr Pieper, haben Sie denn kein Geld, das wir für Sie verwalten können?» Und ich antworte: «Nein, denn mein Geld ist im Betrieb investiert. Und dort benötige ich eure Dienstleistung.» Nur sind die daran nicht interessiert. Auch beim Investment Banking brauchen wir keine Beratung. Wenn wir etwas kaufen, wissen wir, was wir wollen. Wir als Mittelständler benötigen weder Wealth noch Insitutional Management oder Investment Banking. Deshalb bin ich froh, dass es zu einem reinigenden Gewitter kommt. Es wird grosse Restrukturierungen geben. Dabei stehen wir erst am Anfang dieses Prozesses. Doch die Neuausrichtung der Bankbranche ist sehr positiv für die Schweizer Wirtschaft.

Müssen die Banken auch bei der Ausrichtung ihrer Geschäftsfelder umdenken?

Seit einigen Monaten drängen unsere Banken wieder ins Basisgeschäft zurück. Nun kommen sie bei uns vorbei und bieten genau jene Dienstleistungen an, von denen sie so lange nichts mehr wissen wollten. Und dies zu Konditionen, die international konkurrenzfähig sind.

Wie stark wird sich die Finanzkrise in der Wirtschaft niederschlagen?

Die Krise wird klar negative Auswirkungen auf die reale Wirtschaft haben. Wir erleben das gegenwärtig in Amerika. Dort verzeichnet Franke im Bereich Haushaltsküchen starke Rückschläge. Speziell in den USA ist die Kreditkrise noch lange nicht ausgestanden. Zumal nun weitere Kreditprobleme an die Oberfläche gespült werden: die Verschuldung bei Kreditkarten, Autos und anderem. Amerika steckt tief im Schlamassel, und das wird die Wirtschaft immer mehr belasten. Das Problem schwappt auch zunehmend auf Europa über. Ich rechne damit, dass sich europaweit über die nächsten 12 bis 18 Monate die Konjunktur deutlich abkühlt. Einige Länder wie Spanien oder Grossbritannien geraten sogar in eine Rezession. Bei Franke bereiten wir uns gegenwärtig auf die zu erwartenden Auswirkungen vor.

Welche Massnahmen werden ergriffen?

Die Zahlen für das laufende Geschäftsjahr sehen bislang nicht einmal so schlecht aus: Per Ende Juli verzeichneten wir einen Umsatzzuwachs von 6,2 Prozent, das organische Wachstum belief sich auf 2,1 Prozent, ertragsmässig liegen wir im Rahmen des Vorjahres. In einigen Bereichen verzeichnet Franke zweistellige Wachstumsraten, in anderen Sektoren sind die Umsätze dagegen rückläufig. Auf die Nachfrageentwicklung abgestellt, müssen wir uns für härtere Zeiten wappnen. Gegenwärtig passen wir unsere Kostenstruktur an. Wir haben gerade in Spanien ein zweites Werk geschlossen, in verschiedenen Ländern laufen Restrukturierungen, bis Ende Jahr werden gegen 1000 Stellen abgebaut. Wir sind vorbereitet auf eine mögliche Rezession.

Wie stark wird die Schweiz von der Konjunkturabkühlung
getroffen?

Unsere Wirtschaft wird sich ebenfalls spürbar abkühlen, eine Rezession erwarte ich jedoch nicht.

Sonderfall Schweiz?

Wir profitieren tatsächlich von Sonderfaktoren. Nicht zuletzt wird unsere Wirtschaft gestützt durch den starken Zuzug ausländischer Konzerne, die aus steuerlichen Gründen einige Aktivitäten oder gleich ihren Hauptsitz in die Schweiz verlegen. Diese investieren massiv in unserem Land, sorgen für zusätzliche Steuereinnahmen, schaffen neue Arbeitsplätze und stützen so unsere Wirtschaft.

Beruht Ihre Konjunkturprognose primär auf dem Bestellungseingang von Franke?

Nicht nur. Ein weiteres Alarmzeichen sind unsere Debitorenverluste. Diese waren über die letzten Jahre sehr gering. In den letzten Monaten jedoch sind sie in Italien, Frankreich, Spanien, Grossbritannien und den USA sprunghaft gestiegen. Auch die Zunahme von Diebstählen in unseren Werken sind für mich ein Warnzeichen. Praktisch alle zwei Wochen wird uns ein schwerer Einbruch gemeldet. Anderseits hat die konjunkturelle Abkühlung auch ihre guten Seiten.

Was soll denn daran gut sein?

Der Wirtschaftsboom hat uns dazu verleitet, bei allem zu übertreiben. Der Staat und die Unternehmen gaben das Geld mit vollen Händen aus, der Konsument hat sich so ziemlich jeden Wunsch erfüllt. Und kaum jemand fragte sich: Ist diese Ausgabe tatsächlich nötig, oder soll ich noch zuwarten? Nun zwingt uns die Situation wieder auf den Boden der Realität zurück.

Nur haben Sie das Geld ebenso mit vollen Händen ausgegeben und als Privatinvestor gewichtige Industriebeteiligungen erworben, zuletzt 6,7 Prozent an Rieter. Was haben Sie mit Rieter vor?

Konkrete Pläne existieren nicht. Mir gefällt die Firma. Das Unternehmen ist bestens finanziert, hat einen Superbrand, ist in Teilgebieten Weltmarktführer, verfügt über ein gutes Management. Allerdings steckt Rieter konjunkturbedingt in einer schwierigen Situation. Als der Aktienkurs fiel, griff ich zu.

Also eine reine Finanzbeteiligung?

Für mich ist Rieter eine Finanzbeteiligung, die ich unter langfristigen Gesichtspunkten erworben habe. Ich hoffe, meine Beteiligungen an die nächste Generation weitergeben zu können. Von meinen Investments habe ich jeweils einige Aktien meinen Kindern gegeben, damit diese lernen, wie man sich um die eigenen Anlagen kümmert. Schon mein Vater hat mir, als ich noch ein Bub war, Aktien von Nestlé, Royal Dutch oder Heineken gegeben. Die jährlichen Dividenden musste ich weiter investieren und damit mein Taschengeld selbst finanzieren. So habe ich gelernt zu disponieren.

Zurück zur Schweiz. Wie sieht unser Land in zehn Jahren aus?

Wir müssen mehr investieren in Infrastrukturprojekte, uns vermehrt kümmern um Alternativenergien. Auch wird sich eine Verschiebung zu Hightech und wertschöpfungsintensiven Gütern akzentuieren, und der Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen nimmt an Schärfe zu. Doch sonst wird die Schweiz in zehn Jahren kaum viel anders aussehen als heute. Und das ist gut so. Wenn ich die Schweiz mit europäischen Ländern vergleiche, stelle ich immer wieder fest: Uns geht es rundum gut. Ich kenne einige ausländische Unternehmer, die in der Schweiz leben. Die sind hier rundum glücklich und ärgern sich höchstens darüber, dass sie nicht schon vor 20 Jahren in unser Land gekommen sind. Als Schweizer vergessen wir zu schnell: Wir leben in einem Paradies.

Nach dem Wirtschaftsstudium arbeitete Michael Pieper in Amerika als Investment Banker. 1989 übernahm er vom Vater die Führungsverantwortung von Franke in Aarburg. Der Weltmarktführer bei Küchensystemen erwirtschaftete 2007 mit 10 728 Mitarbeitern einen Umsatz von 3021 Millionen Franken. Der 62-Jährige ist verheiratet, hat zwei Kinder und wohnt in Hergiswil. In der BILANZ-Liste der 300 Reichsten wird er mit einem Vermögen von 3 bis 4 Milliarden geführt.