BILANZ: Frau Kaltenborn, Sie waren kürzlich am Formel-1-Grand-Prix in Belgien dabei. Wie war es?
Monisha Kaltenborn:
Ein unglaubliches Auf und Ab. Am Freitag waren wir zuversichtlich, ein gutes Ergebnis fahren zu können. Das Qualifying am Samstag war dann niederschmetternd. Ich habe mir aber gesagt, dass nun alles nur besser werden kann. Und so kam es zum Glück auch.

Nimmt es Sie stark her, wenn Sie an den Boxen stehen und es nicht nach Wunsch läuft?
Klar, wenn man da mittendrin steht, ist man emotional auch voll dabei. Ich lass mir aber kaum je etwas anmerken. Nach dem schlechten Qualifying in Belgien allerdings habe ich meinen Missmut auch nicht mehr versteckt.

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Sie haben geschimpft?
Ganz im Gegenteil, ich habe kein Wort mehr gesagt.

Wie können Sie in einer solchen Situation ruhig sein?
Das ist eine meiner Stärken. Es kommt ganz selten vor, dass ich nervös oder laut werde.

Sie haben sich den sechsten Rang als Saisonziel gesetzt und liegen nun auf Rang acht. Ist Rang sechs noch realistisch?
Der sechste Rang wird schwierig, aber der siebte Platz müsste zu schaffen sein.

Sind Sie selbst schon einmal in einem solchen Boliden gefahren?
Nein, ich muss das nicht haben. Was ich mache: Ich schreite vor einem Rennen jeweils die Strecke zu Fuss ab. Die Fahrbahn mit eigenen Augen zu sehen, ist eindrücklich.

Die Sauber-Chefin läuft in Turnschuhen die Strecke ab?
Ja. Den Fehler, eine Rennstrecke mit Sandalen abzulaufen, habe ich nur einmal gemacht. Die waren nicht geeignet für einen Fünf-Kilometer-Marsch.

Begleitet Ihre Familie Sie jeweils zu den Rennen?
Nein, die Kinder sind acht und fünf und damit einfach noch zu klein. Der Lärmpegel ist enorm hoch an diesen Rennen. Mein Sohn hat mir nun aber das Versprechen abgerungen, dass er nächstes Jahr einmal mitdarf.

Finden Ihre Kinder das toll, was Sie machen?
Es geht. Sie mögen es nicht sehr, dass ich so oft weg bin.

Will der Sohn Rennfahrer werden?
Er hat das noch nie geäussert, aber die Tochter hat es vor kurzem einmal gesagt.

Gutes Stichwort. Warum gibt es in der Formel  1 keine Rennfahrerinnen?
Wir haben uns im internationalen Automobil-Dachverband FIA genau die gleiche Frage gestellt und sind zu keiner Erklärung gekommen.

Sie selber sind als Frau eine Exotin in einer Männerdomäne und werden häufig darauf angesprochen. Stört Sie das?
Nein. Es entspricht nun mal den Tatsachen, dass es im Motorsport wenige Frauen gibt, zumindest in Führungsfunktionen. Ich bin aber überzeugt, dass viele Dinge anders gesehen würden, wenn mehr Frauen in der Runde sässen.

Inwiefern?
Ich behaupte, als Frau habe ich eine grössere emotionale Distanz zum Motorsport als Männer und gehe die Dinge darum pragmatischer an als sie. Als Frau habe ich einen Sinn dafür, was finanziell und personell möglich ist. Wir sind ein technikgetriebenes Unternehmen mit vielen technikbegeisterten Mitarbeitern und führen intensive und aufwendige Diskussionen. Am Schluss kommen wir zu einem Ergebnis, das wir viel früher hätten erreichen können.

Als Chefin könnten Sie ja einfach auf den Tisch hauen.
Das könnte ich, das ist aber hier nicht üblich, und es ist auch nicht meine Art.

Sie haben die operative Verantwortung in einer turbulenten Zeit übernommen. Wie lange haben Sie sich überlegt, den Job anzunehmen?
Nicht lange. Wir wurden von der Ankündigung des Ausstiegs von BMW vor gut einem Jahr komplett überrascht und mussten innerhalb von kurzer Zeit existenzielle Entscheide fällen: Was passiert mit dem Standort Hinwil? Wem gehört das Team? Wer finanziert es? In jener Phase ist Peter Sauber zu mir gekommen und hat mir den Job angeboten. Ich habe sofort Ja gesagt.

Als Gründer, Eigentümer, Verwaltungsratspräsident und Teamchef ist Peter Sauber die prägende Figur im Unternehmen. Wie stark ist Ihre Stellung neben ihm?
Abgesehen von den Rennen liegt die gesamte operative Verantwortung bei mir.

Und er mischt sich nicht ein?
Nein. Aber man muss auch sehen, dass wir schon so lange zusammenarbeiten, dass es keine Konfliktpotenziale mehr gibt.

Peter Sauber hat eine Leidenschaft für die Formel  1. Sie auch?
Meine Leidenschaft gilt nicht der Formel  1, sondern dem Standort hier in Hinwil.

Ist er gesichert?
Wir haben ein gutes Stück hinter uns, aber wir sind noch mitten im Wandel vom Werksteam mit vielen Ressourcen hin zum kleineren Privatteam mit begrenzten Mitteln. Nach dem Ausstieg von BMW mussten wir die ganzen Abläufe wieder auf tieferem Niveau zum Funktionieren bringen. Zu BMW-Zeiten hatten wir 430 Mitarbeiter, jetzt sind es 270. Diese Saison hat Peter Sauber gesichert, nun müssen wir schauen, dass wir die Zukunft sichern können.

Das geht nur mit Sponsoren. Wie verläuft die Suche?
Zu Certina und Emil Frey haben wir traditionell gute Beziehungen und waren froh, dass wir uns nach dem Ausstieg von BMW auf sie stützen konnten. Für die Suche nach weiteren Sponsoren mussten wir von null anfangen, denn wir hatten hier ja nicht mal mehr eine Marketingabteilung, das ist alles von BMW in München gemacht worden. Inzwischen sind wir aber wieder voll im Geschäft – auch bei der Sponsorensuche.

Worauf kommt es bei der Suche nach Sponsoren an?
Auf die Performance. Man kann noch so schön präsentieren, wenn die Rennresultate nicht stimmen, ist es schwierig.

Sauber war in dieser Saison schlecht.
Das stimmt. Aber nun, da sich die Performance bessert, sind wir wieder im Rennen und zuversichtlich, dass wir das Budget langfristig sichern können.

UBS-Chef Oswald Grübel ist ein Freund des Hauses. Haben Sie Verständnis dafür, dass die UBS nun als Sponsor der ganzen Formel  1 einsteigt und nicht bei Ihrem Team?
Ich kenne die Strategie der UBS nicht und kann daher auch nicht viel dazu sagen. Wenn man die ganze Serie sponsert, hat man einen sicheren Wert und hängt nicht an einem Team mit wechselnden Erfolgen.

Warum sind andere internationale Schweizer Unternehmen wie Nestlé, Roche oder Novartis nicht für ein Formel-1-Sponsoring zu gewinnen?
Wir haben es immer wieder bei ihnen versucht, leider ohne Erfolg. Über die Gründe kann ich nur spekulieren. Vielleicht hängt es einfach mit dem Image der Formel  1 zusammen, das nur schwer mit dem grünen Trend zu vereinbaren ist. Zudem hat die Formel  1 in den letzten Jahren unter Auseinandersetzungen und Skandalen gelitten. Da fragen sich die Unternehmen, ob sie damit assoziiert werden wollen.

Welches ist Ihr Trumpf, wenn Sie auf Sponsorensuche sind?
Das sind unsere Geschichte und unsere Kontinuität. Sauber steht für Stabilität, nicht für Skandale.

Das scheint nicht zu reichen. Mindestens ein grosser Name fehlt noch immer auf den Autos.
Wir sind in einigen Gesprächen sehr weit fortgeschritten. Sie werden noch vor Beginn der nächsten Saison von uns hören.

Sauber hat zudem eine klandestine Sponsorenorganisation, genannt Club One. Diese Sponsoren sind anonym.
Die Idee dieses Clubs ist es, Unternehmen und Personen als Mitglieder zu gewinnen, die keinen Wert auf Publizität und Visibilität im Zusammenhang mit Formel  1 legen, die aber dennoch die Plattform mit ihren vielen Möglichkeiten nutzen wollen. Sie entscheiden selber, ob sie öffentlich genannt werden oder nicht.

Was läuft besser, das klassische Sponsoring oder der Club One?
Der Club One kommt sehr gut an.

Wie hoch ist die Eintrittssumme? Wären wir mit 1000 Franken dabei?
Über Geld sprechen wir beim Club One nicht. Aber 1000 Franken wären sicher zu wenig.

Kann man mit einem Rennstall überhaupt Geld verdienen?
Geld verdienen ja, reich werden nein. Um ein Team weiterzubringen, braucht es laufend hohe Investitionen. Wer nicht investiert, wird vielleicht reich, fährt aber bald nicht mehr vorne mit.

Wie kalkuliert man die Kosten in der Formel  1, wenn man weiss, dass es jederzeit einen Totalschaden geben kann?
Das geschieht mehr oder weniger auf der Basis von Erfahrungswerten. Man weiss, welche Rennstrecken welche Gefahren bergen. Auch das Temperament der Fahrer wird einberechnet.

Was halten Sie von Michael Schumacher und seiner zuletzt rüpelhaften Fahrweise?
Es ist schon ein etwas befremdendes Vorgehen. Aber von aussen ist es schwierig abzuschätzen, was in ihm vorgeht. Wir sehen ja auch nicht alles, was passiert.

Würden Sie einem Ihrer Fahrer die Leviten lesen, wenn er sich auf der Strecke so verhalten würde?
Ich würde ihm klar sagen, dass das nicht geht. Ein Fahrer ist ein Imageträger für den Rennstall. Zudem ist die Formel  1 für uns ein Teamsport. Fairness ist ein wichtiger Faktor.

Kommen die Fahrer manchmal hierher nach Hinwil?
Pedro de la Rosa wohnt in Zürich und kommt oft hierher. Kamui Kobayashi ist zwischen den Rennen jeweils auch einmal hier. Sie geben unseren Ingenieuren wertvolles Feedback.

Wissen Sie überhaupt, was die Männer tun und lassen, wenn sie keine Rennen fahren?
Das muss ich nicht. Ich muss nur sicherstellen, dass sie an den Rennen funktionieren.

Und wie machen Sie das?
Die Fitness ist zentral in dem Sport. Die Fahrer durchlaufen ein Programm, das vom Essen bis zum Körpertraining alles regelt. Sie müssen regelmässig ihre Daten abliefern. Wenn man sich vor einem Training trifft, wird geschaut, wo sie stehen. Wenn sie nicht dort sind, wo sie sollten, gibt es zusätzliche Programme. Je fitter ein Fahrer ist, desto eher kann er sich auf die anderen Situationen konzentrieren, mit denen er konfrontiert ist.

 

Monisha Kaltenborn (39) ist Chefin im Haus, seit Peter Sauber Ende November 2009 sein Sauber-F1-Team von BMW wieder zurückgekauft hat. Sie kennt Sauber, seit sie 1998 für die Kaiser Gruppe, eine Teilhaberin am Sauber-Team, zu arbeiten anfing. Als Kaiser die Anteile verkaufte, zog Kaltenborn, die an der Uni Wien Recht studierte und an der London School of Economics einen Master of Law absolvierte, als Chefin der Rechtsabteilung nach Hinwil im Zürcher Oberland. Die gebürtige Inderin wuchs in Österreich auf, ist mit einem Deutschen verheiratet und Mutter zweier Kinder.

Iris Kuhn Spogat
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