BILANZ: Wie viel geben Sie aus für Strom?
Peter Spuhler: Privat oder in der Firma?

Bei Stadler Rail.
Der Jahresbedarf unserer Division Schweiz kostete letztes Jahr 2,5 Millionen Franken.

Sehen Sie Sparpotenzial?
Es ist ein permanenter Auftrag ans Management, Kosten und somit den Stromverbrauch zu senken.

Es gibt Vorschläge in der Energiepolitik: AKW abschalten.
Trotz dem schrecklichen Unfall in Japan darf man nicht voreilig Schlüsse ziehen, auch im Wahljahr. Tatsache ist, dass wir knapp 40 Prozent unseres Stroms aus Kernkraftwerken beziehen.

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Ist ein Ausstieg machbar?
Will man aussteigen, müssen Fragen der Übertragung, der Speicherfähigkeit, des Strompreises exakt geklärt werden. Die Abhängigkeit vom Ausland sollte dabei sicher nicht erhöht werden. Es macht keinen Sinn, hierzulande aus der Atomenergie auszusteigen und sie von benachbarten Staaten zu beziehen.

Mit anderen Worten: Sie sind skeptisch.
Wenn es sinnvolle Alternativen gibt, bin ich der Letzte, der dazu Nein sagen würde. Nur sehe ich diese kurzfristig nicht.

Sie meinen in den nächsten 10 bis 15 Jahren?
Ja. Ich glaube sogar, dass wir in naher Zukunft neue AKW brauchen, als Ersatz für jene, die in die Jahre gekommen sind. Was die Deutschen machen, ist Augenwischerei: Man stellt ab und holt den Atomstrom in Frankreich. In Österreich wird Zwentendorf gebaut, geht nicht ans Netz, und dann wird Atomstrom aus Tschechien bezogen. Das ist keine ehrliche Politik. Leider läuft die Diskussion hier in eine ähnliche Richtung.

Inwiefern?
Wenn man die Grimsel-Staumauer erhöhen will, gehen genau jene Kreise auf die Barrikaden, welche die AKW lieber heute als morgen abschalten wollen. Dabei könnte man mit einer erhöhten Staumauer ein halbes Kernkraftwerk einsparen. Und wenn im Jura Windkraftwerke aufgestellt werden, protestiert der Landschaftsschutz wegen der vielen Hochspannungsleitungen, die gebaut werden müssten.

Auch Ihre Partner CVP und FDP reden vom Ausstieg.
Populismus. Wir haben ein Wahljahr.

Was schlagen Sie vor?
Man muss den GAU in Japan genau analysieren. Ich staune schon, dass bei der Zufuhr der elektrischen Energie keine Redundanz existierte. Es gab nur eine einzige Stromzufuhr für das Kühlsystem. In jeder Risikotechnologie, beim Fliegen oder bei einer Zahnradbahn, wie wir sie bauen, gibt es eine mehrfache Redundanz. Wenn ein Bremssystem der Zahnradbahn ausfällt, gibt es weitere Bremssysteme. Bei einem AKW aber soll es nur eine einzige Stromzufuhr geben? Und das Notstromaggregat als Rückfallposition lieferte gerade mal vier Stunden lang Leistung! Das in einem aktiven Erdbeben- und Tsunami-Gebiet.

Ihre Partei verbindet die AKW-Diskussion mit den Ausländern. Auch Populismus im Wahljahr?
Ich war immer für die bilateralen Verträge I mit der EU, speziell für die Personenfreizügigkeit, auch für die Osterweiterung vor zwei Jahren. Dennoch stellt sich die Frage: Schaffen wir die Zuwanderung in die Schweiz, wenn der Trend anhält? Anders gefragt: Ist dieses Land für zehn Millionen Einwohner gebaut?

Ihre Antwort?
Jetzt sind wir bei knapp acht Millionen – und ich sehe wachsende Probleme. Wir müssen aufpassen, dass das System nicht kollabiert.

Sie meinen im Immobilienmarkt, der in gewissen Regionen überhitzt ist?
Nicht nur. Nehmen Sie den Strassenverkehr oder den öffentlichen Verkehr: Wer heute in der ersten Klasse von Zürich nach Bern fährt, findet unter Umständen keinen Sitzplatz. Dasselbe im Strassenverkehr: Rund um Zürich oder in anderen Agglomerationen steht man morgens und abends im Stau. Noch eine Million Menschen mehr, und es wird eng in der Schweiz.

Was schlagen Sie vor?
Die Diskussion um die Einwanderung muss geführt werden. Wenn man diese will, muss man die entsprechenden Investitionen bereitstellen. In Zürich gibt es jetzt zwei, drei Hochhäuser. Der Dienstleistungsbereich braucht zur Entlastung der Wohnzonen in der Innenstadt vielleicht 20 Hochhäuser. Auch beim öffentlichen Verkehr muss deutlich mehr investiert werden, um die Nachfrage zu bewältigen, ebenso beim Privatverkehr: Da muss die Autobahn Zürich–Bern durchgehend dreispurig sein. Ob die Bürger und die Politik dies wollen, wird man sehen. Ich bin skeptisch.

Was lief falsch?
Man hätte bei der Ventilklausel, wie sie im Freizügigkeitsabkommen mit der EU vorgesehen war, eine längere Frist oder sogar eine Kontingentierung einbauen sollen. Dieser Zug ist abgefahren. Eine Kündigung des bilateralen Pakets I kommt für mich unter keinen Umständen in Frage. Vielleicht gelingt es uns in Nachverhandlungen, eine Art Ventil oder eine Kontingentierung einzubauen. Wir haben ein Argument: die grösste Bevölkerungsdichte Europas. Nur: Gratis werden wir diese Zugeständnisse von der EU nicht kriegen.

Vielleicht lässt sich das Problem auch vom Angebot her steuern: Der Strom müsste teurer werden.
Ein höherer Strompreis schadet der Konkurrenzfähigkeit der Exportindustrie und von Stadler Rail. Was zu einer Verlagerung ins Ausland führen könnte.

Ihr Geschäft läuft doch wie geschmiert. 1,5 Milliarden Umsatz dieses Jahr, 1,8 Milliarden im nächsten Jahr. Korrekt?
Ja, 2012 geht es sogar eher Richtung zwei Milliarden. Die Nachfrage nach öffentlichem Verkehr wächst. Der braucht übrigens auch Strom.

Sie sind bei 3500 Beschäftigten. Woher kommt das Wachstum von Stadler Rail?
Deutschland läuft sehr gut, da haben wir eine Verdoppelung des Umsatzes, auch in Skandinavien sind wir sehr gut unterwegs, in Norwegen liefern wir jetzt 50 Züge aus, dasselbe bei den S-Bahn-Zügen in Helsinki. An beiden Orten werden Optionen eingelöst. Dann haben wir in Italien in den letzten vier Jahren über 100 Züge verkauft. Auch in Zentral- und Osteuropa sind wir sehr gut unterwegs: Eben haben wir in Tschechien den ersten Auftrag gewonnen. Jetzt hoffen wir, wieder mal in der Slowakei zum Zug zu kommen. Demnächst bin ich beim Verkehrsminister.

Wo sehen Sie weitere Marktchancen?
Wir müssen regional stärker differenzieren und etwas von Europa wegkommen. So verändert sich auch unser Risikoprofil. Eben haben wir unseren Breitspur-«Flirt» nach Finnland, Estland und nach Weissrussland liefern können – und sind somit in den GUS-Staaten angekommen. Hier sehen wir grosses Potenzial.

In Übersee?
Nach der Niederlage beim Intercityverkehr in der Schweiz unbedingt. Wir machen in Indien mit ABB und einem indischen Partner an einer Ausschreibung mit. Dabei geht es um über 1000 Hochflurzüge. Acht Produzenten, darunter wir, sind präqualifiziert und werden zur Ausschreibung zugelassen. Vermutlich wird 2012 entschieden.

Sie wollen vermehrt ins Segment der Schnellzüge rein?
Richtig, in Österreich haben wir einem Privatkonsortium sieben Doppelstöcker verkauft, die für 200 Stundenkilometer zugelassen sind. In diesem Intercitysegment sehen wir für unsere Produktpalette gute Chancen.

Bei den doppelstöckigen SBB-Schnellzügen kamen Sie letztes Jahr nicht zum Handkuss. Ein Tiefschlag?
Im eigenen Land zu verlieren, tut weh. Das ist, wie wenn man beim Eishockey im eigenen Stadion die Meisterschaft vergeigt. Täte mir der Verlust eines derartigen Auftrages nicht mehr weh, müsste ich als Unternehmer sofort aufhören. Trotz dieser schmerzlichen Niederlage muss man nach vorne schauen, die Reihen schliessen und umso härter weiterkämpfen.

Es gibt Stimmen bei den SBB, die sagen: Nachdem Stadler Rail bei den Vorortszügen immer wieder zum Abschluss gekommen ist, sollten Sie sich jetzt mal zufriedengeben.
In der Schweiz haben wir uns eine starke Position erarbeitet. Vielleicht schwang tatsächlich eine gewisse Angst mit, wenn man die gesamte SBB-Flotte bald nur noch bei einem einzigen Hersteller bestellt. Nur: Sollte diese Haltung zu unserer Niederlage geführt haben, wäre das nicht im Einklang mit dem Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen. Dann hätten wir uns die fünf Millionen Franken für unser Angebot sparen können.

Sie sind international enorm konkurrenzfähig, trotz eines schwachen Euro. Dabei haben Sie vor den Folgen eines Euro unter 1.40 Franken gewarnt.
Der schwache Euro trifft uns stark. Zwei Drittel des Gesamtumsatzes werden bei Stadler in der Schweiz erwirtschaftet, davon gehen zwei Drittel in den Export. Die Schweizer Wertschöpfung liegt bei 80 Prozent. Bisher kamen bei der Wertschöpfung in der Schweiz 40 Prozent aus dem eigenen Betrieb, 40 Prozent haben wir bei Lieferanten in der Schweiz zugekauft, 20 Prozent stammen von Lieferanten aus dem Ausland. Jetzt versuchen wir, diesen Anteil auf 30 Prozent zu erhöhen.

Auf Kosten der Schweizer Zulieferindustrie?
Richtig. Durch unser Wachstum in den nächsten zwei Jahren können wir allerdings in absoluten Zahlen das Einkaufsvolumen halten.

Erhalten Sie genügend Support von der Schweizerischen Nationalbank (SNB)?
Ja. Die SNB hat gemacht, was man machen konnte. Die Zinsen sind auf einem absoluten Tiefpunkt. Bei den Deviseninterventionen hat man ja gesehen, was es bringt: nichts. Die Nationalbank wollte sich bei 1.40 Franken gegen den Euro stemmen und hat dafür 200 Milliarden eingesetzt. Mit dieser Strategie hat die SNB Schiffbruch erlitten.

Mission impossible?
Im Nachhinein ist man immer klüger. Ich glaube, die Politik kann der Euro-Schwäche nichts entgegenhalten. Die Schweiz hat keinen Einfluss, wenn die ganze Welt gegen den Euro wettet.

Soll man nun die SNB politisch an die Kandare nehmen?
Auf keinen Fall, ihre Unabhängigkeit muss erhalten bleiben. Es wäre falsch, wenn die Politik dreinreden würde.

Ihr Parteistratege Christoph Blocher ist anderer Meinung.
Die SVP ist eine Volkspartei, in der man in wichtigen Fragen auch mal eine andere Meinung vertreten kann. Die SNB muss bei ihrer Interventions- und Stabilitätspolitik unabhängig sein. Es ist übrigens nicht die Aufgabe der Nationalbank, Gewinn zu machen, sondern sie muss für Preisstabilität sorgen. Die Verluste sind reine Buchverluste.

Ist ein Rücktritt von SNB-Präsident Philipp Hildebrand kein Thema für Sie?
Das ist Sache des Bundesrates. Ich erwarte vom SNB-Präsidenten das Gleiche, wie er von der Politik erwartet – keine Einmischung, eine klare Gewaltenteilung. Aber in gewissen Bereichen hat er sich zu weit vorgewagt.

Sie meinen in der Too-big-to-fail-Debatte?
Zum Beispiel. Auch verglich er die Schweiz mit den Zuständen in Irland, das war daneben. Oder Schätzungen zur Arbeitslosigkeit, wenn die Interventionen der SNB ausgeblieben wären. Oder das 50-Rappen-Szenario beim Euro. Das sind ungeschickte Aussagen, die nur zur Verunsicherung beitragen. Nochmals: Die Rollenverteilung muss gewahrt sein. Wir müssen dafür sorgen, dass die SNB unabhängig ist, sie darf nicht die Politik instrumentalisieren, um irgendwelche Ziele durchzusetzen. Letzteres hat Hildebrand mehrmals versucht. Dadurch kam er zu Recht in den eidgenössischen Räten und in der Wirtschaft unter Druck.

Er will die Grossbanken an die Kandare nehmen.
Klar muss man nach der Finanzkrise reagieren. Aber dass wir als Schweizer vorpreschen und überregulieren wollen, ist falsch. Der Finanzplatz liefert knapp 20 Prozent zum Bruttoinlandprodukt. Dazu muss man Sorge tragen, sonst droht ein Wohlstandsverlust. Man muss ja nicht gleich den Vorreiter spielen und Teile unseres Finanzplatzes aus dem Land jagen. Das kann es nicht sein.

UBS-Chef Grübel droht mit Verlagerung ins Ausland. Ernsthaft?
Da müssen Sie Oswald Grübel fragen. Es ist klar, dass es zu Verlagerung kommen kann. Das haben wir bereits in den siebziger Jahren gesehen. Wir belasteten den Goldhandel zu lange mit der Warenumsatzsteuer – mit dem Effekt, dass der Goldhandel nach London abwanderte. Die Wirtschaft reagiert schnell auf Anreize und Behinderungen. Wenn wir überregulieren, wird ein Teil des Geschäfts nach Fernost verlegt, und damit Steuereinnahmen und Arbeitsplätze. Der Hauptsitz in der Schweiz genügt nicht.

Stadler Rail hat mittlerweile eine stattliche Grösse erreicht. Ist der Konzern noch patriarchalisch führbar?
Sicher, warum nicht? Aber kombiniert mit einem hochkarätigen, unabhängigen Verwaltungsrat, der mich und das operative Geschäft kontrolliert und fordert.

Müssten Sie nicht langsam Richtung Börse aufbrechen – auch um Zugang zu Kapital zu schaffen?
Nein, wir haben immer noch keine Börsenpläne. Ich habe jetzt bei meinem Rieter-Investment gesehen, was es heisst, börsenkotiert zu sein. Da wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Dafür bin ich zu sehr Unternehmer.

Geld für Investitionen brauchen Sie keines?
Wir haben praktisch kein Fremdkapital in der Firma. Investitionen bezahlen wir aus unserem starken Cashflow.

Die Rendite Ihres Konkurrenten Bombardier liegt bei 6,5 Prozent, bei Alstom sind es 7,5 Prozent. Stadler Rail liegt darüber.
Sehen Sie, genau diese Zahl vergesse ich immer.

Ihre Ebit-Marge wird auf über 10 Prozent geschätzt.
Schöne Gerüchte, die wir nicht kommentieren.

Sie sind bei Rieter als Grossaktionär eingestiegen. Ihr Ziel?
Wir haben eine intensive Zeit hinter uns: Zu Beginn tagten wir im Wochenrhythmus, die VR-Sitzungen begannen um sieben Uhr morgens. Da hat sich der gesamte Verwaltungsrat reingekniet. Jetzt haben wir ein Etappenziel erreicht, indem wir die Firma in zwei Teile splitten – einen Textilteil und einen Automobilteil. Weil wir gesehen haben, dass es zwischen beiden Teilen keine Synergien mehr gibt. Mit der Trennung können wir die beiden unabhängigen Teile strategisch weiterbringen und Wachstum generieren.

Was haben Sie mit dem Textilbereich von Rieter vor? Eine grosse Schweizer Textilmaschinenfabrik zusammenkaufen?
Das sehe ich gegenwärtig nicht. Heutzutage findet das grosse Wachstum in Indien und China statt. Da müssen wir mit unseren Produkten innovative Spitze sein, darauf konzentrieren wir uns. Eine lokale Produktion ist Voraussetzung, um die hohen Schutzzölle bei Importen zu umgehen. Allerdings müssen wir darauf aufpassen, dass wir denen nicht permanent Technologie zuführen und am Schluss von ihnen geschlagen werden. Diese Herausforderung hat die gesamte Branche im Westen.

Sie meinen, die Asiaten kupfern schamlos ab?
Ja, Europa müsste eine Gegenstrategie haben. Gewisse Länder in Asien funktionieren nach diesem Prinzip: Wenn sie eine Technologie haben wollen, bauen sie Schutzzölle ab. Wenn sie die Technologie haben, bauen sie die Schutzzölle wieder auf. Wir Europäer sind oft naiv. Bei den Schienenfahrzeugen ist es ähnlich: Nehmen Sie China. Da sind alle grossen Anbieter ...

... Siemens, Alstom, Bombardier ...
... in den Markt rein und haben topmoderne Technologie geliefert. Fünf Jahre später kommen topmoderne Züge aus der Gegenrichtung nach Europa gefahren und konkurrenzieren uns zu einem tieferen Preis und mit unserer eigenen Technologie. Im Westen wird oft nicht strategisch gedacht, man sieht nur den kurzfristigen Erfolg.

 

Das Multitalent: Der 52-jährige Peter Spuhler wuchs in Sevilla und Zürich auf. An der HSG in St. Gallen schloss er in Betriebswirtschaft ab. Nebenher spielte er 15 Jahre lang Eishockey (GC Zürich). Seit 1999 sitzt er für die SVP im Nationalrat. Spuhler ist Mehrheitsaktionär bei Stadler Rail und der Aebi-Schmidt-Gruppe und hält 19 Prozent am Industriekonzern Rieter. Er sitzt in diversen VR, darunter bei Walo Bertschinger. Im Militär war er Kommandant der Gebirgsgrenadiere.

 

Dirk Ruschmann
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