Nun rollen die besten Radprofis der Welt wieder quer durch die Schweiz. Auf ihrer Tour de Suisse haben sie in diesem Jahr die Westschweiz allerdings nur am Rande gestreift. Die Etappen führten dann vor allem durchs Mittelland, in die Ostschweiz, die Innerschweiz, und das Finale findet im Baselbiet statt.
Viele Anleger handeln beim Kauf von Schweizer Titeln ähnlich. Mit Ausnahme der grossen Standardwerte wie Nestlé, SGS oder Givaudan lassen sie die Westschweizer Aktien links liegen. Das zeigt eine Auswertung von über 30 Nebenwertefonds aus der Fondsplattform von Morningstar. Gemessen an den jeweils zehn grössten Positionen investieren die Fondsmanager nur vereinzelt in Nebenwerte westlich des Röstigrabens und mit Ausnahme von Interroll kaum in Tessiner Aktien. Ganz anders in der Ost- und der Innerschweiz. Da erfreuen sich Nebenwerte besonderer Beliebtheit. Der von Radsportsponsor Andy Rihs aufgebaute Hörgerätehersteller Sonova ist in jedem zweiten Nebenwertefonds zu finden. Sanitärhersteller Geberit ist gar bei 20 Fonds unter den zehn wichtigsten Positionen.

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Doch lässt sich daraus schliessen, dass einzelne Regionen in der Schweiz für Anleger besonders attraktiv sind? Erstmals hat BILANZ die kotierten Unternehmen, die im Gesamtindex SPI enthalten sind, nach sieben verschiedenen Regionen aufgeteilt und anhand von verschiedenen Kriterien analysiert. Bewertet wurden die durchschnittliche Marktkapitalisierung, das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) 2009 und 2010, das Kurs-Buch-Verhältnis (KBV) sowie die Dividendenrendite. Berücksichtigt wurde auch die Beurteilung der Corporate Governance, also von Unternehmensführung und Mitwirkungsrechten der Aktionäre, anhand des Ratings der Finanzfirma zCapital.

Unattraktive Südschweiz. Am besten abgeschnitten haben tatsächlich die Zentral- und die Ostschweiz. Bestätigt werden diese Ergebnisse zudem durch die Rendite, die Anleger in diesen Regionen in den letzten fünf Jahren und seit Jahresbeginn erzielen konnten. Wiederum liegen die Ost- und die Innerschweiz vorne, zusammen mit der Nordschweiz. Die wirtschaftliche Dynamik dürfte in diesen Regionen dafür sorgen, dass sie auch in Zukunft für Anleger nicht an Attraktivität einbüssen. So attestieren die Konjunkturforscher der BAK Basel Economics der Zentral- und der Nordostschweiz für das laufende Jahr das grösste Wachstumspotenzial.

Natürlich darf dieses Ergebnis nicht für alle Firmen pauschalisiert werden. Schliesslich würde kein Anleger Nestlé meiden, nur weil der Nahrungsmittelkonzern in der Westschweiz beheimatet ist. Oder nehmen wir den Genfer Elektronikkonzern LEM, der in den letzten fünf Jahren eine Rendite von 36,6 Prozent pro Jahr erzielt hat, was von keinem anderen Schweizer Unternehmen erreicht wurde. Überhaupt fällt die Konjunkturprognose für die Region Genfersee recht günstig aus.

Die Auswertung der Kennzahlen zeigt aber doch, dass die Westschweiz insgesamt und insbesondere die Südschweiz mit dem Wallis und dem Tessin für Anleger weniger attraktiv sind als andere Regionen. Für Gregor Greber, Mitautor der Corporate-Governance-Studie von zCapital und Manager eines Nebenwertefonds, hängt die geringere Attraktivität der Westschweiz damit zusammen, dass dort der Umgang mit den Aktionären weniger gepflegt werde. «In der Deutschschweiz ist die Kommunikation offener», stellt Greber anhand seines Ratings fest. Nebenwerte-Investor Franz Gyger vermisst in der Romandie oft die Ernsthaftigkeit gegenüber den Aktionären. So würden Kleinanleger immer wieder durch herbe Verluste und turbulente Ereignisse aufgeschreckt. Kürzlich etwa bei der Plakatierungsgesellschaft Affichage, wo die Generalversammlung dem CEO die Entlastung verweigert hat. Oder jüngst bei der Spitalgruppe Genolier, wo nun eine Aktionärsgruppe einen Führungswechsel durchgesetzt hat.

Verkannte Perlen. Thomas Brun, Nebenwertespezialist der Lienhardt & Partner Privatbank Zürich, macht ähnliche Erfahrungen. Die Entwicklung des Aktienkurses und die proaktive Information der Anleger stünden bei Westschweizer Firmen eher im Hintergrund. Wer sich aber bemühe, finde durchaus offene Türen. Wenn Aktien von mittleren und kleineren Firmen aus der lateinischen Schweiz in den Nebenwertefonds untervertreten sind, so dürften dafür einerseits sprachliche Gründe die Ursache sein, vermutet Brun. Andererseits beurteilten viele Fondsmanager und Analysten die Aktien nur anhand von Kennzahlen, ohne die Firmen überhaupt zu kennen.

Dabei finden sich auch in der West- und der Südschweiz durchaus attraktive Firmen. So etwa die Beteiligungsgesellschaft Pargesa, deren Vermögen an der Börse bloss zu 70 Prozent bewertet wird und die eine Dividendenrendite von 3,5 Prozent abwirft. Auch die Vaudoise-Versicherungen und Bobst, der Produzent von Verpackungsmaschinen, sind günstig bewertet. Derweil sticht in der Südschweiz vor allem Newave Energy hervor, Spezialistin für unterbrechungsfreie Stromübertragung. Verglichen mit dem Preis, den ABB derzeit für die Übernahme eines Unternehmens aus der gleichen Branche bietet, müsste Newave an der Börse doppelt so hoch gehandelt werden.

Im Mittelland erweist sich die Immobiliengesellschaft Swiss Prime Site als solider Wert mit einer hohen Dividendenrendite von 5,5 Prozent. In der Nordschweiz fällt diesbezüglich Pharmamulti Novartis auf, der die Aktien zu vier Prozent verzinst und dessen KGV angesichts der Ertragsstärke äusserst günstig erscheint. In der Ostschweiz zählen die Aktien des Versicherers Helvetia und des Stromkonzerns Repower wegen ihrer Kennzahlen zu den regionalen Favoriten, während in der Innerschweiz Milchverarbeiter Emmi und Schraubenhersteller Bossard den Anlegern günstige Bewertungen bieten. In Zürich fallen diesbezüglich die Industriegruppe Conzzeta und das Verlagshaus Tamedia auf. Insgesamt liegt Zürich, gemessen an der Attraktivität für Anleger, aber eher im Mittelfeld. Zwar schneidet die Finanzmetropole bei der Corporate Governance am besten ab. Doch haben nicht nur Finanzwerte überdurchschnittlich unter der Krise der letzten Jahre gelitten, sondern auch Technologiekonzerne wie Micronas, dessen Aktien in den letzten fünf Jahren fast 35 Prozent pro Jahr an Wert verloren.

Obschon Anleger in der Tat in allen Landesteilen Aktien mit interessanten Renditeaussichten finden können, ist die Auswahl in einigen Regionen deutlich grösser. Das ermöglicht dort Fondsmanagern wie privaten Anlegern eine bessere Diversifikation, um die Anlagerisiken zu minimieren. Auf der Suche nach einem regionalen Fonds werden Anleger denn auch in den attraktiven Regionen östlich der Reuss fündig. Die Liechtensteinische Landesbank (LLB) und ihre Schweizer Tochter Bank Linth führen seit 1998 den Fonds Region Bodensee, der das Fondsvermögen von derzeit rund 70 Millionen Franken in Aktien der Versicherung Helvetia, des Schaffhauser Maschinenherstellers Georg Fischer oder des Zürcher Schokoladekonzerns Barry Callebaut investiert. In den letzten fünf Jahren hat der Fonds eine Rendite von 5,4 Prozent pro Jahr erzielt und damit den Gesamtindex SPI deutlich geschlagen. Noch besser fällt die Rendite beim Regionenfonds Zürichsee aus, den die beiden Banken vor fünf Jahren starteten. Mit Beteiligungen an Geberit, dem Pumpenhersteller Sulzer oder dem Textilmaschinenproduzenten Schweiter aus Horgen und weiteren Aktien aus dem Einzugsgebiet um den Zürichsee resultierte über fünf Jahre eine Durchschnittsrendite von gar 6,9 Prozent. Auf die Frage, ob er diese Fonds heute nochmals aufbauen würde, zögert Fondsmanager Christian Zogg deshalb nicht lange. Nicht nur wegen der zahlreichen Auszeichnungen, welche die Fonds gewonnen haben, ist er vom Konzept überzeugt. Vor allem Anleger aus der Region schätzten diese Konzentration auf die exportstarke Zuliefer- und Maschinenindustrie.

Aktien mit Heimvorteil. Allerdings sind die beiden Produkte in der Schweizer Fondslandschaft Exoten geblieben. Vor Jahren versuchten es die Waadtländer mit einem Romandie-Fonds, der jedoch wieder vom Markt genommen wurde. Bei den strukturierten Produkten haben die Basler Kantonalbank und die Neue Aargauer Bank Indexzertifikate mit einem Korb aus Aktien ihrer Region aufgelegt. Die Basler setzen dabei auf die Bedeutung der Region für die Pharma- und Biotechbranche. Zusammen mit Aktien aus der Transportindustrie und der Finanzbranche könne dem Anleger so «ein gut diversifiziertes Aktienpaket, das speziell auf die Metropolitanregion Basel zugeschnitten ist», geboten werden, erklärt Mediensprecher Michael Buess. Ein Jahr nach dem Start beträgt die Performance rund 7,5 Prozent. Auf die wirtschaftliche Stärke des Aargaus setzen die Neue Aargauer Bank und ihre Mutterbank, die Credit Suisse. Seit 2008 läuft bereits das sechste derartige Produkt der beiden Banken, das in Aktien des Elektrokonzerns ABB, des Heizkörperproduzenten Zehnder oder des Pharmaherstellers Siegfried investiert.

Aus Marketingüberlegungen findet Marco Curti, Anlagechef der Zürcher Kantonalbank, Anlageprodukte mit einem solchen regionalen Ansatz durchaus interessant. Er stellt immer wieder fest, dass Empfehlungen seines Teams zu Aktien aus dem Einzugsgebiet der Bank deutlich mehr Anklang bei den Kunden finden. Sind die Firmen in der Wahrnehmung der Kunden hingegen weiter entfernt, wie etwa die Nebenwerte aus der Westschweiz, stossen die Einschätzungen auf deutlich weniger Interesse. Dennoch steht Curti Anlageprodukten mit regionalem Bezug skeptisch gegenüber. «Uns ist wichtiger, gute Anlagemöglichkeiten zu finden. Die regionale Lage steht dabei nicht im Vordergrund», betont der Analyst.

Auch für Thomas Brun gehen andere Kriterien vor, wie die Qualität der Unternehmensführung oder die langfristige Ertrags- und Bilanzstärke. Um ein umfassenderes Bild eines Unternehmens zu erhalten, könne die lokale Nähe für Anleger dabei aber durchaus von Vorteil sein, selbst wenn die meisten kotierten Firmen heute international viel stärker ausgerichtet sind.