BILANZ: Die Royal Bank of Scotland (RBS) wurde von der Finanzkrise getroffen wie keine andere Bank der Welt: Die Verluste lagen bei mehr als 70 Milliarden Franken, noch immer verwaltet sie toxische Papiere im Wert von 120 Milliarden Franken, und die britische Regierung hält weiterhin rekordhohe 83 Prozent an der Grossbank. Obwohl Sie für die Verluste nicht verantwortlich sind, müssen Sie sich als «meistgehasster Banker der Welt» beschimpfen lassen. Macht das noch Spass?

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Stephen Hester: Als ich den Job im Herbst 2008 annahm, wusste ich, wie exponiert er war. Doch es war für mich schon überraschend, dass die Berichte über die RBS von den Wirtschaftsseiten auf die Frontseiten der Zeitungen und in die Klatschspalten wanderten. Mir wird ein Ausmass an intensiver Beobachtung zuteil, das sonst Politikern vorbehalten ist.

Besonders die Boulevardpresse hat sich auf Sie eingeschossen, obwohl Sie Aufräumer und nicht Verursacher des Debakels sind. «Versager» ist noch die harmlosere Bezeichnung. Wie weit ist die aggressive Presse für die aufgeheizte Anti-Banken-Stimmung verantwortlich?

Die englische Boulevardpresse ist wahrscheinlich die aggressivste der Welt. Sie setzt stark auf persönliche Attacken.

Sie besitzen das Anwesen «Broughton Grange» 130 Kilometer nördlich von London. Wie andere britische Schlösser und Gärten war es am 29. April für das Publikum geöffnet. Die Gruppe «Class War» rief im Internet zur Demonstration gegen Sie auf Ihrem eigenem Grund auf. Wie verlief die Demonstration?

Es regnete sehr stark. Es kamen nur Journalisten und Fotografen, aber keine Demonstranten.

Waren Sie selbst da?

Nein, das wäre nicht schlau gewesen.

Ihrem Vorgänger Fred Goodwin wurde nicht nur das Haus demoliert, ihm wurde auch die Ritterwürde aberkannt. Er darf sich nicht mehr Sir nennen. War das richtig?

Ich habe kein Problem mit dem Prinzip, dass jemand diesen Titel verliert. Aber dann sollte man genaue Regeln haben, die für jeden gelten. Dieses Regelwerk gibt es bisher aber nicht.

Als erstem britischem Banker wurde auch Ihnen die Ehre zuteil, dass das britische Unterhaus im Februar ausführlich über Ihren Bonus diskutierte. Besonders Labour kritisierte die geplante Zahlung von 1,5 Millionen Franken. Sie mussten daraufhin auf den Bonus verzichten.

Es gab viele schwierige Momente in den letzten dreieinhalb Jahren. Aber man braucht in diesem Job eine gewisse Härte und Widerstandskraft und muss mit Rückschlägen umgehen können. Ich beklage mich nicht, denn wenn es mir nicht mehr passt, kann ich zurücktreten. Das ist meine Wahl.

Sie haben schon an Rücktritt gedacht, wie Sie einräumten.

Wenn ich gewusst hätte, was auf mich zukommt, hätte ich vor dreieinhalb Jahren den Job vielleicht nicht angenommen. Jetzt habe ich aber diese Zeit investiert, und ich will diese Aufgabe zu einem erfolgreichen Abschluss führen. Ich gebe nicht so leicht auf.

Was treibt Sie an?

Ich will, dass die RBS wieder eine erfolgreiche Bank wird. Wir sind sehr wichtig für dieses Land und für den globalen Finanzmarkt. 30 Millionen Kunden vertrauen uns, 40 Cent von jedem Dollar, der in die englische Wirtschaft geht, stehen mit uns in Verbindung, 45 Milliarden Pfund an Steuergeldern sind investiert, wir haben 150 000 Mitarbeiter. Gerade weil diese Bank so wichtig ist, erleben wir diese intensive Berichterstattung. Für mich wird es ein grosses Gefühl von Befriedigung und Stolz sein, dass wir einen der schwierigsten Jobs in der Finanzgeschichte erfolgreich zu Ende gebracht haben.

Sie haben das RBS-Portfolio als die «grösste Zeitbombe der Bankengeschichte» bezeichnet. Als Sie den Job übernahmen: War es schlimmer, als Sie dachten?

Im Oktober 2008, als mich die britische Regierung abrupt um die Übernahme des Postens bat, hatte die Welt eine Finanzkrise, aber keine Wirtschaftskrise. Erst Anfang 2009 wandelte sich die Finanzkrise zu einer Wirtschaftskrise, und so liess sich das Ausmass der gesamten Probleme erst fünf Monate später erkennen. RBS war wohl die am stärksten betroffene Bank in der Finanzkrise weltweit. Die oberen Stockwerke unseres Geschäfts brachen ein. Doch das Fundament war solide. Das zeigt sich daran, dass keines unserer Geschäftsfelder in den letzten Jahren Kundenrückgänge verzeichnet hat.

Die negative Presse hat die Kunden also nicht abgeschreckt?

Seit Jahrhunderten haben die Bürger ein schwieriges Verhältnis zu den Kreditgebern. Heute sind die Banken mitverantwortlich. Sie waren in den vergangenen Jahren nicht so gut darin wie andere Industrien, ihren Kundendienst zu verbessern. Zudem hatte sich nach 20 Jahren Expansion eine gewisse Arroganz gebildet, die sich nach einer langen Phase des Erfolgs zwangsläufig einstellt, und so haben sich die Banken von ihren Kunden abgekoppelt. Aber die Bürger brauchen Banken. Und sie haben meist ein viel positiveres Bild über die Menschen, die sie in den Banken bedienen, als über die Banken selbst.

Wie weit ist die Sanierung?

Wir haben vor dreieinhalb Jahren einen Fünfjahresplan zur Gesundung angekündigt. Wir haben jetzt also noch 18 Monate. Wir haben jede Aktion angekündigt, aber noch nicht alles voll umgesetzt. Wir sind auf Kurs.

Was muss noch getan werden?

Wir haben noch immer 80 Milliarden Pfund an Aktiven in unserer Bad Bank, die wir abbauen müssen. Wir wollen verschiedene Bereiche abstossen, und wir wollen wieder eine angemessene Dividende zahlen.

Warum hat die amerikanische Regierung alle Bankbeteiligungen verkauft, die britische Regierung aber nicht?

Für die Amerikaner hatte die Reprivatisierung wohl eine höhere Priorität. Die Aktienkurse waren dort beim Einstieg deutlich tiefer, der Ausstieg mit Gewinn einfacher. Auch ist England bei der Regulierung deutlich aggressiver als die USA, was einen negativen Einfluss auf den Wert der Banken hat. Und schliesslich verläuft die wirtschaftliche Erholung hier deutlich langsamer als in den USA, weil die Eurokrise stärker zu spüren ist.

Wie stark redet die Regierung als 83-Prozent-Aktionärin in Ihr Geschäft drein?

Die letzte und die gegenwärtige Regierung erkannten beide, dass sich die RBS erholen und in den Privatsektor zurückkehren sollte, deshalb wurde die Kotierung an der Börse beibehalten. Es war immer klar, dass es ein Desaster wäre, die RBS wie ein Ministerium zu führen. Die Regierung verhält sich deshalb wie ein normaler institutioneller Aktionär und mischt sich nicht in operationelle Entscheide ein. Aber natürlich würde sie eingreifen, wenn die Bank schlecht geführt wäre.

Hat die Regierung niemals eingegriffen?

Niemals. Sie hat nur viele Fragen gestellt, wie ein normaler aktiver Investor. Wir erklären oft und ausführlich, was wir tun.

Aber indirekten Einfluss gibt es schon.

Indirekt gibt es Einfluss, da es für die Wirtschaft sehr wichtig ist, wie sich die grossen Banken verhalten. Was am schwierigsten zu fassen ist: Es gibt starken politischen Druck aus der Öffentlichkeit und den Medien auf die Regierung als Mehrheitseigentümer, und das verunsichert unsere Mitarbeiter. Doch damit müssen wir leben.

Wann verkauft die Regierung ihre Beteiligung?

Dieser Entscheid liegt allein bei der Regierung. Wir müssen die Bank in eine gute Verfassung bringen, dann wird es viele Investoren geben, die interessiert sind. Der Startschuss zum Verkauf unserer Aktien wird nicht nur ein Signal sein für die Gesundung der RBS, sondern für die Erholung der britischen Wirtschaft.

Gibt es ein spezielles Datum?

Nein, es gab nie ein spezielles Datum. Ich hoffe, dass die Regierung diesen Prozess vor der nächsten Unterhauswahl im Jahr 2015 starten wird.

Die Frage wird doch sein: Will sie einen Verlust realisieren? Beim aktuellen Aktienkurs müsste sie mehr als die Hälfte ihres Investments abschreiben.

Der Aktienanteil ist so gross, dass es mehrere Tranchen über mehrere Jahre geben wird. Das erste Angebot liegt normalerweise bei einem tieferen Preis, dann geht es aufwärts. Ich gehe davon aus, dass der Durchschnitt ein Profit sein wird.

Sie machen die harte Regulierung für den tiefen Kurs mitverantwortlich.

Wenn man nur die enge Perspektive von einem Aktionär einer britischen Grossbank hat, würde man sagen: Die Regulierung ist zu hart, härter als irgendwo sonst in der Welt.

Aber die härteste ist doch die Schweizer Regulierung …

Okay, sagen wir: Die britische Regulierung ist die härteste in einer der grossen Volkswirtschaften der Welt. Alle britischen Banken haben deshalb tiefere Aktienkurse. Aber die Aktionärsperspektive ist nicht die einzige, und es ist legitim für die Regierung zu sagen: Eine härtere Regulierung und Besteuerung der Banken hat einen Wert für die Gesellschaft, der über die Aktionärsinteressen hinausgeht.

Die Regulierung geht Ihnen dennoch zu weit: Sie waren gegen das Ringfencing – das Ausgliedern des heimischen Retail- und Firmenkundengeschäfts in eine eigens gesicherte Einheit.

Wenn etwas die Banken sicherer macht, bin ich zu hundert Prozent dafür, selbst wenn es für unseren Aktienkurs kurzfristig schlecht ist. Ringfencing dagegen erhöht die Risiken, statt sie zu lindern, und deshalb war ich dagegen. Doch jetzt müssen wir uns den neuen Gesetzen anpassen.

Mit ihren hohen Boni bieten die Banken weiterhin massive Angriffsflächen. Ist da nicht zu wenig passiert?

Es ist zu einfach zu sagen, die Bezahlung sei der Hauptgrund für das schlechte Image. Banken, die nicht diese hohen Boni zahlen, werden genauso kritisiert für die zu hohen Konto- oder Kreditkartengebühren, auch wenn der Bankmitarbeiter nur 20 000 Pfund im Jahr verdient.

Selbst Ihre Eltern seien überrascht gewesen über Ihre hohe Bezahlung, sagten Sie selbst vor dem Parlament. Verstehen Sie den Unmut?

Natürlich, sonst hätte ich das nicht gesagt. Wir sollten diese Frage aber nicht auf Banken reduzieren. In den letzten 30 Jahren ist das Gefälle zwischen den Durchschnittsverdienern und den Spitzenverdienern fast überall grösser geworden. Dort, wo sich dieses Gefälle am stärksten vergrössert hat, sind die Volkswirtschaften am erfolgreichsten – in Indien, China, Brasilien. Wer zu lange über die Verteilung des Kuchens nachdenkt, riskiert, dass am Ende niemand mehr den Kuchen backt, also Wohlstand schafft. Griechenland backt keine Kuchen mehr, es ist deshalb unwichtig, wer welches Stück bekommt – denn es gibt keinen Kuchen.

Die Aktionäre protestieren scharf wie nie zuvor gegen hohe Bezahlung bei mangelnder Leistung.

Ich hoffe, dass die Intensität abflaut, auch weil die Firmen grössere Transparenz bei den Vergütungspraktiken einführen. Wir sollten hohe Zahlungen nicht verbieten, wir sollten aber genau erklären, dass sie nur auf gute Leistung folgen. Versagen darf nicht belohnt werden.

Die Gewinnaussichten der Banken sind stark geschrumpft. Werden die Saläre nicht schon allein deshalb automatisch sinken?

Wir haben 150 000 Mitarbeiter, weniger als 20 000 von ihnen arbeiten im Top-Bonus-Bereich. Es stimmt, dass die Erträge im Investment Banking stark unter Druck sind. Wenn das Geschäft nicht profitabel ist, muss man die Löhne kürzen.

Sie könnten das gesamte Investment Banking abspalten, wie es viele Politiker fordern.

Wir sind eine der grössten Geschäftsbanken der Welt. Es ist unmöglich, unser Geschäft ohne ein respektables Kapitalmarktgeschäft zu betreiben. Unsere Firmenkunden brauchen uns für Devisentransaktionen, Anleihenemissionen, Kredite und vieles mehr. Doch damit lässt sich natürlich nicht jede Aktivität im Investment Banking rechtfertigen. Wir haben die Geschäfte in unserem Investment Banking um zwei Drittel reduziert.

Wie weit geht der Abbau noch? Planen Sie etwa einen Verkauf Ihrer Privatbank Coutts?

Wir sind immer pragmatisch in Bezug auf die Interessen unserer Aktionäre. Wer genug Geld bezahlt, kann auch die ganze Royal Bank of Scotland kaufen. Gegenwärtig ist ein Verkauf von Coutts aber nicht geplant, genauso wenig wie von unseren anderen Kerngeschäften.

Wie zufrieden sind Sie mit Coutts?

Wir verändern dort sehr viel, ausgelöst von Rory Tapner, einem langjährigen UBS-Mitarbeiter, der vor 18 Monaten als Chef unseres Wealth Management Coutts übernommen hat. Vorher hatten wir vier oder fünf verschiedene Namen, jetzt haben wir einen einheitlichen Auftritt. Wie erfolgreich diese Veränderungen sind, werden wir in zwei, drei oder vier Jahren wissen. Coutts ist ein fantastischer Markenname. Nicht jeder will heute einen Schweizer Markennamen. England gilt als starker Ort für Vermögensverwaltung, viele Menschen schätzen London.

Zuvor nannten Sie sich RBS Coutts, heute nur noch Coutts. Warum?

Das war eine unnötige Komplikation. Coutts steht für Private Banking.

Coutts führt das internationale Geschäft aus Zürich. Wir stark schätzen Sie den Druck auf das Schweizer Bankgeheimnis?

Transparenz ist vielerorts auf dem Vormarsch. Da müssen sich alle Bereiche anpassen. Das hat auch Vorteile: Banken, die Verschwiegenheit als ihr Hauptprodukt angeboten haben, müssen nun Produkte und Performance liefern. Zweifellos ist die Vermögensverwaltung härter geworden, nicht nur durch die neue Transparenz. An den Märkten ist Performance immer schwieriger zu erzielen, und der Wohlstand entsteht in anderen Regionen.

Wie sehen Sie die Schweiz von London aus?

Ich habe ein Haus in Verbier, deshalb bin ich voreingenommen. Die Schweiz hat sich immer an die neuen Gegebenheiten angepasst: die starke Währung, die politischen Ungewissheiten. Ich finde es fantastisch, wie dieses Land ein Leuchtturm der Stabilität geblieben ist. Es ist bewundernswert, dass nicht nur die Grossbanken, sondern auch Firmen wie Roche, Novartis oder Nestlé global so erfolgreich sind. Wenn London Geschäft verliert, geht davon meist etwas in die Schweiz. Und das nicht nur wegen der Steuerraten, sondern auch wegen des Geschäftsumfelds, das sehr positiv ist. Die Schweiz sollte sicherstellen, dass sie diese Vorteile nicht verliert.

Die Schweizer sehen das natürlich viel kritischer.

Alle Nationen müssen sich immer neuen Herausforderungen stellen. Man darf nie einschlafen. Die Schweiz muss sich seit Jahrzehnten der starken Währung stellen, und das ist ihr immer gelungen. Jetzt hat sie eine Herausforderung mit der Transparenz. Die meisten Leute würden gerne die Sorgen der Schweiz mit ihren eigenen tauschen.

Wie lange machen Sie noch den Job als Chef der am meisten gebeutelten Grossbank der Welt?

Ich weiss es nicht. Oft bestimmen die Leute in meinem Job nicht, wann sie gehen. Wenn ich es selbst bestimmen kann, dann geht es nicht um einen Zeitraum, sondern um ein Ergebnis. Ich setze mich leidenschaftlich dafür ein, dass die Royal Bank of Scotland ihre Gesundung erfolgreich abschliessen kann. Ich hoffe, dass ich bleiben darf, bis ich diese Anerkennung erhalte.

Stephen Hester arbeitete 19 Jahre für die Credit Suisse, zuletzt bis 2001 als CSFB-Finanzchef. Der 51-Jährige war CEO des englischen Immobilienkonzerns British Land, als ihn die britische Regierung im Oktober 2008 mit der Sanierung des taumelnden Bankriesen Royal Bank of Scotland betraute. Unter Vorgänger Fred Goodwin hatte die nach HSBC zweitgrösste britische Bank zu aggressiv expandiert. 83 Prozent sind noch immer in Staatsbesitz. 

Dirk Schütz
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