BILANZ: Herr Affentranger, waren Sie heute schon joggen?

Anton Affentranger: Nein, heute nicht. Aber über Weihnachten und Neujahr bin ich in Zermatt fast täglich auf einem herrlichen Rundweg im Schnee gerannt. Ich habe fürs neue Jahr zusammen mit einem Bürokollegen den Vorsatz gefasst, wieder am New-York-Marathon teilzunehmen. Das letzte Mal lief es mir im wahrsten Sinne des Wortes nicht gut. Das einzig Schöne war, dass ich ins Ziel gekommen bin.

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Sie kamen nach 4 Stunden 50 Minuten ins Ziel, nachdem Sie schon mehrmals unter 4 Stunden gelaufen waren. Warum haben Sie sich dermassen unter Ihrem Wert geschlagen?

Ich zögerte, überhaupt zu gehen, da wir in der Endphase der Verhandlungen von Implenia steckten, dem Zusammenschluss von Zschokke und Batigroup. Das mentale Training stimmte überhaupt nicht. Da ich im Hotel in New York ständig am Telefon hing, konnte ich mich geistig gar nicht auf das Rennen vorbereiten; sogar am Sonntagmorgen vor dem Start habe ich noch verhandelt. Auch das physische Training hatte ich aus Zeitgründen vernachlässigt. Erst am Start realisierte ich, dass es jetzt losgeht, und fragte mich einen Moment sogar, was ich hier eigentlich mache. Während des Rennens konnte ich mich dann beruhigen, was mir sehr gut getan hat.

Hat Ihnen das gezeigt, dass Ihre Kräfte begrenzt sind?

Ja. Mir wurde bewusst, dass man nicht alles gleichzeitig machen kann. Es zeigte aber auch, wie wichtig eine gute Vorbereitung ist. Ich hatte im Herbst keine Zeit für Langstreckenläufe; statt der geforderten fünf bis sechs machte ich nur zwei. Während des Rennens spürte ich, dass der Körper nicht darauf eingestellt war.

Haben Sie sich überlegt aufzugeben?

Nein, ich hatte immer das Ziel vor Augen. Nach dem Rennen ging ich sogleich wieder ins Hotel und setzte mich vor Computer und Telefon, um weiterzuverhandeln. Als ich fertig war, hatten alle meine Freunde schon geduscht und gegessen und waren fort. Da habe ich mir im Restaurant ein grosses Steak bestellt und fühlte mich gut.

War es Ihnen als künftigem Verwaltungsratspräsidenten von Implenia nicht möglich, die Ereignisse zu koordinieren?

Der Verhandlungsplan, die Verwaltungsratssitzungen und das Datum der Medienkonferenz sind lange im Voraus festgelegt worden. Bei einem solch grossen Projekt liegen die grössten Risiken in der Phase zwischen den Verhandlungen und dem Vollzug. Um die Risiken zu reduzieren, mussten wir die Zeit bis zur Bekanntgabe so kurz wie möglich halten.

Worum ging es in dieser Phase genau?

Um Bewertungsfragen und um die Due Diligence – Geschichtsschreibung also, über die man so rasch als möglich hinwegkommen will. Die Geschichte ist interessant, aber die Zukunft ist interessanter.

Bereits vor dem Start Anfang März wird Implenia von der Geschichte eingeholt. Gegen die Batigroup-Chefs läuft ein Verfahren wegen Bilanzfälschung. Nachdem der Zusammenschluss im Herbst wohlwollend aufgenommen worden ist, stellen sich nun plötzlich Hindernisse in den Weg. Ist Implenia gefährdet?

Firmen sind Organismen, ein Spiegel der Gesellschaft, sie sind nicht perfekt. Damit muss man leben. Aber natürlich stellten wir uns viele Fragen. Wir haben geprüft, ob und gegebenenfalls welche Konsequenzen die Anzeige für die geplante Zusammenführung der beiden Unternehmen haben könnte, zum Beispiel für das Austauschverhältnis. Wir sind zum Schluss gekommen, dass wir keine ziehen müssen.

Abgesehen von der Zahlenarithmetik leidet doch das Vertrauen in die neue Firma.

Das glaube ich nicht. Wie erwähnt können wir gut begründet davon ausgehen, dass die Anzeige ohne Substanz und eine Retourkutsche eines ehemaligen Mitarbeiters ist, der von der Firma wegen Unterschlagung angezeigt und entlassen wurde. Das Gute an dieser unerfreulichen Angelegenheit ist jedoch, dass sie uns an die Bedeutung eines professionellen Kontrollsystems und der ethischen Kompetenz unserer Führungskräfte erinnert. Wir haben uns für Implenia höchste ethische Standards gesetzt und fühlen uns jetzt in diesem Vorgehen bestätigt.

Sie haben mit den Managern der Gegenpartei monatelang am Verhandlungstisch gesessen und ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Wie ist das für Sie persönlich, wenn nun solche Vorwürfe gegen Ihre Vertrauenspersonen erhoben werden?

Klar ist das eine schwierige persönliche Situation. Es ist nicht einfach, plötzlich mit solchen Vorwürfen konfrontiert zu sein. Wichtig ist, dass man in solchen Situationen das Vertrauen behalten und sich in die Augen schauen kann. Ich betrachte es als einen Test für Implenia. Ist die Vertrauensbasis stark genug, um das Projekt durchzuziehen?

Haben Sie diese Fragen offen diskutiert?

Sicher. Wenn solche Fragen aufkommen, müssen sie immer auf den Tisch, alles andere führt in die Katastrophe.

Was macht Sie so sicher, dass Implenia richtig ist?

Der Zusammenschluss der grössten beiden Bauunternehmen ist immer wieder diskutiert worden, zuletzt im Sommer 2003. Damals waren beide Unternehmen noch nicht reif dafür. Die Tatsache, dass es mehrmals ein Thema war, sagte mir, dass etwas dran sein muss. Als im vergangenen Frühling bei Batigroup ein neuer Verwaltungsratspräsident antrat, ging ich auf ihn zu.

Der neue Batigroup-Präsident, Markus Dennler, hat wie Sie auch eine lange Vergangenheit als Banker. War das die Voraussetzung?

Bei einem solchen Projekt muss es überall stimmen – personell, industriell, finanziell. Es braucht aber besonders den Willen, diesen Kraftakt zu stemmen. Man geht durch so viele Krisen hindurch, da kann man nicht bei jedem Windstoss umfallen. Klar passieren immer wieder Fehler, aber die Grundidee von Implenia ist so stark, die lässt sich nicht so leicht aus den Angeln heben.

Wird der Auftritt von Implenia auch so kraftvoll sein wie die Idee dahinter?

Wir sind daran, den Marktauftritt auszuarbeiten und Implenia einen Inhalt zu geben. Das Markenbild, das wir nach der Generalversammlung vom 2. März vorstellen, wird frech sein … nein, nicht frech, sondern mutig. Sich gemeinsam hinzusetzen und sich zu fragen, was die Firma darstellen und welche Vision sie vermitteln soll, das sind meine Highlights derzeit. Im Tagesgeschäft hat man fast keine Zeit mehr, sich zurückzulehnen und an der grossen Linie zu arbeiten. Jedes Unternehmen ist mit der Erstellung des Jahresabschlusses beschäftigt, auch personelle Fragen über die Besetzung wichtiger Posten bringen Spannungen in die Firmen.

Hat der unverbindlich klingende Name Implenia genügend Strahlkraft für das grösste Schweizer Bauunternehmen?

Bei der Namenssuche gab es viele Sachzwänge. Zudem hatten wir wenig Zeit, etwas mehr als einen Monat nur. Ich war der Meinung, wir sollten den Namen nicht zu wichtig nehmen und eine Kombination der bestehenden Namen schaffen. Aber wir wollen ja eine Firma mit einer neuen Ausrichtung bauen. Die Verwendung der bisherigen Namen hätte falsch kommuniziert. Deshalb entschieden wir uns für eine völlig neue Lösung. Von mehreren hundert Namen, die geprüft worden sind, wurden uns etwa dreissig vorgeschlagen, wovon drei auf eine Shortlist kamen. Entschieden haben wir erst am Tag vor der Pressekonferenz.

Mit Implenia sind Sie erstmals seit Jahren wieder in die öffentliche Wahrnehmung gerückt, nachdem Sie früher mehrfach für Aufsehen gesorgt hatten. Sie waren der jüngste Generaldirektor der Bankgesellschaft, der erste externe Partner der Privatbank Lombard Odier, später Finanzchef von Roche. Dann ist es ruhig geworden um Sie. Wie war es, mit Implenia plötzlich wieder im Rampenlicht zu stehen?

Für mich war es wie ein Aha-Erlebnis. Bis ich vor der Implenia-Pressekonferenz von Mikrofonen und Kameras begrüsst wurde, war mir gar nicht richtig bewusst, was auf mich zukommt. Ich fand es wichtig, Implenia ein Gesicht zu geben, und stand dafür hin. Ein solches Unternehmen können sie nicht mit abstrakten Begriffen wie «Dienstleister» oder «kritische Grösse» in die Welt stellen, denn was zählt, sind die Menschen dahinter. So gesehen ist das Rampenlicht ein wichtiger Teil des Projekts und meiner Arbeit. Ich bin mir aber auch bewusst, dass ich in guten und in schlechten Zeiten in den Medien sein werde.

Dreimal – bei der Bankgesellschaft, bei Lombard Odier und bei Roche – nahmen Sie abrupt den Hut. Ihre Loyalität gegenüber Ihren Arbeitgebern scheint begrenzt.

Ich möchte die Fälle nicht miteinander vergleichen, obschon das immer wieder getan wird. Meine prägenden Berufsjahre verbrachte ich bei der Bankgesellschaft. Die Fusion von Bankgesellschaft und Bankverein war für mich die Gelegenheit, einen Schritt weiter zu gehen. Ich hatte schon lange daran gedacht, etwas anderes zu tun, und habe meinen Entscheid nie bereut. Meine ursprüngliche Skepsis gegenüber der Fusion von Bankgesellschaft und Bankverein hat sich längst in Anerkennung gewandelt. Ich sage meinen ehemaligen Kollegen immer wieder: Chapeau!

Können Sie Kompromisse eingehen?

Kompromisse müssen Sie immer eingehen, sonst kommen Sie nirgendwohin. Aber ich nehme bestimmt nicht alles in Kauf für meine Karriere.

Als Finanzchef von Roche hatten Sie einen der prestigereichsten Posten der Schweizer Wirtschaft inne, dies allerdings lediglich ein paar Monate lang. Empfanden Sie den Abgang als eine persönliche Niederlage oder einen Betriebsunfall?

Eine Niederlage … ja. Ich hatte persönlich zu wenig Due Diligence gemacht. Das Duett CEO und CFO, das total harmonieren muss, hat nicht funktioniert. Ich hatte es falsch eingeschätzt und konnte die Signale erst im Nachhinein richtig deuten. Aber wenn Sie mich fragen, ob ich die Erfahrung wieder machen würde, sage ich klar Ja.

Sie sind in Südamerika in verschiedenen Ländern aufgewachsen und als Gymnasiast in die Schweiz gekommen. Kommt Ihre Unabhängigkeit und die Fähigkeit, Dinge zurückzulassen und Neues anzufangen, von dieser wechselvollen Kindheit her?

Ich glaube nicht, dass man je richtig unabhängig ist. Auch als Selbständiger bin ich abhängig, sei es von Auftraggebern oder von Mitarbeitern. Mir geht es vielmehr darum, meine vielfältigen Interessen und Talente einzusetzen. Als Unternehmer kann ich das viel besser denn als Finanzchef oder Generaldirektor, auch wenn ein solcher Job mit viel mehr Prestige verbunden ist als der, den ich jetzt mache.

Als Sohn eines Luzerner Käsers, der nach Argentinien ausgewandert ist, und einer spanischen Mutter haben Sie vielleicht einen etwas anderen Blick auf die Schweiz als die Alteingesessenen. Was halten sie von unserem Land?

Ich bin ein grosser SBB-Kunde, verbringe viel Zeit im Zug. Ich führe eine kleine Softwarefirma in Freiburg, bin viel in Biel bei Mikron, habe ein Büro in Zürich und bin auch für Zschokke oft unterwegs. Immer wieder staune ich über die Schönheit unseres Landes. Auch finde ich es sensationell, wie viele Unternehmen mit globaler Ausstrahlung das Land hervorgebracht hat. Der Reichtum ist enorm. Allerdings haben wir zu lange von der Substanz gelebt und leben teilweise noch heute davon. Wir sind bequem geworden und noch nicht aus der Bequemlichkeit aufgewacht.

Nehmen wir eine Grossbank wie die UBS, ihr früherer Arbeitgeber, die unermesslichen Reichtum geschaffen hat. Die Bank weist Milliardengewinne aus und zahlt dem Management Löhne und Boni in Höhe von Hunderten von Millionen Franken. Ist das ethisch?

Es ist falsch, Löhne als ethisch oder unethisch zu bezeichnen. Es geht um die Frage des Risikos. Wenn einer einen gigantischen Bonus einstreicht, ohne ein entsprechendes Risiko einzugehen oder Verantwortung zu übernehmen, ist das bestimmt nicht gerechtfertigt. Das System muss nach oben und nach unten funktionieren. Ich bin nicht sicher, ob das mit den heutigen Salärsystemen in den Grossbanken immer der Fall ist.

Juckt es Sie als ehemaligen Banker nicht, wenn Sie sich die horrenden Löhne ihrer ehemaligen Kollegen vergegenwärtigen?

Nein, die Summen führen bei mir aber zu grossen Aha-Erlebnissen, seit ich durch mein Amt bei Zschokke in die Baubranche sehe. Nehmen wir den Baustellenleiter in Bodio im Tessin: Er ist Ingenieur ETH, um die 40 Jahre alt, wohnt als Wochenaufenthalter in Bodio in einem Zimmer und lebt nur am Wochenende bei seiner Familie in der Deutschschweiz. Er hat eine Verantwortung für 700 Mitarbeiter, grosse Maschinen, trägt Budgetverantwortung, hat klare Führungsqualitäten in multinationalen Teams bewiesen, arbeitet im Tunnel im Dunkeln. Dieser Mann verdient einen Bruchteil dessen, was ein Sachbearbeiter einer Privatbank an der Bahnhofstrasse erhält. Ist das nun ethisch oder unethisch? Ich glaube, der Bauingenieur wäre total unglücklich, wenn er an der Bahnhofstrasse in einem Büro sitzen müsste. Jeder muss für sich entscheiden, was er machen will. Wenn der Bauingenieur dem Bankersalär nachtrauert, muss er gehen. Würde ich dem Banking nachtrauern, hätte ich bleiben müssen.

Als was bezeichnen Sie sich eigentlich?

Als Unternehmer.

Womit Sie sich klar vom Manager distanzieren.

Genau. Ich bin ein Risktaker. Das sehen sie am Beispiel Mikron. Die Firma stand am Abgrund, es war ein Albtraum. Der Industrielle Johann Schneider-Ammann, der damals im Mikron-Verwaltungsrat sass, rief mich an. Wir trafen uns an einem Samstagmorgen, schauten uns in die Augen und besprachen das Vorgehen. Am Schluss gab es einen Handschlag. Seither haben wir viel Geld und Schweiss investiert, und es hat sich gelohnt. Mikron steht wieder auf gesunden Beinen. Durch die Arbeit sind wir enge Freunde geworden.

Wofür mussten Sie in Ihrem Leben härter arbeiten, für Geld oder für Freunde?

Für Freunde. Ich mag es, mit mir selbst und mit Menschen, die mit mir arbeiten wollen, an die Grenzen zu gehen. Meine besten Freunde sind die, die mit mir durch die Extreme gegangen sind. Umgekehrt muss ich auch mit der Kritik leben, extrem fordernd zu sein.