BILANZ: Sie haben im Wahlkampf ums Präsidium der Hotelleriesuisse heftig ausgeteilt. Können Sie auch einstecken?

Guglielmo Brentel: Ja, solange mit fairen Mitteln gekämpft wird. Bei mir steht immer die Sache im Vordergrund, nie die Person. Und genau das liebe ich, wenn hart um die Sache diskutiert wird. Schlammschlachten dagegen mag ich nicht ausstehen.

Ihre Forderung, im Hotelgewerbe müsse der Minimallohn auf 2000 Franken runter, hat für Aufsehen gesorgt. Später tönte es plötzlich moderater. Also nichts anderes als Wahlkampftaktik?

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Die 2000 Franken habe ich in einem völligen anderen Zusammenhang genannt, und daraus hat die Boulevardpresse eine Lüge gemacht. Diese Forderung wäre ja auch unrealistisch. An einer Pressekonferenz wurde über die Idee der Zürcher Stadträtin Monika Stocker mit den 1000-Franken-Jobs geredet. Da meinte ich, gerade die Hotellerie habe viele Jobs für unqualifizierte Personen anzubieten. Der Journalist fragte, wie hoch denn ihr Lohn sein solle. Ich antwortete, nicht die Lohnhöhe sei massgebend, sondern was die Leute kaufen könnten. Wenn Junge nach dem Verrechnen von Kost und Logis noch etwa 2000 Franken zur Verfügung haben, ist das ausreichend zum Leben. So ist die Mär vom Mindestlohn von 2000 Franken entstanden.

Sie haben den in der Branche geltenden Mindestlohn von 3150 Franken aber zur Disposition gestellt. Sie sagten, das sei zu viel.

So habe ich das nicht gesagt. In einer Lohnstudie haben wir uns mit dem benachbarten Ausland verglichen. Da mussten wir feststellen, dass die grössten Differenzen vor allem in den untersten Lohnkategorien auftreten. Deshalb sollten alle Sozialpartner daran interessiert sein, dass die Preise auf ein europäisches Niveau hinuntergehen. Wenn die Preise sinken, dann könnte man über das Einfrieren der Löhne reden. Der Effekt dabei: Bei sinkenden Preisen und eingefrorenen Löhnen steigt die Kaufkraft. Wenn man die Differenz zwischen steigenden Preisen und den Löhnen laufend auf die Saläre dazuschlägt, schaden wir letztendlich der Konkurrenzkraft des Schweizer Tourismus. Das ist ein falsches Konzept.

Ist es nicht so, dass die Hotelbranche generell tiefe Löhne zahlt?

Die Hotellerie ist eine typische Karrierebranche. Da fängt man meist als Einsteiger an. Auch haben wir überdurchschnittlich viele junge Personen, überdurchschnittlich viele Frauen, überdurchschnittlich viele Teilzeitarbeitende und überdurchschnittlich viele Unqualifizierte, und das mit entsprechend tiefen Löhnen. In der Hotellerie finden 74 Berufe ihr Auskommen, davon liegen nur deren acht im Minimallohnbereich. Wir haben Berufsgattungen, die im Durchschnitt über 7500 Franken bieten. Es stimmt einfach nicht, dass die Hotellerie generell tiefe Löhne zahlt. Unser grosses Problem sind sowieso nicht primär die Löhne, sondern die Preissituation. Beim Preis sind wir in praktisch allen Marktsegmenten der internationalen Konkurrenz ausgesetzt. Und da stecken wir in der Kostenfalle, weil wir binnenmarktgeschützte Preise bezahlen müssen, etwa für landwirtschaftliche Güter. Zudem können wir als Hoteliers keine Arbeitsplätze ins Ausland verlegen. Wir erbringen die Dienstleistung vor Ort und sind zugleich exportorientiert.

Haben Sie aber nicht gerade im Wahlkampf mit der Bemerkung, die Löhne seien viel zu hoch, massiv Stimmen geholt?

Ich muss es nochmals betonen: Ich habe nie gesagt, runter mit den Löhnen. Mich interessiert primär die Kaufkraft. Einer Volkswirtschaft sind hohe Preise nicht förderlich. Und da muss man in der Schweiz vor allem ansetzen. Die Löhne sind nur ein Bestandteil des Problems. Schlussendlich verdienen die Leute so hohe Löhne, weil sie diese benötigen, um die überhöhten Preise bezahlen zu können. Das schadet unserer internationalen Konkurrenzfähigkeit.

Nochmals zum Mindestlohn. Glauben Sie, dass man mit 3150 Franken eine Familie so ohne weiteres ernähren kann?

Es ist nicht der Durchschnitts-Familienvater, zwei Kinder, 45-jährig, 15 Jahre im Betrieb, der den Mindestlohn von 3150 Franken überwiesen erhält. Sicher gibt es den wohl auch, wenn man lange genug sucht. Nur kenne ich keinen einzigen Schweizer, der für diesen Lohn arbeitet. Das ist in der Regel ein Ausländer, der frisch in den Arbeitsprozess eintritt. Und da ist ein solches Salär durchaus vertretbar.

Angenommen, die Löhne lassen sich tatsächlich einfrieren, die Preise kommen zurück, die Kaufkraft steigt. Es sinken dann auch die Übernachtungspreise. Steigen so die Löhne nicht wieder überproportional zum Gesamtbudget und belasten erneut die Ertragslage?

Wir können nicht einfach die Löhne einfrieren und die Preise senken und meinen, alleine mit diesen Massnahmen sei alles in Butter. Wir müssen uns auch besser verkaufen. Dann werden wir professioneller geführte Hotels haben, die mehr auf den Markt ausgerichtet sind. Das bringt uns höhere Frequenzen, mehr Umsatz und schlussendlich bessere Erträge. Dann geraten wir in eine positive Spirale. Aber eine solche Trendwende lässt sich nur gemeinsam erreichen, also mit Sozialpartnern, mit Politikern und vor allem mit den anderen Branchenverbänden. Jetzt können Sie einwenden, das sei etwas gar viel, was ich als kleiner Hoteliervereinspräsident verlange. Aber wir sind eine Branche, die sich mehr als die meisten anderen Zweige wirtschaftlich orientieren muss. Und vor allem haben wir die Chance, dass wir im Tourismus auch ohne Subventionen Erfolg haben können, wenn wir es richtig machen. Wohlgemerkt, ich will keine Subventionen. Ich mag auch nicht jammern, aber man muss unsere Probleme endlich zur Kenntnis nehmen.

Sind Sie nicht am falschen Ort? Sie müssten eigentlich im Parlament sitzen. Denn schlussendlich ist das Hauptproblem der Hotellerie ein politisches.

Möglicherweise haben Sie Recht. Aber ich bin ein Vollbluthotelier, meine politische Partei ist die Hotellerie. In meiner derzeitigen Position kann ich mehr bewegen, als wenn ich im Parlament bin. Denn dort muss ich Kompromisse eingehen und auf politische Gegebenheiten Rücksicht nehmen. In meiner Position dagegen habe ich das Privileg, dass ich sagen kann, was ich als richtig erachte für unsere Hotellerie.

Nach Ihrer Wahl haben Sie gesagt: «Wir müssen mehr Kanten und Ecken entwickeln.» Was heisst das? Mehr ausrufen?

Ich versuche darzulegen, wie die Problematik in unserer Branche aussieht und welche Lösungsansätze ich habe. Man erreicht bereits viel, wenn man die Öffentlichkeit auf diese Weise für unsere Schwierigkeiten sensibilisieren kann. Genau das habe ich in Zürich als Präsident der Zürcher Hoteliers sieben Jahre lang gemacht, und zwar mit beträchtlichem Erfolg. Heute weiss man in Zürich um den hohen Stellenwert des Tourismus für die Stadt. Das möchte ich auch gesamtschweizerisch erreichen. Wir haben eine gute Gesprächskultur in der Hotellerie. Ich rufe ja nicht aus. Mein Ziel ist es, konstruktive Vorschläge zu machen und diese mit einer gewissen Härte zu verwirklichen zu suchen. Wir Hoteliers sind berufsbedingt nette Leute. Doch wir müssen böser werden, wenn es darum geht, unsere Positionen zu vertreten. Wenn wir das nicht machen, macht es niemand für uns.

Jetzt sind wir aber gespannt: Wie sehen denn Ihre Lösungsansätze aus?

Ich hatte noch nicht die Zeit, konkret über die Umsetzung nachzudenken. Jetzt kommt eine Phase, wo es wieder ruhiger wird. Das gibt mir Zeit, die Dossiers besser kennen zu lernen. Und ich muss untersuchen, ob wir die Prioritäten richtig gesetzt haben und unsere Ressourcen richtig einsetzen.

Sind Sie nachdenklicher als vor der Wahl?

Im Gegenteil, ich bin gestärkt worden. Ich war mir damals nicht sicher, ob ich mit meinen Aussagen ins Schwarze treffe. Doch das Resultat war klar: Ich vermochte mich gegen einen bestehenden Präsidenten durchzusetzen. Das war keine Personenwahl, sondern eine Richtungswahl. 109 gegen 181 Stimmen, das ist ein klarer Auftrag, der mir erteilt wurde. Das macht mir Mut, unsere Sache noch konsequenter zu vertreten. Doch ich brauche Zeit. Ich bin nicht angetreten in der Meinung, in einem Jahr laufe bereits alles perfekt. Zur Umsetzung meiner Pläne benötige ich mindestens sechs, möglicherweise sogar neun Jahre.

Ihr oberster Ziel, der Kampf gegen die Hochpreisinsel Schweiz, ist eine herkulische Aufgabe. Fühlen Sie sich dabei nicht ein bisschen wie Don Quichotte?

Wir müssen uns Grosses vornehmen, wenn wir Grosses bewegen wollen. Wir bekommen die unerfreuliche Situation immer wieder zu spüren, weil wir täglich dem internationalen Preiskampf ausgesetzt sind. Dabei realisieren wir, welch dominierende Rolle die lokalen Kosten spielen. Wenn wir gute Argumente haben und zeigen können, dass der Schweizer Tourismus immer noch Chancen birgt, lassen sich auch grosse Dinge bewegen.

Sollte man da nicht gerade bei der mangelhaften Freundlichkeit des Hotelpersonals anfangen?

Der Schweizer tendiert dazu, ein schlechtes Beispiel in der Schweizer Hotellerie mit einem guten Beispiel in Österreich zu vergleichen …

… weil er es häufig so erlebt.

Ich jedenfalls erlebe es nicht so. Studien belegen, dass die Hotelgäste zu 87 Prozent mit der Freundlichkeit in Schweizer Hotels zufrieden sind. Die Österreicher erreichen mit 89 Prozent ein nur minim besseres Resultat. Sehr oft sagen die Gäste, der Service sei nicht gut. Was sie aber meinen: Der Preis ist zu hoch. Wenn man in Italien Ferien macht, akzeptiert man beim Service sogar grosse Mängel, weil es günstiger ist. In der Schweizer Hotellerie stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht. Aber nicht weil die Leistung nicht stimmt, sondern weil der Preis zu hoch ist. Das ist ein beträchtlicher Unterschied. Doch ich bestreite vehement, dass die Freundlichkeit in unserer Branche heute noch ein vordringliches Problem ist. Wir verfügen über bewährte Instrumente zur Steigerung der Qualität und Freundlichkeit wie Schulungs- und Motivationsprogramme, wie sie kein anderer Wirtschaftszweig vorzuweisen vermag.

Wir haben bisher über die Kostenseite gesprochen. Hat aber die Hotellerie selbst nicht auch böse Fehler begangen?

Aber sicher. Wer hat denn in der Schweiz keine Fehler gemacht in den letzten zehn Jahren? Doch wir haben nicht nur Fehler begangen, wir haben auch viele positive Massnahmen ergriffen. Es hat sich viel getan in der Hotellerie. In kaum einer Branche wurden derartige Anstrengungen unternommen in Sachen Qualitätsverbesserung oder Ausbildung, da sind wir nach wie vor Weltspitze. Unsere Hotelfachschulen gehören zu den besten der Welt …

… und werden primär von Ausländern besucht.

Etwa die Hälfte der Studenten kommen aus dem Ausland. Aber ich rede von unseren eigenen Hotelfachschulen, von den Berufsverbänden, nicht von den «wilden» Ausbildungsstätten.

Zurück zu den Fehlern. Wurde nicht einfach zu wenig investiert in der Hotellerie?

Alleine dieses und nächstes Jahr werden mehr als eine Milliarde Franken investiert. Doch das ist effektiv zu wenig. Bei den Investitionen haben wir Nachholbedarf. Wir erwirtschaften einfach zu wenig Ertrag. Also müssen wir den Ertragswert erhöhen, damit wir die Investitionen finanzieren können. Denn die Finanzierung funktioniert heute nur noch, wenn das Geschäft ausreichend rentabel ist. Wir haben kein Finanzierungsproblem, wir haben ein Ertragsproblem. Zudem herrscht Restrukturierungsbedarf. Unsere Strukturen sind überholungsbedürftig. Wir zählen immer noch zu viele Betriebe, die unprofessionell geführt werden. Darunter verstehe ich Hotels, welche die Erwartungen des Gastes bezüglich Komfort nicht mehr erfüllen können und dennoch einen hohen Preis verlangen müssen. Also Häuser, wo das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht mehr stimmt.

Wurde nicht auch zu lange viel Geld aus manchen Hotels abgezogen und nichts für deren Werterhaltung gemacht?

Wir haben seit mindesten 30 Jahren ein Problem in der Schweizer Hotellerie. Wir realisieren dies aber erst seit etwa zehn Jahren so richtig. Wir alle haben bei der Finanzierung Fehler gemacht. Auch die Banken finanzierten Objekte, die unrentabel waren; sie haben also primär die Substanz finanziert. Wir werfen den Banken einzig vor, dass sie das System für unsere Branche zu brüsk geändert haben. Deshalb konnten wir auch nicht mehr unternehmerisch agieren. Wir betreiben nun einmal ein anlageintensives Geschäft, das haben auch die Kredithäuser gewusst.

Die Hotels sind schlecht ausgelastet. Ist das Überangebot nicht ein weiteres Problem?

Wir haben nicht zu viele, sondern teilweise die falschen Hotels. Damit meine ich Hotels, die nicht einem Marktbedürfnis entsprechen. Die Anzahl der Hotelzimmer ist über viele Jahre stabil geblieben, aber wir haben gleichzeitig Gäste verloren, vor allem aus dem Ausland.

Weshalb steckt die doch teure Fünf-Sterne-Hotellerie nicht in der Krise?

Im Bereich der Fünf-Sterne-Häuser ist die Schweiz im internationalen Vergleich gar nicht so teuer. Denn in diesem Marktsegment spielen die Kosten eine weniger wichtige Rolle als in einem kleineren Betrieb. Genau aus diesem Grund erfreuen sich die Erstklasshäuser an meist guten Erträgen.

Schweiz Tourismus hat eine Internetplattform gemacht, wo die Gäste Hotels bewerten können. Machen Ihnen solch direkte Bewertungen Angst?

Im Gegenteil, ich befürworte das, solange die Bewertungen fair und repräsentativ vorgenommen werden. Ich bin nicht gegen Transparenz. Der Gast soll die Möglichkeit erhalten, gute Hotels erkennen und auswählen zu können. Immerhin verfügen wir über eine grosse Anzahl an feinen Hotels in der Schweiz. Deshalb wurde im Verband auch mit Stirnrunzeln reagiert, als ich sagte, wenn man ein Drittel gute, ein Drittel mittlere und ein Drittel schlechte Hotels hat, dann sind es nicht die schlechten Betriebe, die mir Sorgen bereiten, sondern die guten. Denn diese verdienen zu wenig. Das sollte unsere Branche aufrütteln. Wenn nicht einmal die guten Hoteliers ausreichende Erträge erzielen, dann hat der schlechte Hotelier keine Chance, jemals zu einem guten zu werden.

Symptomatisch für den Zustand der Hotelbranche ist, dass man sich einen jahrelangen Krieg um Sterne erlaubt. Sind Sie fähig, diesen Konflikt zu lösen?

Diese Klassifikation machen wir für den Gast. Allerdings hat die Einteilung auch der Branche viel Gutes gebracht. Sie gibt dem Hotelier einen Ansporn; so weiss er, was er machen muss, damit er dieser Norm entspricht oder sich gar um eine Stufe verbessert. Das Sternesystem hat auch viel an Innovationen und Investitionen ausgelöst. Wir werden uns auf eine einzige Klassifikation oder zumindest auf zwei aufeinander abgestimmte Systeme einigen, da bin ich überzeugt. Es kann ja nicht sein, dass wir Branchenverbände uns mit uns selbst beschäftigen. Das ist ein Luxus, wir haben genügend andere Probleme zu lösen.

Ich werde den Eindruck nicht los, dass Sie sich etwas gar viel vorgenommen haben. Im besten Fall werden Sie nach neun Jahren als höchster Hotelier nicht einmal die Hälfte Ihrer Ziele erreicht haben.

Wollen wir miteinander wetten?

Sie werden die Wette verlieren.

Ich bin kein Träumer. Wir werden auch in neun Jahren nicht mit den gleich tiefen Kosten kalkulieren können wie etwa die österreichische Hotellerie. Aber die Differenz ist bis dann kleiner geworden. Jedes Prozent, um welches der Unterschied kleiner wird, stärkt unsere Branche um ein Prozent. Und zwar nicht oben im Umsatz, sondern unten im Ertrag. Und dort macht ein Prozent mehr sehr viel aus. Ich habe die Mengenziele noch nicht bekannt gegeben. Aber es muss in diese Richtung gehen, sonst kommen wir nicht vom Fleck.

Abgemacht, sprechen wir in neun Jahren wieder miteinander. Vorher aber wird noch über die erweiterte Personenfreizügigkeit abgestimmt. Was stimmen Sie?

Ich werde Ja stimmen, weil wir kein Interesse an künstlichen Grenzen haben dürfen im Tourismus. Und die Grenzen sollten wir weniger hoch machen, damit wir gleiche Rahmenbedingungen wie die Hotellerie in unseren Nachbarländern haben.