BILANZ: Herr Platt, bleiben Sie Montblanc auch nach Ihrer Ernennung zum CEO des Richemont-Konzerns verbunden?

Norbert A. Platt: Ich bleibe Präsident von Montblanc International und nur schon deshalb der Marke und ihrer Entwicklung eng verbunden.

Haben Sie schon eine Vorstellung davon, wie Sie die bei Montblanc gelungene Dynamisierung auf den Gesamtkonzern übertragen wollen?

Nun, man kann das Erfolgsrezept einer Marke nicht unbesehen auf den Gesamtkonzern übertragen. Die Marken haben und behalten alle je ihre Eigenständigkeit. Bei Montblanc standen in der Vergangenheit die Diversifikation sowie die damit verbundene Distributionsstrategie, weltweit auf eigene Boutiquen zu setzen, ganz stark im Vordergrund. Dies war die individuelle Erfolgsstrategie für Montblanc.

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Montblanc kennen wir noch nicht so lange als Uhrenmarke. Es ist noch gar nicht lange her, seit die ersten Modelle lanciert wurden, zuerst mit Goldgehäuse und schwarzem Zifferblatt. Inzwischen ist die Uhrenkollektion variantenreich mit Namen wie Summit, Star, Sport, Timewalker oder Travel Pieces. Und es sind ganz verschiedene Stile erkennbar.

Ja, schon. Das ist eine Entwicklung, die parallel zu den Schreibgeräten gelaufen ist. Montblanc ist von Grund auf ein monolithisches Produkt, sprich ein Meisterstück: schwarzer Rand, Gold, erotisch. Deshalb die Entscheidung, die ersten Uhren mit schwarzen Ziffernblättern und goldenem Gehäuse zu produzieren, um bewusst Selbstähnlichkeit zu erzeugen. Mittlerweile haben wir aus dieser Positionierung heraus – konservativer Ansatz, konservatives Marketing – zwei zusätzliche Zielgruppen im Visier: zum einen den Bourgeois, den Bohème, hedonistisch, ein wenig female, und zum andern haben wir nun mit der Linie Bohème Jewels eindeutig etwas für Frauen im Angebot.

Wie kommt dies an?

Das weiss ich noch nicht, es ist ja ganz neu. Aber die gesamte Bohème-Linie macht heute die Hälfte des Volumens von Meisterstück aus. Das ist ganz ordentlich, wenn man überlegt, wie schwierig es ist, neben einem dominanten monolithischen Produkt etwas zusätzlich zu etablieren. Wir haben das Schreibgeräteprogramm Starwalker entwickelt. Und das analoge Timewalker-Konzept bei den Uhren. Das sind alles Produkte, die nicht irgendwie, sondern mit einer Zielgruppe als Konzept entwickelt werden. Insofern ist aus der monolithischen Identifizierung «Montblanc gleich Meisterstück» mittlerweile etwas anderes geworden.

Verstehen wir Sie richtig, dass die Summit-Uhren für ein jüngeres Publikum bestimmt sind und die rechteckigen Uhren für weibliche Abnehmer?

Das kann man so sagen. Vom prinzipiellen Konzeptansatz her spielt es sich natürlich in der Unternehmenswirklichkeit etwas anders ab. Wenn das Produkt neu ist, kommt vielleicht auch ein 80-Jähriger im Rollstuhl herein und will dieses Produkt kaufen und kauft es auch. Und das ist okay. Zielgruppendefinition bedeutet, die Angst zu nehmen vor einer Kannibalisierung.

Sie drücken sich stark in Zielgruppen aus und konzentrieren sich aufs Design. Sehen Sie denn die Uhr als reines Marketingprodukt?

Da tun Sie mir jetzt aber ein bisschen weh. Es wäre markenschädigend, wenn die Firma Montblanc mit ihrem Ansatz, zeitgenössische Produkte zu machen, die man als lebenslange Begleiter nutzt und vererben darf, reine Marketingprodukte machen würde. Wir haben, als wir uns in der ersten Diversifikationsstufe entschieden haben, über Leder nachzudenken, die Firma Karl Seeger in Offenbach gekauft, weil wir Zugriff haben wollten auf die Herstellungskompetenz. Das ist ganz wichtig für uns. Montblanc ist eine Marke, die nicht lizenziert, sondern selbst macht.

Bei den Uhren gilt das ja wohl nur beschränkt.

Bei Schreibgeräten ist unsere Fertigungstechnik ungleich höher stehend. Wir machen bei Schreibgeräten zwar nicht alles unmittelbar selber, letztlich wird allerdings jede Komponente des Schreibgeräts doch irgendwo bei uns im Konzern gefertigt. Der Nachteil der Schweizer Uhrenindustrie in der Struktur ist die extreme Arbeitsteilung. Das bedingt relativ lange Vorläufe und eine entsprechend langatmige Realibilität.

Was heisst das?

Ein Beispiel: Wir haben 2003 das Modell Big Date auf der Messe vorgestellt. Es handelt sich bei einem Preis von 2700 Euro für Montblanc-Verhältnisse um eine hochpreisige Uhr. Wir waren vorsichtig mit unserer Planung und sind dann voll gegen die Wand gelaufen, weil die Nachfrage uns überforderte. Die Uhren waren auf der Messe bereits ausverkauft.

Wir schätzen, Sie haben eine Produktion von 3000 bis 4000 Stück eingesteuert. Verständlich, dass Sie frustriert sind, wenn Sie die Nachfrage nicht befriedigen können. Da hätte man wohl mehr riskieren können.

Hinterher ist man immer schlauer. Dann heisst es, was soll denn nun sein? Jetzt haben die ihre Uhren schon verkauft. Aber dann haben wir ja noch 200 Boutiquen, die wir auch bestücken müssen … Dann wurstelt man sich so durch.

Sie weinen dem entgangenen Umsatz nach?

Sowieso. Zudem verübelt uns dies der Juwelier sehr. Denn wir sind zwar der grosse Zampano für Schreibgeräte, kämpfen bei den Juwelieren jedoch um Akzeptanz. Wir müssen besser sein als die etablierten Marken.

Schaut man sich die Entwicklung an, müssten Sie doch ein ganzes Stück vorwärts gekommen sein.

Wir sind sehr zufrieden. In diesem Jahr haben wir den Chrono eingeführt, da haben wir optimistischer geplant. Mal gucken, was passiert.

Sie sind immer vorsichtig bei den Preisen. Nun liegen Sie mit einem Chronographen zwangsläufig 2000 Euro höher, und dann kann der Absatz wieder ganz anders ausfallen. Wie ist das Gesamtvolumen in der Produktion?

Wir haben voriges Jahr auf der Messe gesagt, wir bauen 80 000 Uhren, und wir wollten im vergangenen Jahr 100 000 Uhren machen. Das haben wir nicht geschafft. Aber dieses Jahr wollen wir 100 000 Uhren produzieren. Wir leben in einer unsicheren Welt, unter der Prämisse jedoch, dass das Damoklesschwert Terrorismus nicht niedersaust, sollten wir es schaffen. Das muss man heute ja immer einkalkulieren, denn was nach einem grossen Attentat passiert, weiss kein Mensch. Da fängt man an, ganz neu nachzudenken. Einstweilen gehen wir davon aus, dass die makroökonomisch-politische Lage zumindest nicht instabiler wird.

Bei einem Output von 100 000 Stück werden die Zeitmesser einen ansehnlichen Umsatzanteil am Gesamtgeschäftsergebnis erwirtschaften.

Wir sind eine grosse Schreibgerätemarke, aber wir sind auch keine kleine Uhrenmarke mehr. Wir generieren mit den Uhren mehr Umsatz, als wir mit dem Gesamtgeschäft gemacht haben, als ich vor sieben Jahren gekommen bin. Wir sind natürlich sehr zufrieden mit dem, was wir in diesen sieben Jahren bisher erreicht haben. Es zeigt, dass wir eine saubere Marke haben, die sauber geführt wird, die sich Mühe gibt, in der Wirtschaftskette sauber zu sein und auch in schwierigen Zeiten nicht in Panik zu verfallen. Diese Gesamtanstrengungen zahlen sich aus.

Sie haben Ihre eigenen Boutiquen. Wie viele sind des?

230 bis 250.

Und wie ist Montblanc im Fachhandel vertreten?

Bei den Uhren mit knapp 3000 Detaillisten.

Das ist viel. Weltweit?

Nun gut, das hat mit der Preispositionierung zu tun. Wenn Sie einmal Baume & Mercier nehmen: Die sind ähnlich positioniert im Preis wie wir und haben noch mehr. Die haben 4500 oder sogar 5000. 3000 ist durchaus eine vernünftige Grösse, um beim Juwelier das zu machen, was wir machen wollen. Dann haben wir neben den Juwelieren noch den traditionellen Handel, das Schreibwarengeschäft. Aber dieses führt natürlich keine Uhren.

Wo neben Deutschland liegt Ihr Schwergewicht?

Amerika ist unser grösster Markt. Aber das Land hat keine einfache Handelsstruktur. Wir haben da 50 eigene Boutiquen. Dies hilft der Marke, an Statur zuzulegen. Uhrenhändler sind ja nichts so Häufiges in den USA. Es gibt aber durchaus ein paar gute Uhrenpartner.

Sie sind gebürtiger Oberhesse, studierter Ingenieur und haben beim Kamerahersteller Leica gearbeitet.

Das hatte mein Vater so entschieden: Leica-Ingenieur! So fing ich an. Bis Hermès einen Anteil übernahm, gehörte ich auch dem Verwaltungsrat an. Nach der Übernahme legte mir Richemont nahe, das Mandat aufzugeben. Das war mir auch recht.

Was haben Sie gelernt bei Leica?

Da habe ich indirekt gelernt, wie wichtig es ist, die Distribution im Griff zu haben. Wie macht man Image? Zum Luxus gehört das Image, und fürs Image ist die Distribution ebenso entscheidend wie die Qualität der Produkte. Dies war das Problem bei Leica. Ich hab immer gesagt: Leute, wenn ihr eine Leica M6 an die Discountvertriebe gebt, dann könnt ihr euch anstrengen, wie ihr wollt! Man muss auch das Durchhaltevermögen haben, die Distribution radikal zu ändern. Und eine Alternative zu suchen.

Was heisst das, auf Montblanc übertragen?

Wir haben Anfang der neunziger Jahre erkannt, dass die traditionelle Distribution für die stets höherpreisig werdenden Schreibgeräte nicht mehr die Distribution der Zukunft sein konnte. Also mussten wir zu den Juwelieren. Es war überdies klar, dass sich der typische Schreibwarenladen in den europäischen Innenstadtlagen nicht würde halten können. Als wir mit Uhren anfingen, waren wir schon bei einigen Juwelieren mit Schreibgeräten vertreten. Mittlerweile zeichnet sich die Situation ab, dass Juweliere als Partner gefordert sein werden, die Gesamtmarke zu führen, also Uhren und Schreibgeräte. Wir werden nicht mehr tolerieren, dass jemand bloss das Schreibgerät will, aber keine Uhren. Wir werden diejenigen wählen, welche die Gesamtheit unserer Marke wollen. Diesen Neuorientierungsprozess muss man mit Augenmass angehen, wie man auch die Reduzierung der Schreibwarengeschäfte mit Augenmass betreiben muss: Die haben uns schliesslich gross gemacht. Es gibt einige – und ich sage dies mit Respekt –, die könnten ohne uns im Schreibwarenhandel nicht überleben. Es gehen zwar nur fünf Prozent an uns, aber für die bedeuten wir fünfzig Prozent des Umsatzes. Wenn wir uns von denen morgen verabschieden, bricht ihr Umsatz zusammen. Das ist ein evolutionärer Prozess. Diese Veränderungen kann man nicht per SMS bekannt machen. Das ist nicht unser Stil.

Pflegt das Haus also nicht bloss einen Uhren-, sondern auch einen Umgangsstil?

Wie gesagt, unsere Distribution ist kompliziert. Es gibt den Handel für hochwertige Schreibgeräte. Es gibt den Juwelier. Es gibt das Duty-free-Business. Alles funktioniert nach bestimmten Mechanismen.

Aber Ihre Produkte verkaufen sich doch von alleine?

Nichts verkauft sich von alleine. Selbst 100 Jahre Uhrmachergeschichte verkaufen sich nicht von alleine. Man muss sich jeden Tag neu auseinander setzen mit der Markenbildung. Die Stärke der Marke ist gleichzeitig auch ihre Schwäche: Montblanc gleich schwarzes, rundes Meisterstück, schwarz, Gold, erotisch. Es ist wie bei Rolex. Bis sich das Bewusstsein für eine Diversifizierung im Kernbereich bildet, dauert es lange. Die Marke ist wie ein kleines Kind, das man an der Hand führt. Man muss sich jeden Tag darum bemühen. Es wird immer schwieriger, je grösser und komplexer man wird. Wir sind ja gerade dabei, die Essentials aufzuschreiben. Ich habe lange mit meinen Marketingleuten um die Markenbibel gerungen, in der die Essenz der Marke festgeschrieben steht.

Das heisst?

Bis sich das Bewusstsein für eine Diversifizierung im Kernbereich bildet, dauert es lange. Die meisten Leute draussen sagen nach wie vor: «Montblanc ist dieses Ding da: Meisterstück.» Insofern muss man für die Uhren überproportional in die Kommunikation investieren, um die 8 Prozent vielleicht mal auf 50 zu kriegen.

Danach müsste Ihr Zeit- und Zielhorizont etwa auf 10, 15 Jahre ausgerichtet sein.

Montblanc wird in zwei Jahren 100 Jahre alt. Und irgendwann wird das Unternehmen 200 Jahre alt sein. Das hoffe ich zumindest sehr.