Herr Laffely, Sie haben Ihre Funktion also CEO am 12. Mai dieses Jahres angetreten, also auf dem Höhepunkt der ersten Corona-Welle. Das war vermutlich nicht der Start, den Sie sich gewünscht hatten. Wie war das?
In der Tat hatte ich mir den Start etwas anders vorgestellt. Offiziell habe ich meine Funktion am 12. Mai angetreten, aber ich war schon seit März für das Krisenmanagement zuständig. In dieser schwierigen sanitären und wirtschaftlichen Krise haben wir uns gut geschlagen. Vor allem haben wir uns sehr schnell organisiert und ich habe angesichts der kritischen Situation im Kanton Waadt Mitte März zügig angeordnet, den Geschäftssitz und unsere Agenturen zu schliessen. Da wir in den vergangenen Jahren an unserer Infrastruktur gearbeitet hatten, konnten 95 Prozent unserer Mitarbeitenden von einem auf dem anderen Tag im Homeoffice arbeiten, was nahezu perfekt funktioniert hat.

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Die zweite Herausforderung war dann die Rückkehr ins Büro. Aktuell sind unsere Mitarbeitenden 80 Prozent ihrer Zeit an ihrem Arbeitsplatz und können einen Tag pro Woche im Homeoffice arbeiten. Natürlich bewerten wir die Situation fortwährend und passen uns entsprechend an. Ich denke, dass diese Phase nicht leicht zu managen war. Die Amtsübergabe fiel zusammen mit einer Gesundheitskrise und einem Geschäftsrückgang, der sich inzwischen grösstenteils wieder erholt hat. Andererseits war es auch eine erste Bewährungsprobe für den Direktionsausschuss und so konnte die Übergangsphase in einer Zeit stattfinden, in der Leadership wichtig ist. 

Ihr Verwaltungsratspräsident Paul-André Sanglard sagte zu Ihrer Ernennung, dass Sie eine klare Vision der zukünftigen Herausforderungen hätten und dadurch der Vaudoise ermöglichen, sich den zukünftigen Marktbedürfnissen entsprechend zu entwickeln. Mit diesen Worten setzt er hohe Erwartungen in Sie.
Das ist seitens eines Verwaltungsratspräsidenten völlig normal. Zum einen hatte ich das Glück, zehn Jahre lang mit unserem ehemaligen CEO Philippe Hebeisen zusammenzuarbeiten, und in den letzten Jahren hat er mich immer in Entscheidungen mit Auswirkung auf die Zukunft einbezogen. Zum anderen habe ich ein leistungsstarkes Direktionsteam an meiner Seite.

Wie sehen denn die zukünftigen Herausforderungen der Vaudoise aus?
Genau wie für viele unserer Mitbewerber ist die Digitalisierung eines der beherrschenden Zukunftsthemen: Das fängt an bei einer kompletten Erneuerung unserer Architektur, um die Beziehung zu unseren Kunden reibungsloser zu gestalten, dann geht es darum, in unserem Geschäftsmodell für alle unsere Aktivitäten einen Omnikanal-Ansatz zu etablieren – der Kunde entscheidet über seinen Kanal, seine Interaktion und erhält überall den gleichen Service und die gleichen Konditionen, unabhängig vom Vertriebskanal –, unser Backend Nichtleben zu verstärken, bestehende Partnerschaften auszubauen und weitere einzugehen und in der Lage zu sein, im Markt neue Lösungen anzubieten. Für die Vaudoise-Gruppe sind das äusserst wichtige Investitionen. 

Zeitgleich verschärfen sich die Marktbedingungen zunehmend und wir müssen uns anpassen; an den zunehmenden Wettbewerb auch durch digitale Unternehmen und an die Finanzmärkte und die Wirtschaft, die den Versicherern gegenüber meiner Ansicht nach in den kommenden Jahren nicht sehr gnädig sein werden. Covid-19 wird eine weitere Herausforderung sein, wahrscheinlich für mehrere Jahre. Damit werden wir leben müssen. Mit unserem hohen Eigenkapitalpolster sind wir in der Lage, solch heiklen Marktbedingungen zu trotzen.

«Die Versicherung bleibt das Kerngeschäft unserer Strategie, doch wir möchten komplementäre Aktivitäten weiter ausbauen.»

Die Entwicklung von Zusatzaktivitäten zum traditionellen Versicherungsgeschäft ist offensichtlich Teil der Komplementärstrategie der Vaudoise-Gruppe. Wie ist hier der Stand der Dinge?
Das stimmt, die Versicherung bleibt das Kerngeschäft unserer Strategie, doch wir möchten komplementäre Aktivitäten weiter ausbauen. Wir möchten diese Entwicklung in den kommenden fünf Jahren schrittweise vorantreiben. Bis dato engagieren wir uns weiter in der Immobilienverwaltung für Dritte und haben Anteile an einigen vielversprechenden Startups erworben, die unserem Kerngeschäft nahestehen. Darüber hinaus werden wir komplementäre Angebote bei den Corporate Health Services und im Haustiersektor vermarkten.

Was beinhaltet das Ökosystem Corporate Health Services?
Die Rolle der Vaudoise Corporate Health Services ist es, Unternehmen jeglicher Grösse proaktiv Lösungen anzubieten; sehr frühzeitige Interventionen vor oder nach einer Arbeitsunfähigkeit mit dem Ziel, mittels Mediation Kosten und Konflikte zu vermeiden und dazu beizutragen, dass die betroffenen Mitarbeitenden schnell wieder integriert werden können. 

Die Vaudoise Corporate Health Services arbeiten mit einem Netzwerk an externen Partnern zusammen, das heisst mit Ärzten und anderen Gesundheitsexperten, und können in ihren Teams auf unterschiedliche Kompetenzen zugreifen: Juristen, Psychologen, Versicherungsexperten und Mediatoren. Die Vaudoise Corporate Health Services bieten Unternehmen kostenpflichtige Dienstleistungen an sowie diverse Schulungen zum Management von Absenzen, psychosozialen Risiken, Stress und Burnout. 

Stehen diese Leistungen auch Unternehmen zur Verfügung, die nicht Kunden der Vaudoise sind?
Wir starten in diesem Jahr bei Unternehmen und Brokerkunden der Vaudoise mit zwei kostenlosen Testläufen. In einem zweiten Schritt richten wir uns mit unserem Angebot an Unternehmen in der ganzen Schweiz, auch an Nichtkunden. 

Was ist sonst noch geplant?
Wir haben ein «Test-Ökosystem» lanciert, um unsere Position als Marktführer bei Versicherungen für Hunde und Katzen – «animalia» – zu stärken. In einem ersten Schritt bieten wir ein Tierfutter-Abo mit hochwertiger und ökologischer Tiernahrung an.

«Wir sprechen weiter über unsere genossenschaftliche DNA und die Gewinnweitergabe an unsere Versicherten.»

Ihr Konkurrent Mobiliar setzt in der Kommunikation stark auf die Rechtsform der Genossenschaft. Vor einiger Zeit hatte auch die Vaudoise in der Werbung diesen Weg beschritten, indem darauf hingewiesen wurde, dass die Mehrheit des Aktienkapitals der Vaudoise Versicherungen Holding AG von der Genossenschaft Mutuelle Vaudoise gehalten werde. In letzter Zeit habe ich aber nichts mehr wahrgenommen. Hat dieser Kommunikationsansatz nicht funktioniert? 
Unsere Kunden sind sehr zufrieden mit unseren genossenschaftlichen Wurzeln und unserem System der Gewinnweitergabe und das sagen sie uns auch! Nichtkunden kennen unser Geschäftsmodell nicht so gut und darum bleiben wir bei unserem Ziel, soll heissen: Wir sprechen weiter über unsere genossenschaftliche DNA und die Gewinnweitergabe an unsere Versicherten. In diesem Jahr gilt das ganz besonders, denn wir feiern das 125-jährige Bestehen der Mutuelle Vaudoise. In unserer aktuellen Werbekampagne geht es übrigens um die Gewinnweitergabe.

Die Vaudoise verfügt über ein Netz von 100 Agenturen in der ganzen Schweiz. Schwergewichtig jedoch in der Romandie. Wie sehen hier Ihre Pläne aus?
Unser Agenturnetz ist in der Westschweiz in der Tat dichter. Das liegt natürlich auch an der Geschichte unserer Gruppe. In der Deutschschweiz verfolgen wir die Strategie, mit weiteren Agenturen zu expandieren. Grundlage dafür sind detaillierte Analysen der betroffenen Regionen und inwieweit unsere Berater selbst in der Lage sind, auf die Bedürfnisse der Kunden einzugehen. Wie bereits erläutert, bieten unsere Agenturen ihre Dienste über Berater und auch lokale Broker an und auch via E-Business, dies im Rahmen unserer Omnikanal-Strategie.

Für uns steht der Kunde im Mittelpunkt, das hat für uns Priorität. Es freut uns sehr, gleich zwei Auszeichnungen als die Nummer eins der Kundenzufriedenheit erhalten zu haben, und zwar für die Hausrat-/Privathaftpflicht- und Motorfahrzeugversicherung, gemäss den letzten Zufriedenheitsumfragen von Comparis und bonus.ch.

Welche Bedeutung hat eigentlich der Brokerkanal für die Vaudoise?
Der Brokerkanal hat einen Anteil von rund einem Drittel an unserem Nichtleben-Geschäft. Dieser Teil fällt bei den Unternehmensgeschäften stärker ins Gewicht. Für diesen Kanal streben wir ebenfalls ein rentables Wachstum an. Wir möchten langfristige vertrauensvolle Beziehungen mit unseren Partnern aufbauen, und die Broker zählen selbstverständlich dazu.

2005 hatte die Vaudoise das BVG-Geschäft an Swiss Life verkauft und dafür von der «La Suisse» das Motorfahrzeug-, Sach- und Haftpflichtgeschäft übernommen. Die Vaudoise bietet aber weiterhin BVG-Versicherung an, allerdings diejenigen Ihres Partners Swiss Life. Wäre es im Nachhinein nicht gescheiter gewesen, das BVG-Geschäft selbst zu führen?
Ich denke nicht. Die Aufgabe des Geschäfts mit der zweiten Säule hat es uns ermöglicht, die von Ihnen genannten Branchen zu stärken. 2005 konnten wir dadurch unsere Bilanz entlasten, die während der Finanzkrise 2008 schwer gewogen hätte. Diese Branche ist mit den Auflagen des Schweizer Solvenztests SST sehr kapitalintensiv. Einerseits können wir über diese gute Partnerschaft unseren Kunden die Angebote des Schweizer Marktführers in diesem Bereich anbieten. Andererseits ist unsere Zusammenarbeit mit Swiss Life in diesem Jahr durch die Vermarktung von Nichtleben-Versicherungen durch ihre Berater deutlich enger geworden. Für die Entwicklung unserer Marke in der Deutschschweiz ist das sehr positiv. 

«Dass Philipp Hebeisen meine Arbeit kontrolliert, ist wirklich übertrieben.»

Letztes Jahr haben Sie Pittet Associés SA, eine Beratungsgesellschaft für Vorsorgeeinrichtungen, gekauft. Wie ist dieser Schritt zu interpretieren?
Wir haben die gute Gelegenheit genutzt, eine in der Westschweiz in diesem Bereich marktführende Firma zu erwerben, die im Gesamtschweizer Markt ebenfalls von Bedeutung ist. Die Vaudoise steht für Beratung mit Mehrwert und das ist genau das Geschäftsmodell von Pittet in einem Bereich, in dem wir kein Risiko mehr tragen, aber weiter tätig sind. 

Noch ein Wort zu Ihrem Vorgänger. Philippe Hebeisen hat nun in den Verwaltungsrat gewechselt und kontrolliert damit Ihre Arbeit. Ich sehe diese Konstellation als suboptimal an, weil es so für Sie schwierig sein dürfte, allfällige Korrekturen bei der Strategieumsetzung anzubringen.
Dass er meine Arbeit kontrolliert, ist wirklich übertrieben. Der Verwaltungsrat unserer Gruppe besteht aus acht Mitgliedern, die die Aufsicht über die Gruppe haben und mit denen der Direktionsausschuss in verschiedenen Komitees eng zusammenarbeitet. Das Risiko, kontrolliert zu werden, ist also gering. Ausserdem arbeite ich seit 2009 Hand in Hand mit meinem Vorgänger Philippe Hebeisen und habe in diesem Sinne zum Aufbau der aktuellen Strategie beigetragen. 

Mögliche Korrekturen an der zukünftigen Strategie sind eher als Ergebnis der Gespräche im Direktionsausschuss in Zusammenhang mit der Entwicklung unseres Geschäfts zu sehen und ich bin überzeugt, dass dies für meinen Vorgänger kein Problem ist. Ich bin also froh darüber, im Verwaltungsrat auf Philipp Hebeisens anerkannte Kompetenzen zählen zu können.