Genadi Man, Co-Gründer von kasko2go, hat Sie zum neuen CEO ernannt. Sie waren bisher als COO bei der Bank Hapoalim Switzerland tätig. Als Banker sollen Sie ein Tech-Startup aus dem Versicherungsbereich leiten, kommt das gut?
Bevor ich in den Bankensektor kam, leitete ich Technologieunternehmen und -teams und bot Dienstleistungen, Beratung und Lösungen auch für die Versicherungsbranche an. Während meiner Laufbahn habe ich praktisch das gesamte Spektrum an technischen und geschäftlichen Aufgaben abgedeckt, von der Softwareentwicklung und Big-Data-Analytik über interne Audits bis hin zur Umsetzung von Geschäftsstrategien. 

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Als mir angeboten wurde, als CEO von kasko2go einzuspringen, fühlte es sich wie ein natürlicher Übergang an. Die Banken- und die Versicherungsbranche haben viele Gemeinsamkeiten. Ähnlich wie die Versicherungsbranche wird auch das Bankwesen durch disruptive Geschäftsmodelle, Risikomanagement und Druck auf die Gewinnmargen herausgefordert.

Meine langjährige Erfahrung im Bankensektor und in der Technologie bringt kasko2go die nötigen Bausteine, um das Leistungsversprechen konsequent und zielgerichtet umzusetzen. 

Bei der Bank Hapoalim waren Sie u. a. für die Bereiche Informationstechnologie und Cybersecurity zuständig. Zusätzlich haben Sie Fachkenntnisse in Digital Transformation, Risk & Compliance. Also Fähigkeiten, die bei Banken derzeit hoch im Kurs stehen. Was hat Sie motiviert, trotzdem zu einem Startup zu wechseln?
Es war keine leichte Entscheidung, aber ich kenne nicht viele Menschen, die zu einem Unternehmen wie kasko2go nein sagen würden. Kasko2go ist eine Plattform mit talentierten Menschen, einzigartiger Technologie und einem disruptiven Value für die Versicherungsbranche. Unsere DNA passte ideal zusammen und für mich bot sich die Gelegenheit, all das Wissen und die Fähigkeiten zu nutzen, die ich im Laufe meiner internationalen Karriere in den Bereichen Geschäftsentwicklung, Innovation und Risikomanagement erworben habe. 

«Die israelische Armee ist bekannt dafür, dass sie einer der besten Standorte für technologische Talente ist.»

Nicht nur Genadi Man, sondern auch Ihr Geschäftsleitungskollege Oleg Korol haben erste technologische Erfahrungen in der israelischen Armee gesammelt. Wie gross ist die Bedeutung der Armee als Nährboden für Startups im Technologiebereich?
Die israelische Armee ist bekannt dafür, dass sie einer der besten Standorte für technologische Talente ist. Das Militär behält die neuesten Techniktrends im Auge, identifiziert Talente bei der Rekrutierung und bildet sie mit Arbeitsethik und Wissen aus. Es ist keine Überraschung, dass ehemalige Tech-Talente der israelischen Armee für einige der grössten Startup-Erfolge weltweit verantwortlich sind. 

Wenn man gut genug ist, um in die technologische Nutzung der Armee aufgenommen zu werden, verlässt man diese im Alter von 21 bis 24 Jahren mit einem einzigartigen Wissen über Spitzentechnologien und dem aussergewöhnlichen Verständnis, dass alle Aufgaben machbar sind und jede Herausforderung bewältigt werden kann.

Dieses Wissen und diese Einstellung sind die Grundlagen der Startups in der Startup-Nation Israel.

Genadi Man erwartet von Ihnen «wertvolle Impulse für die Weiterentwicklung des Geschäftes». Bei Ihrer Ernennung sagte er, dass Sie eine wichtige Rolle im Hinblick auf den Erfolg der geplanten internationalen Unternehmensexpansion einnehmen. In welche Richtung soll die Expansion gehen?
Die beiden jüngsten innovativen Produkte Normal Sigma Light und Normal Sigma Pro sind so konzipiert, dass sie in Abhängigkeit von der Grösse und dem geografischen Standort des Kunden skaliert werden können. Wir sind heute an einem sehr komfortablen Punkt angelangt, an dem wir unseren Value praktisch überall virtuell liefern können. 

Einer der Auslöser dafür, dass potenzielle Kunden auf uns zukommen, ist die unkomplizierte, einfache Implementierung. Deshalb richten wir Front-Offices ein, die bestimmte interessante Regionen abdecken, so auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Mein Ziel ist es, unsere Präsenz und Lieferfähigkeit weiter zu stärken und mein internationales Netzwerk so zu nutzen, dass unsere Ziele erfolgreich erreicht werden.  

Geografisch werden wir die folgenden Regionen nach Priorität ausbauen: 1) DACH und angrenzende Länder, 2) USA und Israel, 3) APAC.

«Unsere grösste Herausforderung besteht heute darin, die Nachfrage zu befriedigen.»

Hat es bei dieser Expansionsstrategie auch Platz für Kooperationen und/oder M&A?
Die Antwort ist eindeutig ja. Unsere grösste Herausforderung besteht heute darin, die Nachfrage zu befriedigen. Daher sind wir derzeit dabei, strategische Partnerschaften mit wichtigen Akteuren der Automobilindustrie, GIS-Anbietern und Wiederverkäufern einzugehen. Wir sind offen für Kooperationen und, unter bestimmten Umständen, auch für Fusionen und Übernahmen.

Das kasko2go-Geschäftsmodell will für die Motorfahrzeug-Versicherungsbranche eine präzise Risikobewertung mit nachweislichen Korrelationen zu Unfällen bieten. Risikoberechnungen auf Datensätze basierend existieren jedoch bereits. Was ist bei Ihnen anders?
Es gibt einen Grund, warum trotz den vielen Jahren der Telematik-Fähigkeiten die Durchdringungsrate dieser Technologie sehr niedrig ist und in den meisten Märkten bei 1 bis 3 Prozent liegt. Es handelt sich um unbewiesene Technologien, die weitere Jahre der Forschung und Datenerhebung erfordern und nur schwer in Versicherungsunternehmen zu integrieren sind.

Traditionelle Telematik-Anbieter konzentrieren sich auf Verhaltensparameter, die keine nachgewiesene Korrelation zu tatsächlichen Unfallraten aufweisen. Bei der Sigma-Produktfamilie konzentrieren wir uns auf eine wahrscheinlichkeitsbasierte Risikobewertung, bei der ausschliesslich bewährte Parameter verwendet werden, die eine minimale Beteiligung der Versicherungsunternehmen erfordern. 

Auf der Grundlage historischer Unfalldaten, der Wetterbedingungen, der Verkehrsdichte, des Strassenzustands, der Zeitplanung und vieler anderer Parameter können unsere firmeneigenen Algorithmen den Fahrern eine spezifische Wahrscheinlichkeit zuordnen, in einen Unfall verwickelt zu werden.

Risikoberechnungen werden auf der Grundlage von Datensätzen durchgeführt, das ist richtig. Die Frage ist nur, welche Datensätze Sie verwenden und, noch wichtiger, wie man diese beschafft.

Der Sinn unseres Systems besteht darin, zugängliche Datensätze zu verwenden, die in den meisten Fällen unvollständig sind und keinen Genauigkeitsfilter aufweisen. Unser System bereinigt die Ungenauigkeiten und vervollständigt die Daten mithilfe von KI-Technologien, die auf dem neuesten Stand der Datenerfassung und -korrektur sind.

Erst wenn die Daten sauber und klar sind, können wir mit unseren Berechnungen beginnen und unseren Kunden einen Mehrwert bieten, d. h. eine bessere Datenqualität für eine effizientere Risikobewertung, auch dank bewährten Daten zur Unfallwahrscheinlichkeit.

«Datenschutz ist ein Thema, mit dem ich sehr vertraut bin und das für uns höchste Priorität hat.»

Die Erstellung von Fahrerprofilen mit individuellen Risikoberichten könnte aus Datenschutzgründen heikel sein – und von Land zu Land unterschiedlich ...
Datenschutz ist ein Thema, mit dem ich sehr vertraut bin und das für uns höchste Priorität hat. «Privacy by Design» ist ein Schlüsselprinzip bei der Entwicklung von kasko2go, und wir behandeln Datenschutzrisiken in der gesamten Lieferkette unseres Produkts. Unser Ausgangspunkt ist die Vermeidung der Erfassung von persönlichen Informationen über den Fahrer. Dann wenden wir zusätzliche Kontrollmechanismen an, um den Zugang und die Daten zum System zu schützen. Dazu gehören die Verschlüsselung des Datenverkehrs zwischen den Geräten und unseren Servern, die Verwendung des Zero-Knowledge-Authentication-Protokolls für Kommunikationszwecke und verschiedene Massnahmen zur Sicherung der Integrität von Kundenberichten.        
 
Präzise Unfallwahrscheinlichkeiten für jeden Autofahrer, jede Autofahrerin scheinen äusserst fehleranfällig. Für die betroffene Person kann das unangenehme Konsequenzen etwa bei der Höhe der Prämien haben. Das erinnert mich an den Science-Fiction-Thriller «Minority Report», in dem Verbrecher erwischt werden, bevor sie ihr Verbrechen begehen können, also für etwas bestraft werden, das sie noch gar nicht gemacht haben.
Die grösste Ähnlichkeit zwischen dem Thriller «Minority Report» und kasko2go besteht darin, dass wir uns auf eine sehr ausgeklügelte Technologie verlassen. Der Hauptunterschied besteht darin, dass wir uns nicht auf Zukunftsvisionen verlassen, sondern historische Daten verwenden. Unsere Technologie hat ein breites Anwendungsspektrum, das von einem optimierten Management von Versicherungsunternehmen bis hin zur Identifizierung problematischer Strassenabschnitte durch lokale Behörden reicht.

Weitere Anwendungsfälle sind die Sicherheits- und Routenoptimierung für logistische Zwecke, das Upselling von Versicherungsprodukten bei Flottenmanagern, die dynamische Risikobewertung und die Integration von Unfallkarten in Navigationssysteme sowie die Effizienzplanung im öffentlichen Verkehr. 

Ich möchte vor allem darauf hinweisen, dass sich aus der Sicht des Fahrers und der Versicherungsgesellschaft an der Art und Weise, wie Risiken und Prämien heute berechnet werden, mit unserem System nichts ändert. 

Heute wird das Risiko auf der Grundlage früherer Schadenfälle, Ihres Alters, Ihres Wohnortes usw. berechnet. Wenn Sie sich jedoch an den Film erinnern, so beruhte er auf dem Vertrauen, das die Menschen und die Regierung in drei Personen setzten, die in der Tat die vertrauenswürdige Autorität für die Zukunft der Kriminalität waren. Ausserdem war das System ungetestet und nicht duplizierbar, weil es auf der Anomalie der Existenz der drei Precogs beruhte.

In der Welt der Versicherungen gibt es keine vertrauenswürdige Autorität. Die Regierung beaufsichtigt die Versicherungsbranche und jede Versicherungsgesellschaft führt ihre eigenen Berechnungen durch und wählt dann ihre Kunden aus. Die Berechnungen werden auf der Grundlage riesiger Datensätze durchgeführt, die eine gute statistische Korrelation mit dem gesamten Portfolio einer bestimmten Versicherungsgesellschaft ergeben. 

Zusammen mit der extremen Kommerzialisierung des Autoversicherungsmarktes, wo die Fähigkeit der Preissenkung über Erfolg oder Misserfolg einer Versicherungsgesellschaft entscheidet, bieten wir eine zusätzliche Datenquelle, die es der Versicherungsgesellschaft ermöglicht, die Preise sicher zu senken. Der Vorteil dieses Prozesses ist, dass die Versicherungsgesellschaft das Risiko eines jeden Fahrers genauer einschätzen und den Fahrern somit einen fairen Preis anbieten kann.

Dieser Zustand wird zwangsläufig den Preis der Versicherungsprämie für einige Fahrer erhöhen, während er für andere deutlich sinkt. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob einige Fahrer schlechtere Konditionen erhalten, während andere besser wegkommen. Es ist wichtig zu erkennen, dass die Fahrer, die das schlechtere Angebot erhalten, die risikoreicheren Fahrer für die Versicherungsgesellschaft sind. Diese profitieren zurzeit davon, dass die Versicherungen nicht in der Lage sind, das Risiko genau genug einzuschätzen. D. h., die Fahrer, die weniger Risiko verursachen, zahlen hierfür den Preis.

Unser System behebt diese Ungerechtigkeit, indem es die «Bestrafung» der Fahrer mit geringerem Risiko unterbindet.

«Ich begrüsse autonome Fahrzeuge und denke, dass unser Wertangebot sehr gut in die Welt von morgen passen würde.»

Wie kommt Ihnen die Entwicklung hin zu Autonomous Vehicles, also autonom fahrenden Autos, entgegen?
Ich begrüsse autonome Fahrzeuge und denke, dass unser Wertangebot sehr gut in die Welt von morgen passen würde. Ob mit oder ohne Fahrer, einige Parameter werden immer bestehen bleiben und für die Unfallwahrscheinlichkeit entscheidend sein, darunter Strassenbedingungen, Wetter und frühere Unfälle. Wir haben Daten von 3,2 Millionen Strassen gesammelt, die von autonomen und herkömmlichen Fahrzeugen genutzt werden können. 

Der Grund, warum wir uns auch auf das autonome Fahren freuen, ist, dass wir uns im Gegensatz zu anderen Unternehmen nicht auf die Analyse des Fahrerverhaltens konzentrieren. Stattdessen konzentrieren wir uns auf die Situation, in der das Fahren stattfindet, auf die Umgebung und das Risiko, das sich daraus für den Fahrer ergibt.

Selbst wenn der Fahrer zu einem Roboter und die Analyse seines Verhaltens überflüssig und unvernünftig wird, wird es immer noch wichtig sein, ihn mit Daten über Risikobereiche und die Umgebung zu versorgen. 

Autonome Autos sollen einige der grössten Risiken wie die Verkehrsdichte in und um Städte herum angehen und die meisten fahrerbezogenen Risiken eliminieren. Doch das ist Zukunftsmusik. Hat kasko2go das finanzielle Kapital, um bis dorthin durchzuhalten?
Kasko2go ist Teil der Entwicklung von autonomen Autos und unsere Geschäftsstrategie ist sehr gut auf die zukünftigen Innovationen in der Automatik- und Versicherungsbranche abgestimmt.

Wir können nicht mit Sicherheit sagen, wie lange es noch dauern wird, bis die Strassen nur noch von selbstfahrenden Fahrzeugen bevölkert sind. Es könnte einige Jahre, aber auch länger dauern. In der Zwischenzeit können wir mit unserer Technologie die traditionelle Automobilindustrie unterstützen und Versicherungsunternehmen und anderen Branchenakteuren helfen, sich auf die Zukunft vorzubereiten. 

Mit anderen Worten: «Bis dorthin durchzuhalten», ist weder ein Plan noch eine Strategie für uns. Wenn kasko2go zu dem werden soll, was es meiner Meinung nach sein kann, muss es seinen Kunden heute schon einen Mehrwert bieten und für morgen bereit sein.

Das ist der Grund, warum wir das Geschäft der Verhaltensanalyse verlassen haben, das nach unseren Schätzungen fünf bis zehn Jahre hinter der Entwicklung eines funktionierenden Verhaltensanalyse-Risikomodells zurückliegt. Wir verwenden Daten, die heute verfügbar sind, um sicherzustellen, dass der Value, den wir bieten können, von heute bis in die Zukunft reicht.

Wäre ein Börsengang zur Kapitalbeschaffung oder ein Verkauf von kasko2go dereinst eine Option?
Ein Börsengang könnte in Zukunft eine Möglichkeit sein.