Wie erklären Sie sich, dass der Bundesrat den Bemühungen der Versicherungsbranche vor wenigen Wochen eine Abfuhr erteilt hat?
Es ist offensichtlich, dass der Bundesrat die Prioritäten anders legt; er stuft die politische Machbarkeit einer Pandemieversicherung zurzeit als nicht gegeben ein und scheint sich an die aktuelle Lösung, sprich an die Schuldenwirtschaft, gewöhnt oder sich zumindest damit abgefunden zu haben. Aus unserer Sicht ist das langfristig nicht im Interesse der Schweizer Volkswirtschaft.

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Warum nicht?
Mit der jetzt praktizierten À-fonds-perdu-Lösung steigt die Staatsverschuldung; das ist langfristig falsch. Wir dürfen nicht ausser Acht lassen, dass die Kosten für die getroffenen Massnahmen die Steuerzahler tragen. Die Tilgung dieser Schulden wird in die nächste Generation verlagert, die ohnehin schon mit anderen Herausforderungen wie zum Beispiel der ungesicherten Altersvorsorge zu kämpfen haben wird. Es darf nicht sein, dass auch bei einer nächsten Pandemie die nachfolgenden Generationen die finanzielle Last tragen, die sich aus den anwachsenden Staatsschulden ergibt. Mit einer Versicherungslösung hätte man eine Vorfinanzierung, auf die man in einem Schadenfall zurückgreifen könnte. Dies gäbe den Unternehmen Klarheit und Berechenbarkeit, weil vertraglich genau definiert ist, welchen Betrag sie im Schadenfall erhalten. Anderseits würde damit auch der Anreiz gesetzt, präventiv zu wirken und den Schaden einzugrenzen.

Im Fokus:

«I.VW Policy Brief: Versicherbarkeit von Pandemierisiken»
Dieser I.VW Policy Brief fasst das Arbeitspapier "Versicherbarkeit von Pandemierisiken" von Helmut Gründl (Goethe-Universität Frankfurt), Danjela Guxha (Universität St.Gallen), Anastasia Kartasheva (Universität St.Gallen) und Hato Schmeiser (Universität St.Gallen) zusammen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Spielraum für den privaten Markt für die Deckung von Pandemieverlusten begrenzt ist und Mechanismen des Risikotransfers auf den Finanzmarkt sowie die Rolle des Staates in Betracht gezogen werden sollten, um die Gesellschaft auf die nächste Pandemie vorzubereiten.

Weitere Auskünfte zum aktuellen «I.VW Policy Brief»: www.ivw.unisg.ch/hs

Glaubt die Branche nach diesem Entscheid noch an eine Versicherungslösung?
Ja, absolut. Wir sind überzeugt, dass das Thema wieder aufs politische Parkett kommt und weiterentwickelt werden wird. Denn mit einem Erdbeben, einer Cyberattacke, Terrorismus oder einer Strommangellage gibt es neben Pandemien weitere Grossrisiken, die früher oder später eintreten könnten. Wir sind überzeugt davon, dass über die Zeit hinweg eine politische Mehrheit zustande kommt, die einsieht, dass es bei Top-Risiken besser ist, zu agieren als zu reagieren, und es darum eine Versicherungslösung braucht.

Ist die Abfuhr also nur zustande gekommen, weil die Wirtschaft durch das Gratisgeld verwöhnt worden ist?
Aktuell scheint es zumindest im Bundesrat noch keine politische Mehrheit zu geben, das ist Fakt. Die Wirtschaft, die Sie ansprechen, hat sich jedoch noch gar nicht detailliert mit unseren Modellen auseinandersetzen können. Hierzu gab es erst vereinzelte Kontakte.

Sie haben angetönt, dass die Schweiz früher oder später von einem nächsten Grossrisiko betroffen sein könnte. Um eine Versicherung zu äufnen, braucht es Zeit. Wie lange müsste ein Pandemie-Versicherungstopf gefüllt werden, bis er ein Schadenereignis abdecken könnte?
Damit eine Versicherungslösung greifen kann, braucht es eine Vorlaufzeit. Auch aus diesem Grund streben wir eine Public-Private Partnership an, vor allem in der Aufbauphase braucht es den Staat als Rückversicherung oder Eventualkreditgeber. Je länger die Ansparphase dauert, umso kleiner wird die Rolle des Bundes. Bis bei einem Kapital-Pool genügend Mittel geäufnet sind, dürfte es zwischen fünf bis zehn Jahre dauern.

Heisst das, die Branche arbeitet nun weiter an einer Pandemieversicherungslösung?
Wir stehen selbstverständlich weiterhin für einen konstruktiven Dialog zur Verfügung und sind an einer Lösung für eine Pandemieversicherung interessiert. Wir setzen uns generell für optimale Rahmenbedingungen ein, damit die Schweizer Wirtschaft auch bei Top-Risiken ein solides Sicherheitsniveau hat. Unsere Rolle ist es aber auch, die Grenzen der Versicherbarkeit aufzuzeigen. Pandemien und auch andere Kumulrisiken sind rein privatwirtschaftlich nicht versicherbar, es braucht deshalb eine Zusammenarbeit mit dem Bund. Für eine solche bieten wir nach wie vor Hand und suchen Stakeholder, die das auch möchten.

Was macht der SVV konkret, um Partner zu finden?
Wir stehen in Kontakt mit verschiedenen Parlamentarierinnen und Parlamentariern jeglicher Couleur, die wie wir Interesse daran haben, das Risikomanagement der Schweiz verbessern zu wollen. Und natürlich sprechen wir auch mit anderen Branchen- und Dachverbänden, die ebenso ein Interesse an Ex-ante-Lösungen für Top-Risiken haben müssen.

Welche Verbände sind das?
Das sind in erster Linie Wirtschaftsverbände, die das Bedürfnis haben, ihren Mitgliedern Sicherheit zu bieten. Denn ich möchte noch einmal betonen: Mit einer Versicherung zahlt man nicht nur Prämien, sondern erhält auch etwas dafür.

Die enorme Komplexität einer Pandemieversicherung sowie anderer Kumulrisiken ist kaum greifbar. Wie sehen die idealen Rahmenbedingungen für solche Produkte aus?
Als Versicherungswirtschaft sind wir an einer Risikoabdeckung interessiert. Bei Grossrisiken erfährt die rein privatwirtschaftliche Versicherbarkeit jedoch Grenzen, weil alle Risiken geografisch und zeitlich miteinander eintreffen. Der Lösungsansatz heisst hier «Risiko-Partnerschaft», also ein Zusammenspiel zwischen Versicherten, Bund und der Versicherungswirtschaft.

Was wir nicht unterschätzen dürfen, ist das Thema Schadenabwicklung. Im Falle eines Top-Risikos können durchaus 300’000 Schadenmeldungen innerhalb von wenigen Wochen eintreffen. Die Versicherungswirtschaft hat das Fachwissen und die Prozessfähigkeit, um diese Zahl automatisiert abzuarbeiten.

Hat der SVV nach den abgelehnten Vorschlägen noch weitere Lösungsansätze in petto?
Der Bund als Eventualkreditgeber oder eine Art subventionierte Pandemievorsorge auf individueller Ebene ohne Obligatorium könnten weitere Lösungsansätze sein. Diese wären zusammen mit den involvierten Partnern zur Umsetzungsreife zu entwickeln.

Sie haben die automatisierten Prozesse angesprochen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass in der Assekuranz in Sachen Digitalisierung noch Aufholbedarf besteht …
Das sehen wir anders. In den ersten Tagen der Pandemie konnte die Branche praktisch den gesamten Schadendienst, der bei einer Mitgliedgesellschaft schon einmal über 1000 Mitarbeitende umfasst, von den Büros ins Homeoffice transferieren. Die Kunden haben davon nichts gespürt, denn die Leistungen wurden unverändert weitergeführt. Auch das ist Digitalisierung. Aber es stimmt, unsere Branche entwickelt sich fortlaufend weiter und muss auch die Digitalisierung konstant vorantreiben.

Mit Pandemien haben wir Erfahrung. Wie sieht es mit den anderen Top-Risiken aus? Braucht es für diese auch eine gemeinsame Lösung mit dem Bund?
Mit dem Elementarschadenpool haben wir eines dieser grossen Risiken seit Jahrzehnten erfolgreich im Griff. Das beweist: Wenn der politische Wille da ist, funktioniert es. Auch andere Top-Risiken benötigen geeignete Rahmenbedingungen für Versicherungslösungen, oftmals kann das eine gemeinsame Lösung mit dem Bund darstellen. Zu den neuen Top-Risiken wie Cyberrisiken stehen uns heute noch nicht ausreichend Daten zur Verfügung, was die Arbeiten erschwert.

Werden also irgendwann ganz verschiedene nationale Versicherungstöpfchen existieren: eines für Pandemien, eines für Blackouts, eines für Cyberattacken? Oder schwebt Ihnen ein grosser Topf für alle Kumulrisiken vor?
Letzteres wohl eher nicht, denn die einzelnen Top-Risiken sind schon derart vielschichtig, dass eine Kombination die Lösungsfindung unnötig weiter erschweren würde. Wir plädieren bei Grossrisiken dafür, einen Schritt nach dem andern zu machen.

Gibt es Staaten, die bereits weiter sind als die Schweiz?
Natürlich haben wir immer mal wieder ins Ausland geschaut. Doch auch dort werden dieselben Fragen diskutiert wie bei uns. Bei der Lösungsfindung für eine Public-Private Partnership sind wir aber einen Schritt weiter als unsere Nachbarstaaten. 

Woran liegt es, dass die Schweiz die Nase vorn hat?
Wir haben einen sehr starken Versicherungsstandort mit exzellentem Know-how bei Erst- und Rückversicherern. Dank diesem Wissen konnten wir Ideen schneller und zielführender konkretisieren, als dies in anderen Ländern gelungen ist. Als Versicherungsbranche sehen wir unsere volkswirtschaftliche Rolle auch darin, auf Fragen, die uns als Gesellschaft beschäftigen, mit unserer Expertise Antworten zu finden, die den Standort Schweiz weiterzuentwickeln helfen.