Die Corona-Pandemie hat nicht nur Nerven und Gesundheitssysteme strapaziert, sie hat auch unzählige gesellschaftliche Fragen aufgeworfen. Eine davon lautet: Sollen Menschen, die sich bei drohender Überlastung von Spitälern trotz vorhandenen und geprüften Impfstoffen nicht impfen lassen wollen, allfällige Behandlungskosten selber zahlen oder nicht?

Denn Tatsache ist: Eine Corona-Behandlung ist teuer. Gemäss dem Krankenversicherer CSS kostet die Akutpflege von Corona-Patienten durchschnittlich rund 20’300 Franken. Knapp die Hälfte der Kosten wird durch die Versicherung gedeckt, den Rest übernimmt der Kanton, sprich die Allgemeinheit. Die Kosten für Rehabilitation sind hierbei noch nicht eingerechnet. Während die Zeit der Diskussionen in Singapur im vergangenen Dezember abgelaufen ist und ungeimpfte Corona-Patienten dort die Kosten für ihre Behandlung selber bezahlen müssen, wurde in Österreich die allgemeine Corona-Impfpflicht eingeführt. Beides Szenarien, die für die Schweiz nach wie vor undenkbar sind – obwohl immer wieder Stimmen in diese Richtung laut geworden sind. 

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Risikoeinschätzung auf individueller Basis

So forderte Andreas Utermann, Versicherungsexperte und designierter VR-Präsident der Bank Vontobel, vor wenigen Wochen in einem Interview mit der Financial Times statt einer Impfpflicht, dass Ungeimpfte die Kosten für ihre Behandlung selber berappen müssen. Risiken abzuwägen sei im Versicherungswesen bereits gängig, argumentierte er: «Private Versicherungen bewerten das Verhalten ihrer Mitglieder, indem sie das Risiko auf individueller Basis einschätzen.» Um die Wogen etwas zu glätten, schlug Utermann vor, die finanzielle Lage der Betroffenen zu berücksichtigen und die Kosten als Prozentsatz an das Jahreseinkommen der Patienten anzupassen.

Diskussionen über das Verursacherprinzip

Ähnliche Denkanstösse platzierte auch der Lausanner Wirtschaftsprofessor Marius Brülhart: «Wenn die Pandemie weiter andauert, braucht es eine Diskussion über das Verursacherprinzip», forderte er. Gesellschaftlich ein heisses Eisen, das kaum eine Politikerin oder ein Politiker aus dem Feuer nehmen wird. Denn Schuldfragen mit medizinischen Fragen in einen Topf zu werfen, geziemt sich hierzulande nicht und widerspricht wohl auch dem solidarischen Grundgedanken des Schweizer Krankenversicherungsgesetzes.

Nudging mithilfe der Nachbarn

Was also ist zu tun, wenn Zwang nicht dem politischen Konsens entspricht und Diskussionen zwar episch geführt werden, aber nicht zum Ziel führen? «Am besten gelingt eine Verhaltensänderung, wenn sie möglichst einfach und mit wenig Aufwand möglich ist», weiss Sebastian Kernbach, Assistenzprofessor und Gründer des Life Design Lab an der Universität St. Gallen. Für die meisten Menschen gelte das «law of least effort», also das Gesetz des geringsten Widerstandes. Daher müssten Impfstationen dort aufgebaut werden, wo die Menschen ohnehin hingehen – in Kirchen, Sportstadien oder Innenstädten.

Sebastian Kernbach: «Alle Stupfer sollten mit kontinuierlicher Kommunikation einhergehen»

Zudem seien für Menschen soziale Normen sehr wichtig. Will heissen: Wenn ich zum Beispiel weiss, dass in meiner Nachbarschaft die meisten Menschen geimpft sind, dann ist die Chance gross, dass ich mich auch impfen lasse. Weiter gibt Kernbach auch der guten alten Belohnung gute Noten. «Eine Grillwurst oder die Chance auf einen Gewinn könnten das Verhalten durchaus in Richtung Impfung bewegen.» Alle «Stupfer», so der Ökonom, sollten aber einhergehen mit kontinuierlicher Kommunikation.

Derweil beschreitet die Schweiz den gewohnten Weg der direkten Demokratie. So freuten sich die Initianten der Volksinitiative «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit» vor einigen Tagen darüber, dass ihre Initiative offiziell zustande gekommen ist und Schweizerinnen und Schweizer an der Urne über eine Impfpflicht werden abstimmen können. Man darf gespannt darauf sein, wie sich die Diskussionen entwickeln, falls sich die sich aktuell abzeichnende Entspannung an der Pandemiefront nur als temporär erweisen sollte.