Die Digitalwährung Bitcoin steuert auf ihre wohl härteste Probe in ihrer 6-jährigen Existenz zu. Sie droht, zumindest kurzfristig an Vertrauen zu verlieren. Grund ist ein fundamentaler Richtungsstreit unter den Programmierern der Software für die digitale Währung. Die Folgen des Disputs sind nicht absehbar. Aber bei einer Marktkapitalisierung von knapp 4 Milliarden Dollar in Bitcoin steht viel auf dem Spiel. Bereits ventilieren erste Exponenten die Möglichkeit von Sammelklagen gegen einzelne Programmierer.

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Hintergrund der jüngsten Entwicklung ist die Leistungsfähigkeit des Bitcoin-Netzwerks. Derzeit können maximal 7 Transaktionen pro Sekunde verarbeitet werden. Das reicht heutzutage, doch bei einer weiteren Popularisierung von Bitcoin ist das zu wenig. Aus diesem Grund will eine Fraktion der Bitcoin-Experten die Leistungsfähigkeit zügig auf Anfang 2016 anheben.

Bitcoin XT

Um mehr Transaktionen pro Sekunde zu ermöglichen, muss allerdings die Software modifiziert werden. Das ist im Prinzip keine grosse Sache bei einem Open-Source-Projekt wie Bitcoin. Jeder kann das Programm umschreiben und es zum Download ins Netz stellen. Wirkung hat das allerdings nur, wenn die modifizierte Software auch zahlreich heruntergeladen und genutzt wird.

Das dürfte aktuell der Fall sein. Die leistungsfähigere Bitcoin-Version mit Namen Bitcoin XT steht seit diesem Wochenende zum Download bereit. Bereits im Vorfeld haben namhafte Akteure der Bitcoin-Branche ihre Unterstützung für die Mutation kundgetan.

Keine Kompatibilität

Das Problem ist nur: Die beiden Versionen von Bitcoin sind nicht kompatibel. Sollten beide nebeneinander zu existieren beginnen, käme es möglicherweise zumindest vorübergehend zum Chaos. Transaktionen könnten für eine gewisse Zeit nicht mehr mit der gleichen Geschwindigkeit abgewickelt werden. Und vor allem: Mit der Zeit wären die Bitcoins, die durch die neue Software transferiert werden, nicht mehr brauchbar mit der bisherigen Software. Das Bitcoin-Netzwerk würde sich teilen.

Es gäbe Komplikationen: Wer sich auf die alte Bitcoin-Version stützt, erhält unter Umständen andere Angaben über einen spezifischen Kontostand als ein Benutzer der neuen Version Bitcoin XT. Ja, der gleiche Bitcoin könnte unter Umständen sogar zweimal ausgegeben werden – auf beiden Bitcoin-Netzwerken einmal.

Suche nach Konsens

Natürlich wissen die Exponenten von Bitcoin XT um diese Gefahren. Deshalb haben die Protagonisten Gavin Andresen und Mike Hearn auch Vorkehrungen getroffen, damit diese Situation nicht dauerhaft auftritt und ein Schisma nur von kurzer Dauer wäre. So würde die Erhöhung der Transaktionen nur dann in Kraft treten, wenn mindestens 75 Prozent aller Computerpower, welche die Transaktionen verarbeiten, mit der neuen Software Bitcoin XT arbeiten. So wären die Kräfteverhältnis klar, Bitcoin XT würde rasch, vielleicht innerhalb von Stunden, zum neuen Standard und die beschriebenen Probleme kämen gar nie zum Tragen.

Doch in der Branche gibt es ebenso gewichtige Stimmen, die ihre Zweifel anmelden und davor warnen, das 3-Milliarden-Dollar-Projekt schon nur im Ansatz zu gefährden. Sie plädieren für ein langsames Erhöhen der Kapazität im Konsens, also ohne Konkurrenzsituation von Software.

Die 21-Millionen-Frage

Noch ist nichts entschieden, zur Spaltung käme es frühestens 2016. Der Richtungsstreit tobt jetzt schon seit Monaten. Und es ist absehbar, dass sich die Situation nochmals verändern wird. Doch das Vertrauen in die Beständigkeit von Bitcoin leidet unmittelbar. Der Kurs sackte zuletzt mehrere Prozente ab.

Vor allem aber wird nun auch breiten Kreisen klar, dass die kernige Haupteigenschaft von Bitcoin nicht in Stein gemeisselt ist: Die Obergrenze von 21 Millionen Bitcoins, die es maximal geben soll. Nun wird vielen Beobachtern klar, dass auch diese Obergrenze, die für den Wert und die Beständigkeit von Bitcoin entscheidend ist, theoretisch geändert werden kann. Es braucht bloss Modifizierungen an der Software und eine Mehrheit der Computerpower, welche die Transaktionen verarbeiten.

In Zukunft Gebühren

Bereits gibt es Exponenten, die dieses Szenario kommen sehen. Es sind die gleichen Leute, die jetzt vor einer überhasteten Kapazitätserhöhung bei den Bitcoin-Transaktionen warnen. Ihre Argumentation lautet folgendermassen:

Heute werden die Computer, die das Bitcoin-Netzwerk stützen, für ihre Arbeit mit «frisch ausgegeben» Bitcoins entschädigt. Doch diese Entschädigung für diese sogenannten «Miner» nimmt kontinuierlich ab, damit eben letzlich nie mehr als 21 Millionen Bitcoins in Umlauf kommen. Trotzdem brauchen diese «Miner» eine Entschädigung. Sonst würden sie ihre Computer nicht laufen lassen.

An die Stelle der «frisch ausgegeben» Bitcoins sollen deshalb dereinst Gebühren treten, welche die Benutzer in geringer Höhe bei jeder Transaktion bezahlen sollen. Heute sind diese Gebühren mehr oder weniger freiwillig. Wenn nun aber auch in Zukunft mit der Kapazitätserhöhung ohnehin jede Transaktion verarbeitet wird, wird auch kaum jemand freiwillig für die Dienstleistung Bitcoin bezahlen. Und deshalb ist auch das Szenario nicht komplett abwegig, welches die 21-Millionen-Grenze fallen sieht. Denn ohne diese Grenze könnten die «Miner» auch künftig mit frischen Bitcoins entschädigt werden.

Landung in der Realität

Soweit ist es allerdings noch lange nicht, und der aktuelle Richtungsstreit zeigt vor allem eines: Bitcoin ist längst nicht mehr nur ein technologisches Wunderding für Computerfreaks. Bitcoin ist angekommen in der harten Realität. Und in dieser spielen Politik, Eigeninteressen und Machtkämpfe eine entscheidende Rolle. Bislang powerte die Bitcoin-Branche meist vereint vor allem gegen die arrivierten Bank- und Geldsysteme. Nun beginnt ein neues Kapitel. Es handelt von Machtkämpfen innerhalb der Bitcoin-Welt.