Nach der Herabstufung der US-Kreditwürdigkeit durch S&P herrschte heute vor Börsenbeginn Angst vor einem Crash, vor einem Schwarzen Montag - zu Unrecht, oder kommt das dicke Ende noch?
 
Alfred Ritter: Ich denke, dass auch die USA am Nachmittag Verkaufswellen über sich ergehen lassen müssen. Allerdings dürfte ein grosser Teil der Rückschläge im Zusammenhang mit der S&P-Rückstufung letzte Woche bereits vorweggenommen worden sein. Denn Gerüchte und die Warnung von Standard & Poors gab es schon. Daher sehe ich jetzt eine volatile Zeit, in der ein paar Prozent im Plus oder Minus möglich sind, aber ich rechne nicht noch einmal mit so einem Rückschlag fünf bis zehn Prozent in kurzer Frist.
 
Werden die anderen beiden grossen Agenturen mit einer Herabstufung der USA nachziehen?
 
Sie werden kaum darum herum kommen. Obwohl die Grundlagen bei S&P vielleicht nicht ganz richtig waren, stimmt der Trend: Die Verschuldungssituation und die Budgetsituation sind dramatisch und müssen angegangen werden. Wenn das nicht oder nur halbherzig geschieht, können die anderen Ratingagenturen gar nicht anders, als auch zurückzustufen. Die chinesische Agentur Dagong hat die USA ja schon seit längerem auf einem viel tieferen Niveau bewertet.
 
Was muss, was kann die US-Regierung überhaupt tun?
 
Das grosse Problem ist in der Arbeitslosigkeit und im Häusermarkt zu suchen. Ausserdem haben die USA immer noch Schwierigkeiten mit dem Export. Ihre Produkte sind schlecht oder noch nicht gut genug. Und die multinationalen US-Konzerne profitieren zwar von der schwachen Währung, doch der Weltkonsum könnte jetzt etwas angeschlagen werden und die Wachstumsraten weiter nach unten drücken. Dann würde man in Richtung einer Rezession tendieren - weit davon entfernt sind wir ja nicht mehr. Das verunsichert die Leute und bremst den Konsum. Ich sehe das aber als vorübergehend an. Die US-Regierung muss nochmal ein quantitatives Easing durchziehen (geldpolitische Lockerung durch Ankauf von Staatsanleihen, Anm. d. Red.), vor allem aber bei den Militärausgaben und anderen Posten Einsparungen vornehmen und auch Steuererhöhungen durchsetzen.

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Ende der Woche werden wichtige US-Einzelhandelsdaten veröffentlicht. Wie ist Ihre Prognose?
 
Ich denke, die Erwartungen werden etwas enttäuscht werden. Trotzdem würde ich mit Käufen nicht warten. Die politische Situation ist derart unsicher und es sind schon so  viele schlechte Nachrichten über die Ticker gelaufen, dass ich einen Teil des Geldes, das ich für risikoreiche Anlagen bereithalte, morgen in einem ersten Schritt investieren werde. Der zweite Schritt folgt dann, wenn die Zahlen veröffentlicht sind.
 
Ein Blick in die Schweiz: Werden wir heute zum Börsenschluss einen positiven oder negativen SMI sehen?
 

Es tendiert sehr stark hin- und her, die Emotionen gehen hoch. Und ich gehe davon aus, dass die Schwankungsbreite hoch bleiben wird. Es würde mich nicht überraschen, wenn wir einen positiven Schluss hätten.
 
In dieser Woche sind noch Unternehmenszahlen zu erwarten, auch von Schwergewichten wie Nestle. Kann sich die Schweiz bei guten Ergebnissen vom US-Krisentrend vielleicht ein wenig abkoppeln?
 
Ich glaube nicht. Die Schweiz hat aufgrund des superstarken Frankens auch im Vergleich  mit den anderen Börsen bereits massiv verloren. Daher werden wir uns nicht gross dagegen wehren können, weder nach oben noch nach unten. Ich glaube, dass diese Woche um die aktuellen Indexstände herum schliessen wird. Eine höhere Schwankungsbreite von zwei, drei oder vier Prozent, kann natürlich vorkommen. Das wären im SMI dann zwischen 4950 und 5300 Punkte.
 
Die Europäische Zentralbank will die Märkte in Europa stützen, indem die Staatsanleihen aufkauft. Hat das Substanz?

 
Es hat Substanz. Es werden jetzt tatsächlich Bonds von Italien und Spanien am Markt gekauft, man sieht das auch an der Kursentwicklung der Bankaktien in diesen Ländern. Die sehen heute gar nicht so schlecht aus. Da wird die Finanzbranche durch die Aufkäufe dieser Titel gestützt. Ich denke, dass man jetzt mit Beruhigungspillen weitermachen wird.
 
Sie sprechen von Beruhigungspillen. Tut sich die EZB mit diesen Käufen einen mittelfristig einen Gefallen?
 
Das Problem bei der EZB und der EU generell liegt im Konstrukt, in der Gründung. Da wurden keine Finanzverbindungen gemacht, kein einheitliches Budget. Das wird wahrscheinlich korrigiert werden in den nächsten Monaten. Es wird ein gemeinsames Budget und eine gemeinsame Finanzpolitik geben. Und wenn es ganz gut kommt, kann die EU selber Geld drucken. Das würde etwa der Fall sein bei einer Eurobonds-Ausgabe von der Zentrale statt von einzelnen Staaten. Es wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Denn am Ende wird es sowieso eine Transferunion geben. Und schlussendlich geht es um die Wiederherstellung des Vertrauens. Die Börsen geben jetzt einen Schuss gegen den Bug und zeigen: Man kann nicht jahrelang nur massiv über den Verhältnissen leben.

(laf)