Strukturierte Produkte können ganz schön komplex sein – das macht sie bei gewissen Marktakteuren per se schon einmal verdächtig. Zudem hält sich hartnäckig der Mythos: An «Strukis», wie sie in der Finanzbranche liebevoll genannt werden, verdienen ohnehin nur die Banken. Zugegeben: In der Vergangenheit wurde mit diesem Produkttyp hin und wieder mächtig Schindluder getrieben – insbesondere was der dem Kundenbedürfnis angepasste Verkauf anbelangt.
Entsprechend haben sich auch die Medien auf Strukturierte Produkte eingeschossen, erst recht, wenn sie in Verbindung zu einer «bodenständigen» Bank stehen. «3000 Raiffeisen-Kunden stolpern über Strukicrash», ist aktuell auf dem Finanzblog «Inside Paradeplatz» zu lesen – ein Artikel, der über die sozialen Plattformen wie Facebook oder Twitter heute Vormittag die Runde macht.
Auffällige Kursbewegung
Was ist geschehen? Das «Raiffeisen Express Zinspapier Aktien Schweiz CHF 10/2015» mit der Valorennummer 11'589'070 vereint mit Novartis, Swisscom, Syngenta und Zurich vier SMI-Aktien, deren Kursentwicklung seit der Emission im Oktober 2011 einmal jährlich beobachtet wird. Notieren alle Aktien über dem Anfangsniveau, wird das Produkt – inklusive vordefiniertem Zinscoupon – vorzeitig zurückbezahlt. Liegen eine oder mehrere Aktien unter diesem Wert, läuft das «Express Zinspapier» weiter. Maximal bis Oktober 2015.
Letztmals fand diese jährliche Beobachtung am 7. Oktober statt – und an jenem Abend trug sich in der Tat Aussergewöhnliches zu: In der Schlussauktion an der Schweizer Börse rutschte die Zurich-Aktie zwischen 17.20 und 17.30 Uhr von 232.10 auf 230.60 Franken. Resultat: Die Barriere war um winzige 20 Rappen gerissen, die Emittentin Raiffeisen, die das Produkt zusammen mit Leonteq (vormals EFG Financial Products) auf den Markt geworfen hatte, kam um die Zinszahlung herum. Das Produkt läuft weiter.
Weshalb es zu diesem Kursrückschlag von 0,6 Prozent gekommen war, ist heute reine Spekulation. Eine solche Bewegung ist nicht aussergewöhnlich, mit 250'000 gehandelten Aktien war das Volumen indes auffällig hoch gewesen. Immer wieder geraten insbesondere Express-Zertifikate in die Kritik, weil Basiswerte zu den Beobachtungszeitpunkten so weit überhaupt möglich beeinflusst werden sollen.
Neue Zinschancen und 101 Prozent Kapitalschutz
Weder Raiffeisen noch Leonteq hatten im vorliegenden Fall ein Interesse daran, die Laufzeit des Papiers zu verlängern – sie hätten lieber die Rückzahlung samt 12-prozentigem Zinscoupon angestrebt, bestätigt ein «Struki»-Experte auch gegenüber handelszeitung.ch die Aussagen im Bericht. Die Finanzierung der Zinskosten und insbesondere jene des unbedingten Kapitalschutzes verteuern sich. Kommt hinzu, dass Leonteq wohl nicht über die notwendige Grösse des Zurich-Orderbuches verfügt, um diese SMI-Aktie nachhaltig bewegen zu können.
Eine andere Fährte entdeckt derjenige, der ins Innere des Produktes schaut: Leonteq hat zur Konstruktion höchstwahrscheinlich Optionen mit einer Barriere bei 230.80 Franken eingesetzt. Gegengeschäft dieser Barrier-Optionen dürfte eine grössere Investmentbank gewesen sein, diese könnte allenfalls den Barriere-Bruch erzwungen haben. Weil aber die Zurich-Aktien tags darauf auf Basis einer Kaufempfehlung von Goldman Sachs deutlich zulegten, ging diese Rechnung auf jeden Fall nicht auf – die unbekannte Investmentbank hätte sich deutlich teurer eindecken müssen.
Bei den nächsten Beobachtungszeitpunkten im Oktober 2014 und 2015 winken bei positiver Kursentwicklung aller vier Aktien noch deutlich höhere Zinszahlungen (16 respektive 20 Prozent). Und selbst das Worst-Case-Szenario (eine oder mehrere Aktien liegen jeweils am Beobachtungstag unter dem Anfangsniveau) verspricht eine Produktrückzahlung zu 101 Prozent.
Strategie beim Produkteverkauf?
Die Raiffeisenbank muss sich einzig die Frage gefallen lassen, ob wirklich allen Kunden das kapitalgeschützte Express-Zertifikat unter transparenten Voraussetzungen verkauft worden war. Das Produkt «eignet sich für Anleger mit einer konservativen Anlagestrategie, die eine höhere Rendite erzielen wollen, als dies über eine herkömmliche Zinsanlage möglich ist», heisst es im Prospekt. Bleibt es bei der zugesicherten Rückzahlung von 101 Prozent, ist dies auf fünf Jahre eher mager.
Wo ein «Strukicrash» stattgefunden haben soll, bleibt also unklar: Wer das Produkt bereits heute vorzeitig abstossen will, kann dies mit einem Kursgewinn von fast 11 Prozent über die Derivatbörse Scoach tun. Das entspricht annähernd der durch die Vorgänge am 7. Oktober entgangenen Zinszahlung von 12 Prozent, dafür als Kapitalgewinn (im Gegensatz zum Zinscoupon als Einkommen) fast steuerfrei. Ein Crash sieht definitiv anders aus.