Es ist schon bemerkenswert – bei Bonds geht der erste Blick von Investoren auf die Bonität, bei Derivaten auf die Struktur», sagt Daniel Manser, Derivateexperte und Geschäftsführer bei Derivative Partners Media, «jetzt aber haben einige US-Banken einen Wettbewerbsvorteil, weil sie aufgrund der tieferen Bonität bessere Konditionen offerieren können.»

Hoher Coupon, höheres Risiko

Hier passiert etwas, was gegen die Anleger-Intuition verstösst: Normalerweise geht tiefere Vertrauenswürdigkeit mit tieferen Preisen einher. Bei strukturierten Produkten bekommen Anleger von Emittenten mit tieferer Bonität jedoch die besseren Konditionen. Sichtbar sind diese vor allem bei lang laufenden Kapitalschutzprodukten oder Discount-Zertifikaten mit sehr hohem Polster. Bei solchen Produkten spielt die Volatilität keine Rolle, die Bonität der dahinter stehenden Bank hingegen schon.

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Der Grund liegt auf der Hand. Strukturierte Produkte sind Schuldverschreibungen. Wenn ein Emittent Pleite geht, ist das investierte Geld, anders als bei Fonds, gefährdet. Aus der Sicht einer Bank mit niedriger Bonität müssen jetzt eine bessere Rendite oder bessere Konditionen angeboten werden, wenn man Geld aufnimmt bzw. strukturierte Produkte emittiert.

Aus der Sicht der Anleger bedeutet dies eine etwas bessere Verzinsung, einen leicht höheren Coupon oder eine etwas grössere Partizipation an der Wertentwicklung des Basiswertes. Allerdings steigt dadurch auch das Ausfallrisiko. «Bei Anlegern ist das Bewusstsein für die Bonität gestiegen», sagt Derivateexperte Rino Borini, CEO von Financialmedia AG in Zürich, «jetzt werden die Ratings schon etwas kritischer beobachtet und die Credit Spreads miteinander verglichen.»

Gerade die Preise von Credit Default Swaps (CDS), mit denen sich Gläubiger gegen Pleiten bei Banken versichern, reagieren rascher als die oft wichtigen Ereignissen hinterherlaufenden Bonitätsnoten der Ratingagenturen. Für fünf Jahre Schutz werden für Lehman 370 Basispunkte mehr als der risikofreie Zins bezahlt. Für Merrill Lynch werden aktuelle 330, für Morgan Stanley 230, für die Citibank 170 und für Goldman Sachs 160 Basispunkte Aufschlag bezahlt. Zum Vergleich: Für Credit Suisse liegt der aktuelle Wert bei 85 Basispunkten.

Derivatekäufer erhalten zwar attraktivere Konditionen, aber dennoch lediglich die Differenz, die ihnen der Emittent weitergibt. Die sechs von Lehman in der Schweiz gelisteten Kapitalschutzprodukte auf den SMI notieren gegenwärtig zwischen 8 und 20% unter dem Nominalwert – je nach Laufzeit und Ausgestaltung. Vergleichbare Produkte mit 100% Kapitalschutz anderer Banken, wie der ZKB, der Credit Suisse oder der Banque Cantonale Vaudoise (BCV), liegen 4 bis 7% unter dem Nominalwert. Kaum darunter sind die Preise bei entsprechenden Produkten von Merrill Lynch, wo ebenfalls hohe Aufschläge bezahlt werden – hier rechnet der Derivatemarkt offenbar nicht mit einem Ausfall bei den Kapitalschutzprodukten.

Für Risikofreudige lohnt es sich

Lehman ist gegenwärtig in einer Extremlage, das widerspiegelt sich auch bei solchen Produkten. Das Beispiel Bear Stearns im März hatte gezeigt, dass Derivateanleger realistische Chancen haben, dass Probleme einer Bank nicht gleich auch zu einem Ausfall als Emittent führen.

Risikofähigen Anlegern winken deshalb überdurchschnittlich hohe Gewinne bei solchen Papieren. Die beiden von Lehman begebenen SMI-Kapitalschutzprodukte LBAAH und LBBBF zählen denn auch zu den am meisten gehandelten Produkten in ihrer Kategorie in der vergangenen Woche.