Der Crash ist ausgeblieben. Allen Unkenrufen zum Trotz brachte das Ja der Briten zum Brexit bisher keinen Börsencrash. Nach anfänglichen Kursverlusten in den ersten Tagen nach dem Votum über den Austritt aus der EU haben sich die internationalen Börsen weitgehend vom ersten Schreck erholt.

Ganz anders sieht es hingegen an der Börse London aus. Der Leitindex des Landes, der FTSE 100, knickte nach dem Aus für Europa nicht nur nicht ein, sondern machte einen Sprung nach oben. Konkret: Die 100 grössten Titel Grossbritanniens beschleunigten sich nach dem Abstimmungsentscheid um etwa 600 Punkte oder um rund 10 Prozent. Und während viele Aktienmärkte in Europa – ganz besonders der EuroStoxx 50 und der DAX – 25 Prozent und mehr unter ihren 2015er-Hochs notieren, stehen Britanniens Aktien jetzt so hoch wie seit einem Jahr nicht mehr.

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Immobilien – die Verlierer des Votums

Interessant sind jetzt vielleicht noch nicht einmal die Gewinner der After-Brexit-Rally wie etwa Pearson PLC (ISIN: GB0006776081). Die Aktie des Medienhauses konnte seit dem Votum zwischenzeitlich um bis zu 20 Prozent zulegen. Börsianer sollten stattdessen einmal die Verlierer unter die Lupe nehmen. Da könnte es nämlich eine Reihe von Übertreibungen nach unten gegeben haben und jetzt gute Einstiegschancen geben.

Zuerst einmal: Ein Sektor ist durch das Brexit-Votum extrem gebeutelt: Die Immobilienindustrie. Und da hat es nicht nur die Aktie erwischt, sondern auch Fonds. Während Aktien – wie der FTSE 100 zeigt – insgesamt positiv auf den Brexit reagiert haben, gibt es derzeit bei britischen Fondsgesellschaften Probleme. Konkret bei Immobilienfonds. Die Gesellschaften verzeichnen dort wegen des Brexit-Votums hohe Mittelabflüsse. Um die zurückgegebenen Anteile zurückkaufen zu können, müssten die Fonds eigentlich Immobilien aus dem Bestand verkaufen. Das geht natürlich nicht so schnell, denn Immobilien sind eben immobil – unbeweglich.

Immobilienfonds werden zeitweilig vom Handel ausgeschlossen

Wegen des hohen Liquiditätsdrucks sind inzwischen schon sechs Fonds zeitweilig vom Handel ausgeschlossen, und laut Medienberichten sind damit mehr als die Hälfte der von Privatanlegern in offene Immobilienfonds gesteckten Gelder eingefroren. Geschlossene Fonds hingegen haben diese Probleme weniger. Denn dort ist der Anlagezweck vorgegeben, und Investoren brauchen bis zum Rückzahlungstermin Geduld.

Als Alternative zum Handelsstopp bei den offenen Fonds wurden einige Geldsammelstellen abgewertet, um so den Verkauf für die Anleger wenig attraktiv zu machen. Offensichtlich befürchten nun vor allem internationale Marktteilnehmer nicht nur eine Abwertung des britischen Pfund und damit negative Folgen für Investments im Vergleich zu anderen Währungen, sondern auch einen Preisverfall am Immobilienmarkt, insbesondere in London. Denn dort könnte es sein, dass der Finanzplatz künftig Schwäche zeigen wird und dass Jobs verloren gehen und Menschen abwandern werden. Der Immobilienfonds Legal & General UK Property C (ISIN: GB00BLM78C32) beispielsweise fiel nach dem Brexit-Votum innert weniger Tage um rund 10 Prozent. Das könnte aber für etwas risikofreudigere Anleger ein gute Gelegenheit zum Einstieg sein.

Immobilienaktien schmieren ab – nun winken hohe Dividenden

Aber auch Immobilienaktien sind trotz des insgesamt positiven FTSE-100-Verlaufs unter die Räder gekommen. Der Kurs des Bauunternehmes Barratt Developments (ISIN: GB0000811801) ist nach der Abstimmung wie ein Stein in den Keller gesunken und notiert jetzt um rund 40 Prozent unter den Niveaus, die vor drei Wochen aktuell waren. Angesichts eines geschätzten 7er-KGVs, und das bei einer hohen Dividende im Bereich von 5 Prozent, könnte das jetzt ebenfalls eine Kaufgelegenheit sein.

Abgestürzt ist auch British Land Company (ISIN: GB0001367019). Der Spezialist für Gewerbeimmobilien wie etwa für Kaufhäuser und Einkaufszentren rutschte nach der Brexit-Wahl um rund 30 Prozent nach unten. Mitte der Woche allerdings zeigten sich bereits wieder zögerliche Erholungstendenzen. Auch beim Konzern aus London könnte es angesichts einer hohen nachhaltigen Dividendenrendite im Bereich von 5 Prozent bald wieder deutlich höhere Kurse geben.

Dixons Carphone – der Einzelhändler steht vor dem Rebound …

Steil nach unten ist es nach dem Votum der Briten auch mit Dixons Carphone (ISIN: GB00B4Y7R145) gegangen. Der Konzern aus der britischen Hauptstadt ist als Detailhändler auf Elektro- und Elektronikgeräte sowie auf Telekommunikation spezialisiert. 30 Prozent hat das Kursminus in den letzten zwei Wochen betragen. Immerhin bildet sich bei dieser Aktie aus technischer Sicht nach dem Absturz jetzt langsam ein Boden aus, und möglicherweise wird sich da ein technisch bedingter Rebound anbahnen.

20 Prozent gefallen, ist auch die Aktie von Hammerson (ISIN: GB0004065016). Der Immobilienkonzern hat Objekte aus Grossbritannien, aber auch aus Frankreich, im Portfolio und ist auf Einkaufszentren fokussiert. Wie die anderen Immobilientitel liefert die Aktie des Konzerns – ebenfalls Sitz in London – nun eine hohe nachhaltige Dividendenrendite von mehr als 4 Prozent.

… und technische Spannung auch bei Intu Properties

Ähnlich hoch war auch der Kursverlust bei Intu Properties (ISIN: GB0006834344). Auch hier handelt es sich um ein Immobilienunternehmen mit Fokus auf Einkaufszentren, insbesondere in Grossbritannien. Und auch hier winken nun nach dem Kurssturz Dividendenrenditen von rund 5 Prozent. Der Titel notiert jetzt im Bereich der starken Unterstützung um 280 Pfund. Von dort konnte Intu Properties in den letzten Jahren schon wiederholt ganz schnell nach oben abheben.

Einen Abverkauf von 25 Prozent erlebten auch die Aktionäre von Kingfisher. Angesichts einer breiten regionalen Streuung der Geschäfte der Baumarktkette auf zehn europäische Länder scheint der Einbruch fast schon übertrieben hoch zu sein. Hier liegen die Dividenden zwar nur bei rund 3 Prozent, doch dafür notiert die Aktie jetzt an der unteren Begrenzungslinie ihres Aufwärtstrends. Da könnte es nach dem Einbruch zu einer technischen Gegenreaktion mit schnellen Kurssteigerungen von 10 Prozent und mehr kommen.

Persimmon und Taylor Wimpey – da läuft eine Bodenbildung und eine Erholungsrally

Zu den grössten Verlierern der letzten Tage zählen Persimmon (ISIN: GB0006825383) und Taylor Wimpey (ISIN: GB0008782301). Die Aktien der Baukonzerne mit Fokus auf Einfamilienhäuser und Wohnungen rauschten in wenigen Tagen um 40 Prozent nach unten. Zu den üblichen Brexit-Ängsten kamen hier ausserdem vor einigen Tagen enttäuschende Daten zur Stimmung in der britischen Bauwirtschaft. Allerdings: Persimmon-Aktionäre erhalten seit vielen Jahren nachhaltig hohe Dividenden – für 2015 hat es rund 7 Prozent gegeben. Die Talfahrt scheint inzwischen auch schon gestoppt zu sein, es läuft eine Bodenbildung. Bei Taylor Wimpey ist es gestern sogar zu einer rasanten Erholungsrally mit Kurssteigerungen von mehr als 5 Prozent gekommen.