Ungeachtet dessen, ob Europas Politiker noch eine gemeinsame Linie in der Krise um Griechenland finden oder oder nicht – Fakt ist spätestens seit dieser Woche: Europa hat Vertrauen für Jahrzehnte zerstört, die Schäden scheinen aus heutiger Sicht irreparabel. Aus Differenzen ist offener Hass geworden, selbst die Gläubiger gehen aufeinander los. Und erstmals seit einem Vierteljahrhundert ist die Deutschlandfrage wieder auf der Agenda.
Diese fünf Fakten zeigen, wie kaputt die Euro-Zone inzwischen ist:
Es wird nicht mehr verhandelt, sondern gedemütigt
Der Streit zwischen den Politikern Europas und Griechenland ist offenem Hass gewichen. «Der Grieche hat jetzt lang genug genervt.» Das sagte am Montag nicht irgendein politischer Hinterbänkler in Deutschland, sondern Thomas Strobl, der stellvertretende Chef der CDU. Der Regierungspartei um Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble reichte es nicht, Griechenland unerwartet heftige Reformzugeständnisse zu diktieren.
Der hellenische Premier Alexis Tsipras musste auch unterschreiben, dass die Politik der Griechen in den vergangenen zwölf Monaten dafür verantwortlich sei, dass es nun «ernsthafte Bedenken über die Nachhaltigkeit der griechischen Schulden» gebe. Selbstkritik der Gläubiger: Fehlanzeige. Demnach trifft die Hellenen alle Schuld. Yanis Varoufakis flüchtete sich ob des Statements in Zynismus: Jeden einzelnen Absatz der «Kapitulation Griechenlands» (Varoufakis) bedachte der Ex-Finanzminister mit bösen Bemerkungen. Griechenlands Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou sprach von einem «sozialen Völkermord».
Die Deutsche Frage ist wieder auf dem Tisch
Deutschlands Härte (oder «Rachsucht», wie US-Ökonom Paul Krugman jetzt schrieb) gegen die Griechen stösst bei angelsächsischen Beobachtern seit Jahren auf Kritik. Doch der Ton heute ist um einige Lagen schriller. Erstmals seit über einem Vierteljahrhundert wird die deutsche Politik wieder ernsthaft infrage gestellt.
Die renommierte «New York Times» schrieb nun: «Ist die Dominanz Deutschlands mit der weiteren europäischen Integration vereinbar oder wird sie sich als brechende Kraft erweisen?» Das Problem: Je grösser die Kritik an Berlin, desto mehr scheinen sich Merkel, Schäuble und andere konservative deutsche Politiker im Recht und in ihrem Kurs bestätigt zu sehen.
Der Kern Europas droht zu zerfallen
Die Bruchstelle hat nun sogar den Kern Europas erreicht. Bislang bemühten sich die beiden Schwergewichte Deutschland und Frankreich darum, in der Euro-Krise Seite an Seite zu gehen und Einigkeit zu zeigen. Das ist nun vorbei: Deutschlands Härte gegenüber Griechenland nutzte Frankreichs Präsident François Hollande, um sich als Europäer zu profilieren. Während Paris die Griechen um jeden Preis im Euro behalten will, kokettierte Berlin in den vergangenen Tagen wiederholt mit einem Grexit. Für die Hellenen sei dieser Schritt der beste, argumentiert Schäuble.
In Frankreich kritisieren Kommentatoren Deutschland bereits als «Totengräber Europas». Es ist davon auszugehen, dass Deutschland den Grexit-Vorschlag wieder aus der Schublade holen wird, sollte die politische oder konjunkturelle Lage sich in Griechenland in den kommenden Monaten wieder zuspitzen.
Selbst Sympathisanten wenden sich von Europa ab
Die Europäische Union hatte bislang vor allem konservative und rechtspopulistische Kräfte als Gegner: Etwa den Front National in Frankreich oder Ukip in Grossbritannien. Die jüngsten Ereignisse nun lassen zunehmend auch Europas Linke schaudern.
Europaverfechter kämpfen nun an der rechten und der linken Front um Rechtfertigung: Sie sei ihr gesamtes Leben lang pro-europäisch eingestellt gewesen, sagte die britische Kolumnistin und TV-Moderatorin Caitlin Moran diese Woche, «aber zu sehen, wie Deutschland Griechenland behandelt, das finde ich zunehmend widerlich.» Die Linke müsse nun Grossbritanniens Rückzug aus der EU auf die Agenda heben, forderte Owen Jones, Kommentator des renommierten linksliberalen «Guardian». In Deutschland ist es wegen dem harten Kurs Berlins offenbar schon zu Austritten aus der ebenfalls regierenden SPD gekommen.
Die Gläubiger fordern sich gegenseitig heraus
Nicht nur zwischen den beiden Euro-Kernländern Deutschland und Frankreich öffnet sich ein Graben. Unter den Gläubigern selbst gibt es zunehmend Unstimmigkeiten: Der Internationale Währungsfonds fordert offen eine Umschuldung für Griechenland. Der Schritt sei notwendig für die Wiederherstellung der Schuldentragfähigkeit des Landes, betonte IWF-Chefin Christine Lagarde in dieser Woche einmal mehr.
Der Vorwurf aus Washington: Europa wolle das Offensichtliche nicht sehen. Allen voran Deutschland, das von einer Schuldenerleichterung partout nichts wissen will. So gibt es denn auch im aktuellen Beschluss keinen nominalen Schuldenschnitt – obwohl unabhängige Beobachter einig sind, dass Griechenland angesichts der desaströsen Lage so schnell nicht wieder auf die Beine kommt. Doch einmal mehr ist hier zu sehen: Berlin schaltet auf stur.