Nur vertagt: Wieso die Rezessionsgefahr noch nicht gebannt ist

Hohe Inflation, scharf steigende Zinsen und dazu eine drohende Energiemangellage: Das sind die perfekten Zutaten für eine Rezession. Das Schlimmste stehe noch bevor, warnte der Internationale Währungsfonds (IWF) denn auch in der Herbstprognose für 2023. Die Google-Anfragen für den Begriff Rezession erreichten daraufhin Rekordwerte. Doch in den vergangenen Wochen hat sich die Lage etwas aufgehellt. Die Energiekrise ist in den Hintergrund gerückt. Europas Gasspeicher sind gefüllt und der Ölpreis notiert deutlich unter 90 Dollar pro Fass. Die Inflation sinkt, die Börsen erholen sich und die Dollarstärke – einer der Indikatoren für eine angespannte Stimmung der Investoren – lässt nach. Gleichzeitig sind die Konjunkturdaten weniger schwach als befürchtet: Deutschlands Wirtschaft ist im dritten Quartal allen Unkenrufen zum Trotz weiter gewachsen. Der Einkaufsmanagerindex der Euro-Zone ist im November nicht mehr weiter gesunken. Der Ausblick der EU-Kommission ist weniger düster als noch im Sommer, und in den USA wundern sich Ökonominnen und Ökonomen über die anhaltende Konsumlust und die Robustheit des Arbeitsmarkts. Milder Winter, milde Rezession Heisst das nun, dass der Konjunkturabschwung doch nicht so schlimm ist und die Rezession gar nicht kommt? Schön wärs. Die Rezession ist noch nicht abgesagt, höchstens vertagt. Am grössten sind die Rezessionssorgen in Europa, das am härtesten von der Energiekrise betroffen ist. Doch dank des kräftigen Wachstums im ersten Halbjahr und der erstaunlichen Widerstandsfähigkeit im dritten Quartal hat die EU-Kommission die BIP-Wachstumsprognose der Euro-Zone für 2022 auf 3,2 Prozent angehoben. Für den Winter sieht es nach wie vor schlecht aus. Denn der Nachholeffekt nach der Pandemie ist vorbei, die Ersparnisse sind weitgehend aufgebraucht und die Kaufkraft leidet unter der rekordhohen Inflation. Ausserdem bremsen die steigenden Zinsen die Investitionen. In Deutschland etwa sind die Bauaufträge über 20 Prozent eingebrochen. Die Kommission geht von einem rückläufigen BIP im laufenden und im kommenden Quartal aus. Auch der Absturz der Frühindikatoren zeigt dies an. Gemäss den vorläufigen Novemberzahlen hat sich der Einkaufsmanagerindex (PMI) der Euro-Zone nun stabilisiert, aber er liegt nach wie deutlich unter der kritischen Marke von 50. Immerhin: Die Rezession soll gemäss EU-Kommission mild verlaufen, weil dank der gut gefüllten Erdgaslager das Risiko von Rationierungen gesunken ist. Doch schon ein kalter Winter könnte diese Hoffnung zerschlagen, warnen die Ökonomen der Commerzbank. Für die Schweiz gelten ähnliche Überlegungen. Aber im Unterschied zur Euro-Zone, wo gemäss einer Bloomberg-Umfrage die Wahrscheinlichkeit einer Rezession 80 Prozent beträgt, gehen hierzulande die meisten Prognosen nur im ungünstigen Fall von einem Rückgang des BIP aus. Das Basisszenario ist eine starke Abkühlung oder eine Stagnation. Robuster US-Arbeitsmarkt In den USA wird ebenfalls über das Ende des Aufschwungs spekuliert. Aber auch dort scheint sich der Beginn der Rezession hinauszuzögern. Die Entlassungen im Tech-Sektor – fast 30’000 wurden bisher angekündigt – geben zwar zu reden, insgesamt aber ist der Arbeitsmarkt in bester Verfassung. Das grössere Problem ist der anhaltende Arbeitskräftemangel. Auch der Detailhandel erweist sich als stabil und die Industrieproduktion nimmt immer noch zu. Im Gegensatz zur Euro-Zone sind die Einkaufsmanagerindizes nach wie vor über der kritischen Grenze von 50, was auf anhaltendes Wachstum im vierten Quartal hinweist. Gemäss dem Prognosemodell der Federal Reserve Bank von Atlanta lassen die publizierten Zahlen auf eine Jahreswachstumsrate von 4 Prozent im Schlussquartal schliessen. Eine Rezession ist nicht vom Tisch, aber sie könnte gemäss Oxford Economics bis im zweiten Quartal 2023 auf sich warten lassen. Der Immobilienmarkt zeigt Schwäche Woher nehmen die Ökonominnen und Ökonomen die Gewissheit, dass es überhaupt so weit kommt? Sie arbeiten mit Prognosemodellen, die sie mit Zeitreihen füttern, um historische Muster zu erkennen. Diese zeigen etwa, dass sich ein Anstieg der Zinsen erst nach drei bis sechs Monaten negativ in der Realwirtschaft niederschlägt, wenn Investitionspläne verworfen und grössere kreditfinanzierte Anschaffungen gestrichen werden.Auf und Ab beim Hypozins 2022 – ein Hypothekenjahr wie schon lange nicht mehr: Die Zinsen für eine zehnjährige Festhypothek haben sich nach einer jahrelangen Tiefstzinsphase im Lauf der ersten drei Quartale von rund 1 Prozent in die Regionen von 3 Prozent bewegt. Dies hat eine massenhafte Flucht in die Geldmarkthypothek auf Basis des Saron ausgelöst, der vom Leitzins von derzeit 0,5 Prozent abhängig und aktuell günstiger als die meisten Fixprodukte ist. Doch dies war der Stand vor gut vier Wochen. Wie so oft in der unberechenbaren Welt der Zinsgefüge sieht das Bild schon wieder anders aus. Im Zinsindex der Vergleichsplattform Hypotheke.ch ist der durchschnittliche Zins vom Jahreshöchststand bei 2,87 Prozent Mitte Oktober auf aktuell 2,5 Prozent gefallen. Eine Festhypothek über zehn Jahre steht wieder ab 2,12 Prozent im Schaufenster. Alles wieder auf Anfang? Die Antwort lesen Sie hier. Erste Spuren des Zinsanstiegs sind bereits erkennbar, etwa auf dem Immobilienmarkt. So sind etwa die Wohnbauinvestitionen seit dem letzten Höhepunkt 15 Prozent eingebrochen. Der grosse Zinsschock – die US-Notenbank hat die Leitzinsen mehrfach bis auf 4 Prozent angehoben – dürfte aber erst in den kommenden Quartalen kommen. Ein weiteres verlässliches Signal für eine Rezession liefert die Zinskurve: Sie bildet die Zinsen nach Laufzeiten ab. Wenn die langfristigen Zinsen so wie aktuell unter die kurzfristigen Geldmarktzinsen rutschen, spricht man von einer invertierten Kurve. Eine solche ging jeder Rezession der letzten sechzig Jahre voraus. Globale Rezession ist Definitionsfrage Sollte die USA-Wirtschaft tatsächlich zwei Quartale hintereinander schrumpfen – so wird eine technische Rezession definiert – wäre wohl auch eine globale Rezession Tatsache. Deren Definition ist nicht so klar: Das Forschungsinstitut Conference Board beschreibt eine globale Rezession als Phase mit gleichzeitig in vielen Ländern stattfindenden grossen finanziellen und ökonomischen Verwerfungen. Nach dieser Definition gab es seit 1950 fünf globale Rezession: 1975, 1982, 1991, 2009 und 2020. Das Jahr 2023 könnte angesichts der Probleme, mit denen sowohl die Euro-Zone als auch China konfrontiert sind, darunter fallen. Der IWF hat vor Jahren die kritische Wachstumsschwelle auf 3 Prozent gelegt: Fällt das globale Wirtschaftswachstum unter diesen Wert, spricht der Fonds bereits von einer Rezession, weil in den Schwellenländern das Wachstum strukturell höher ist. Seine neuste Prognose für 2023 liegt bei einem BIP-Zuwachs von 2,7 Prozent.

Nur vertagt: Wieso die Rezessionsgefahr noch nicht gebannt ist

Die Rezession ist nur vertagt, aber nicht abgesagt