Sie haben Ihre Inflationsprognose für die Schweiz deutlich nach unten revidiert. Der starke Franken lässt die Wirtschaft auch 2016 nicht los?
Dominik Studer*: Unsere Analyse ergibt, dass es über ein Jahr dauern kann, bis der Wechselkursschock seine volle Wirkung entfaltet hat. Über Zweitrundeneffekte dürfte der starke Franken auch im kommenden Jahr die Konsumentenpreise nach unten drücken: Wir gehen jetzt von einem weiteren Rückgang um 0,4 Prozent aus. Zuvor hatten wir für 2016 ein leichtes Plus veranschlagt.
Sie sprechen von Zweitrundeneffekten. Heisst das, jetzt sinken auch die Löhne auf breiter Front?
Lohnverhandlungen basieren in der Regel auf den Inflationsraten des Vorjahres. Wenn die Preise in diesem Jahr um 1 Prozent oder mehr sinken, bedeutet das, dass es vielerorts für 2016 kaum Spielraum nach oben gibt. Die Lohne werden zwar nicht auf breiter Front sinken, aber in vielen Branchen sind 2016 Nullrunden zu erwarten. Die Frankenaufwertung dämpft darüber hinaus die Entwicklung der Inlandpreise über gesunkene Preise für Importgüter, die in die Herstellung von Schweizer Produkten einfliessen.
In welchen Branchen ist die Lage besonders prekär?
In den Branchen, die am stärksten unter dem Frankenschock leiden und besonders abhängig von Exporten sind – bei Waren oder Dienstleistungen. Namentlich ist das der Tourismus, aber auch das verarbeitende Gewerbe.
Droht der Schweiz am Ende doch eine deflationäre Spirale aus sinkenden Preisen und Löhnen?
Dieses Phänomen ist nicht zu beobachten. Die langfristigen Inflationserwartungen sind noch immer positiv. Für die Nationalbank ist dieser Punkt entscheidend. Sie wird alles tun, um eine Lohn-Preis-Spirale nach unten zu verhindern und hat in Sachen Gewährleistung der Preisstabilität einen guten 'Track Record'.
Die Zinsen sind bereits negativ. Wie könnte die SNB im Extremfall gegensteuern?
Wir gehen davon aus, dass die SNB in den letzten Monaten geringfügig am Devisenmarkt interveniert hat. Die SNB hat mehrfach betont, dass sie im Falle einer erneuten deutlichen Frankenaufwertung bereit ist, mit grösseren Summen am Devisenmarkt aktiv zu werden. Kann die SNB dem Aufwertungsdruck auch damit nicht entgegenhalten, wäre eine weitere Verschärfung der Negativzins-Massnahme theoretisch denkbar. Jedoch stellen Negativzinsen bereits in aktueller Höhe das Schweizer Vorsorge- und Finanzsystem vor Probleme. Zudem sind den Negativzinsen durch die physische Bargeldhaltung enge Grenzen gesetzt.
Die Schweizer Konsumenten profitieren von sinkenden Preisen. Werden die privaten Haushalte eine wichtige Stütze für das Wachstum bleiben?
Das ist wichtig hervorzuheben: Auch im Umfeld stagnierender Nominallöhne haben Arbeitnehmer bei sinkenden Konsumentenpreisen unterm Strich mehr verfügbares Einkommen. Entsprechend erwarten wir, dass der Privatkonsum auch in Zukunft eine Stütze des Wirtschaftswachstums darstellt. Zusätzlich sollte das extrem tiefe Zinsniveau unterstützend wirken, da es grössere Anschaffungen begünstigt. Das sahen wir in den letzten Monaten etwa mit Blick auf die steigenden Autoverkäufe: Die Schweizer scheuen auch nicht vor grösseren Anschaffungen zurück.
* Dominik Studer ist Senior Economist bei der UBS. Zuvor arbeitete er als Analyst bei der Bank J. Safra Sarasin und der Schweizerischen Nationalbank.