Seine düsteren Prognosen vor der Finanzkrise 2008 machten Nouriel Roubini weltberühmt – und brachten dem New Yorker Ökonom den Spitznamen «Dr. Doom» ein. Von allzu grossem Pessimismus ist heute nur noch wenig geblieben – vor allem mit Blick auf die Schweiz: Die Wahrscheinlichkeit sei klein, dass die USA die Schweiz als Währungsmanipulator brandmarken werden, sagt er im Interview. «Ich wäre nicht sonderlich besorgt.» Auch für den Schweizer Franken und die Herausforderungen der Nationalbank (SNB) ist Roubini zuversichtlich. Der SNB stellt der Ökonom ein gutes Zeugnis aus.
Im Gegensatz zum US-Präsidenten Donald Trump. Dieser könnte mit seiner protektionistischen Politik einen globalen Wettlauf entfachen, sollte Washington tatsächlich die geplante Grenzsteuer auf ausländische Produkte durchbringen. «Dann gibt es das Risiko von Vergeltung und Handelskriegen.» Der britischen Wirtschaft prognostiziert Roubini wegen des Austritts aus der Europäischen Union einen «graduellen Abschwung».
Roubini: Abkehr vom Mindestkurs war «unvermeidbar«
Der an der New York University (NYU) unterrichtende Roubini gehört zu den renommiertesten Ökonomen der Welt. 2007 warnte er vor dem Kollaps des Finanzsystems, einer schweren Rezession und einer drohenden Preisspirale nach unten. Seitdem gilt er als Untergangsprophet und ist ein gefragter Experte: Rund 200 Tage im Jahr jettet Roubini um die Welt. Die «Handelszeitung» traf den Ausnahmeökonomen zusammen mit der Meinungsplattform Project Syndicate in London. Trotz einer schweren Erkältung gab Roubini ein ausführliches Interview.
Das erwartet Nouriel Roubini für den Schweizer Franken:
Die Gefahr, die Schweiz könnte von den USA als Währungsmanipulator diskreditiert werden, stuft der Starökonom als gering ein. Die Schweiz dürfte «klein genug» sein, um einem Rüffel oder gar Strafen zu entgehen, ist Roubini zuversichtlich. Zwar sei der Überschuss in der Leistungsbilanz, die neben Waren auch Geldströme berücksichtigt, gross. Das meiste davon seien jedoch Zinsen und Einkommen, welche die Schweizer als Besitzer von ausländischen Wertpapieren erwirtschafteten. Auch sei der Handelsüberschuss der Schweiz nur klein.
Die SNB nimmt Roubini in Schutz. Mit ihren «unkonventionellen Interventionen», wie Negativzinsen und temporären Eingriffen am Devisenmarkt, habe sie einer «exzessiven Aufwertung des Frankens» entgegengewirkt und damit negative Auswirkungen auf Exporte und Wachstum verhindert. Die Abkehr vom Euro-Mindestkurs hält Roubini offenbar für alternativlos: «Es ist sehr hart, eine Politik fixer Wechselkurse zu verfolgen und deshalb war es unvermeidbar, diese Politik aufzugeben.» Für die Zukunft scheint die Marschroute klar: Weil der Wechselkurs auf eine kleine, offene Volkswirtschaft wie die Schweiz grossen Einfluss habe, müsse der Franken gemäss Roubini auch weiterhin gemanagt werden.
Druck auf Franken nicht mehr so gross
Ein grosses Thema für Europa stellen die anstehenden Wahlen in wichtigen Kernländern wie Frankreich und Deutschland dar. Experten befürchten ein Wiedererstarken des Frankens, sollten verunsicherte Anleger nach unerwarteten Ergebnissen panikartig in die Währung flüchten. Roubini jedoch gibt sich zuversichtlich: «Alles in allem ist der aktuelle Druck nicht so gross, wie zu anderen Zeiten.» Doch selbst wenn einige Umfragen heute nicht darauf deuten, dass die populistischen Kräfte in Europa an die Macht kommen, warnt Roubini. Er hält es für sehr wahrscheinlich, dass Europas Populisten weiter an Einfluss gewinnen. Als Beispiel führt er die Präsidentenwahl in Frankreich an, wo der rechte Front National um Kandidatin Marine Le Pen gute Chancen eingeräumt werden. «Angenommen Le Pen bekommt 40 Prozent der Stimmen in der zweiten Runde, dann ist sie eine gewaltige Kraft.»
Schon heute beschäftigt der beschlossene Austritt der Briten aus der Europäischen Union das politische Tagesgeschäft – selbst wenn sich der Brexit wirtschaftlich heute noch nicht bemerkbar macht. Im Gegenteil: Zuletzt zeigten sich Firmenchefs in besserer Stimmung, das Vertrauen der Konsumenten stieg. Roubini indes glaubt nicht an eine nachhaltige Erholung. Es gebe bereits Anzeichen, dass sich die britische Wirtschaft abkühle: Die Inflation nimmt zu, was sinkende Reallöhne zur Folge hat. Insbesondere wenn die Scheidung von der EU «hässlich» werde, dürften die Folgen noch schlimmer werden, ist er überzeugt.
«Massive Umverteilung»
Für den Alten Kontinent gefährlich ist insbesondere die politische Dimension: Der Brexit könnte einen Zusammenbruch von Grossbritannien zur Folge haben: Möglich scheint ein Unabhängigkeitsvotum in Schottland, ein Referendum könnte Nordirland und Irland zusammenführen. Die Auswirkungen werden entscheidend sein, prognostiziert Roubini. Die Überlegung: Sollten sich Schottland und Nordirland vom Königreich loslösen, wachsen auch die Separationswünsche in anderen Ländern. Als Beispiel nennt Roubini die Unabhängigkeitsbewegungen der Katalanen in Spanien. Neue Sorgen um eine weitere Desintegration der Euro-Zone wären die Folge.
Die von Donald Trump geplante Importsteuer auf ausländische Güter hält Roubini gleich aus mehreren Gründen für eine schlechte Idee. Diese könnte gegen geltendes Recht der Welthandelsorganisation (WTO) verstossen. Hinzu kommt: Während Washington damit die heimischen Exportfirmen unterstützte, würden viele amerikanische Firmen leiden, die auf Importe angewiesen seien. Innerhalb des Unternehmenssektors gäbe es «massive Umverteilungseffekte, die nicht fair sind».
Auch hält Roubini eine solche Steuer für regressiv: Die unteren 10 Prozent der Bevölkerung würden überproportional darunter leiden, weil sie besonders viele billigen Güter aus Schwellenländern importiert. Weil auch viele Republikaner gegen eine solche Steuer sind, glaub Roubini nicht an eine Umsetzung. «Es ist höchst wahrscheinlich, dass diese schlechte Idee nicht Politik wird.»