Jede Zeit bekommt den Film, den sie verdient. Wir haben jetzt, da ein merkwürdiger Mann als 45. Präsident der in politischer wie ästhetischer Hinsicht immer noch übermächtigen Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt wird, «La La Land».

Es ist nach «Whiplash» der erst zweite Abendfüller des als Regiewunderknaben emporgeschossenen Damien Chazelle (einen Tag vor Donald Trumps Inauguration wird Chazelle 32 Jahre alt).

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Bei der Verleihung der Golden Globes hat er – neuer Rekord – sieben Auszeichnungen eingefahren. Und zwar in allen für ihn wichtigen Kategorien: Bester Film, beste Regie, bestes Drehbuch, beste Hauptdarsteller, beste Musik, bester Song.

Süsse Verführung aus Hollywood

Damit setzt der Film, der zur Eröffnung der Festspiele in Venedig uraufgeführt wurde, seinen Siegeszug fort. Verdient hat er es – das gleich vorweg – eigentlich nicht. Denn originell ist in diesem bemühten Retro-Musical gar nichts.

Bis auf die wirklich hübsche Eingangssequenz, einer vor der Morgen-Skyline von Downtown L.A. entspannt über ihre Blechschüsseln tanzenden Autobahnstaumenge. Die trotzdem irgendwie fatal an den Auftakt des DDR-Musicals «Heisser Sommer» mit Chris Doerk und Frank Schöbel erinnert…

Augen-Candy. Hirn-Zucker. Die süsseste Verführung, die klebrigste Ablenkung, sie kam immer schon aus Hollywood. Die Traumfabrik der schönen Zelluloidlügen, der künstlichen Studiowelten. Das Paralleluniversum neben den Orangenhainen an der kalifornischen Studioküste, noch heller leuchtend im Licht der elektrischen Schweinwerfersonnen.

Zum Trösten und Vergessen

So hat das amerikanische Kino dem eigenen Land, aber auch der Welt durch die Depression geholfen, hat sie die Schrecken der grossen und kleinen Kriege vergessen lassen, hat über Techniksprünge und gesellschaftliche Verwerfungen hinweggetröstet.

Und als das nicht mehr weiterging, als das grandios autokratische System der alten, jüdischen Emigrantenpatriarchen an sein Ende kam, da hat es sich als New Hollywood neu erfunden und der Welt ins echte Auge geblickt. Oder es zumindest versucht.

Filmmusicals ohne Regeln

Das alte Hollywood, es definierte sich immer auch durch seine Genres und Qualitätsabstufungen. Da gab es die A- und die B-Pictures, die Krimis und Gangsterstücke, die Komödien, die Glamourfilme, die Kostümschinken, die Frauen-Wein-Filme, die Durchhalte- und Propagandafilme.

Und seit dem Tonfilm die technicolorbunten Filmmusicals. Gerade da durfte und konnte man innovativ sein, denn glauben musste dieses über Wahnsinnstreppen walzende und in Irrwitzkostümen steppende Bilderschaumgebäck sowieso niemand.

Es war Eskapismus pur, keinen Regeln unterworfen. Deshalb konnte da ein ältlicher Gentleman wie Fred Astaire als Star reüssieren, eine Balletttänzerin wie Cyd Charisse, eine von Minderwertigkeitskomplexen und Medikamentenabhängigkeit geplagte Multibegabung wie Judy Garland, eine Schwimmerin wie Esther Williams, eine obstbehängte Brasilianerin wie Carmen Miranda und eine mit den richtigen Massen ausgestattete (falsche) Blondine wie Betty Grable.

Das Filmmusical ist freilich Ende der 60er-Jahre verschieden und fast verstummt, die bitterböse Nazisatire «Cabaret» (wo die Musik aber nur im Berliner Vergnügungsbums erklingt) war 1972 wohlmöglich sein letzter, wirklich guter Beitrag. Den Oscar für den besten Film bekam «Cabaret» aber nicht. Das letzte Filmmusical mit diesem Prädikat war 2001 das sehr retro-gestrickte «Chicago», das die Auszeichnung erhielt. In diesem Jahr wird wohl ziemlich sicher «La La Land» dran sein.

Ein Film so teuer wie zehn Minuten Blockbuster

Was zeigt, dass das Musical nicht wirklich sterben darf, immer mal wieder als scheintote Schöne gepäppelt und reaktiviert wird; obwohl Damien Chazelle für seinen Film jahrelang kämpfen musste, und seine läppischen 30 Millionen Dollar Kosten gerade mal für zehn Minuten durchschnittlicher Blockbusterware reichen würden.

Das bittersüsse, in allergeschmackvollste Bonbonfarben getauchte «La La Land» spielt freilich virtuos noch auf einer zweiten Tastatur bewährter Filmgenres – der meist böse-zynischen Selbstthematisierung Hollywoods als Tinseltown und – ja, eben – La La Land.

1950 kulminierte das bei Billy Wilders «Sunset Boulevard» in einer rabenschwarzen Achterbahnfahrt in den Abgrund des Vergessens – die trotzdem ihre Bühnenadaption als opernhaftes Lloyd-Webber-Musical erfuhr.

Clever zubereiteter Cocktail

Dagegen und gegenüber all den anderen echten, originalen, originellen MGM-Musicals, die heute überall selbst zum Stream- und Download-Kauf locken, ist «La La Land» nur ein müder Abklatsch, ein kleines, nettes, generös auf der Ironieschiene daherruckelndes Filmchen. Gesehen, gemocht und nach dem Abspann gleich wieder vergessen.

Allerdings wurde dieser süsse Cocktail sehr clever zusammengerührt. Und zudem, Chazelles Vater ist ein französischer Informatiker, sehr rational mit ein wenig gallischen Ingredienzien veredelt. Aber so, dass das Tuttifrutti-Gebräu noch genug kalifornischen Instantgeschmack besitzt. Und aus einer laienhaften Anmutung sein bisschen Charme bezieht.

Perfekte It-Combo erzählt Feelgood-Geschichte

Hier findet sich nicht viel mehr als die alte, vielfach erzählte Feelgood-Geschichte vom Schauspielküken, das erfolglos durch ein fieses Vorsprechen nach dem anderen fällt, während es seinem Boyfriend, einem begabten Jazzpianisten, der sich freilich für Geld in öden Nachtclubs verkauft, später an den sich dann doch einstellenden Ruhm verliert.

Dafür hat Chazelle mit dem zum dritten Mal vereinten Paar Emma Stone (rothaarig und doch Doris-Day-blondschusselig als Mia) und Ryan Gosling (soooo süss mit Dreitagebart im blauen Anzug als Sebastian) die perfekte It-Combo der Stunde. Brangelina sind Geschichte, Day und Rock Hudson, Katharine Hepburn und Spencer Tracy, Joan Crawford und Clark Gable sind es schon viel länger.

Die Story, abgesehen vom dann auch sehr kalkuliert inszenierten Finale, ist es also kaum, die alle begeistert. Es ist die Aura und die Chemie von Stone und Gosling, die den Adrenalinpegel steigen lässt.

Sie spielen relaxed und kommen auch gut damit klar, dass ihre beschränkten Gesangs- und Tanzfähigkeiten blossgestellt werden. Was der Film aber geschickt als Stärke kaschiert. Schliesslich sind wir hier in Los Angeles, La La Land, wo sich niemand wirklich ernst nimmt, alles nur Falschheit und Vortäuschung ist.

Musikalisch überbrückte Durststrecken

Und trotzdem lernen beide, natürlich im Griffith-Observatorium, wo schon James Dean in «Denn sie wissen nicht, was sie tun» messerkämpfte, zu Walzerklängen tanzend zu den künstlichen Sternen zu fliegen. Schliesslich hat Gosling ja schon vorher mit wisperndem Bariton die «City of Stars» als immerwährendes Songthema beschworen.

Die Partitur von Justus Hurwitz und den Textern Benj Pasek und Justin Paul räkelt sich augenzwinkernd und pianoklimpernd am Plagiat vorbei, verklebt wunderbar Brüche und Sackgassen, optimiert öde Enden und Durststrecken des Drehbuchs, für das auch Chazelle verantwortlich zeichnet. Warum etwas infrage stellen, wenn es sich doch sowieso permanent und penetrant als Retro-Künstlichkeit ausstellt?

War alles schon mal

In den Pappkulissen einer die Farben der Impressionisten heraufbeschwörenden Studiowelt tanzte 1951 zu Gershwin-Klängen Gene Kelly mit Leslie Caron als «Amerikaner in Paris» durch eine trotzdem hinreissend genuine Kreation. «La La Land» ist ein gerade wegen seiner strahlenden Buntheit so herb aufstossender Wust von Zitaten. Festgefahren in seiner eigenen Historizität, wie zu Anfang die Protagonisten Mia und Sebastian im Dauerstau.

Damien Chazelle bekommt das zwar besser in den Griff als es kürzlich den Coen-Brüdern mit ihrer liebevollen, aber in zu viele Puzzlebrösel zerfallenden Hollywood-Hommage «Hail, Caesar!» gelang. Aber was er in «La La Land» versucht, ist letztlich schon ein zweiter Zitate-Aufguss.

Vorbild in Westfrankreich

Denn das stilistische Original spielt 1967 im Département Charente-Maritime. Schon der amerikanifizierte Jacques Demy inszenierte in «Les Demoiselles de Rochefort» einen Nostalgietraum von Hollywood in Westfrankreich.

Und er liess den ganzen Film mutig mit piepsenden Stimmchen im Säuseljazz durchsingen. Aber er hatte dafür auch Catherine Deneuve und ihre tragisch früh verstorbene Schwester Françoise Dorléac. Und – Gene Kelly!

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