Es gab zwei Gene Wilders. Der eine war der blonde Lockenkopf mit der fragenden Miene, dessen Arme fixpunktsuchend herumruderten und dem die Worte in panischen Kaskaden aus dem Mund quollen.

«Mein Tuch! Mein blaues Tuch!», stöhnte er dann. «Gebt mir mein blaues Tuch! Oohhhh! Aaaahh! Mmmmmmm! Mmmmmm! Aahhhh. Entschuldigung, aber ich mag es nicht, wenn Leute mein blaues Tuch berühren! Es ist nicht wichtig, es ist nur ein kleiner Zwang, ich kriege ihn in den Griff, wenn ich will.» Und klammert sich in Mel Brooks' «Frühling für Hitler» an seine Schmusedecke, als hinge das Leben davon ab.

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Keine-Miene-Verzieher

Dann war da der Keine-Miene-Verzieher, der eine bizarre Situation so spielt, als wäre sie das Normalste von der Welt. In Woody Allens «Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten» gibt er einen Arzt mit einer einzigen ungewöhnlichen Passion: Er verliebt sich in das Schaf Daisy, nimmt es mit auf ein Hotelzimmer und bestellt Wein, Kaviar und frisches grünes Gras.

Gene Wilders grosses Jahrzehnt waren die Siebziger, da gab es Woody Allen, Mel Brooks, die Pythons und Otto. Es war die Zeit des Blödelns. Wilders Dr. Frankenstein in «Frankenstein Junior», der sich vom monsterbauenden Großvater distanzieren will und sich «Fronkenstihn» ausspricht, ist ein Paradebeispiel. Auch sein Gehilfe, gespielt von Marty Feldman, wird angesteckt:

Dr. Frankenstein: You must be Igor.

Igor: No. It's pronounced «eye-gor».

Dr. Frankenstein: But they told me it was «ee-gor».

Igor: Well, they were wrong then.

Was schon im Original hirnlos klang, schraubte der Lach- und Schiessgesellschafter Klaus Havenstein im Synchronbuch noch eine Drehung weiter. Dort spricht sich Igor «Eiger» aus: «Ich stamme von der Nordwand.»

Filmhumor der Siebziger

Das war der Filmhumor der Siebziger, man arbeitete sich in Parodien an den Klassikern ab, und Wilder war dafür wie geboren. In «Der wilde wilde Westen» nahm er als alkoholisierter Ex-Revolverheld den Western aufs Korn, in «Frankenstein Junior» den Horror, in «Der grösste Liebhaber der Welt» den schmalzigen Liebhaber der Stummfilme, und in «Sherlock Holmes' cleverer Bruder» versucht Wilder seinen älteren Bruder aus Eifersucht zu übertreffen.

In ihren besten Exemplaren kombinierten diese Parodien Respekt für das Original mit selbstständigem, verschrobenem Humor. Mitte der Siebziger war Wilder so populär, dass man ihn mit dem Komiker Richard Pryor zusammenspannte; ein Marketingexperiment, ein Weisser und ein Schwarzer in einer gleichberechtigten Partnerschaft, vor Nolte/Murphy und vor Gibson/Glover.

Sehnsucht nach dem Ernst

Gene Wilder war 1933 als Jerome Silberman zur Welt gekommen, und als Begründung für seine Namensänderung sagte er – halb im Scherz –, er habe sich nicht vorstellen können, dass ein Silberman die Rolle des Hamlet bekäme. Darin steckte die alte Sehnsucht des Komödianten – der Chaplins lustig-traurige «Lichter der Grossstadt» bewunderte – nach dem Ernst. In der Tat hatte Wilder am Broadway den Kaplan in «Mutter Courage» gespielt, mit Anne Bancroft in der Titelrolle, deren damaliger Liebhaber Mel Brooks hiess, der Wilder auf den Pfad zum lustigen Fach brachte.

Trotzdem ist der eine Film, der – ausser «Frankenstein Junior» – von Gene Wilder bleiben wird, ein dunklerer: «Charlie und die Schokoladenfabrik». Wilder führt Kinder durch seine Fabrik, und ständig spielt ein teuflisches Lächeln um seine Mundwinkel. Wir ahnen die Neurosen, die Wilder plagten, und nirgends ist hysterisches Gelächter, das davon ablenken könnte.

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