«Bristlecone» nennen Googles Forscher ihren neuesten Vorstoss bei der Entwicklung der ersten Quanten-Supercomputer. Mit dem Chip, den der Konzern diese Woche erstmals öffentlich zeigte, lassen die Entwickler klassische Chiphersteller wie Intel und Konkurrenten wie IBM und Microsoft – zumindest in der Chip-Grösse – vorerst hinter sich. Intels neuer Chip hat 72 Quanten-Speichereinheiten, sogenannte Qubits – bisher lagen IBM mit 50 und Intel mit 49 Einheiten vorne.

Googles neuer Quanten-Chip ist gross genug, um als erster seiner Art zumindest theoretisch klassische Supercomputer beim Lösen sehr spezieller Rechenaufgaben zu übertreffen, sagt Googles Chef-Quantenforscher Julian Kelly. Er könnte als Beweis für die zukünftige Leistungsfähigkeit der Technologie dienen. Damit hätte Google laut eigener Einschätzung im Wettkampf um den ersten funktionsfähigen Quanten-Chip einen wichtigen Schritt vor der Konkurrenz geschafft. Das ist umso bemerkenswerter, weil Google kein klassischer Chip-Hersteller ist.

Im Bereich des Quanten-Computings leisten sich aktuell nicht nur Hardware-Hersteller wie Intel, IBM und Samsung teure Grundlagenforschung, sondern auch Softwarehersteller wie Microsoft, Internetkonzerne wie Google oder die chinesische Internetriese Alibaba. Aber selbst Banken wie Barclays und der Autohersteller Daimler investieren in diese Erforschung.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Milliardeninvestitionen sind nötig

Wer dort bereits aktiv ist, könnte beim nächsten grossen Goldrausch der IT-Branche in einigen Jahren ganz vorne dabei sein. Doch für die Grundlagenforschung sind Milliardeninvestitionen nötig. Während Intel und Google nicht verraten, wie viel sie sich die Erforschung der Zukunftschips kosten lassen, plant Alibaba zusammen mit dem chinesischen Staat aktuell ein Investment von zehn bis 15 Milliarden Dollar in die Quanten-Forschung.

Denn Quantencomputer sind die Maschinen, von denen sich Forscher bei Intel, Microsoft, Google und IBM den nächsten grossen Schritt in der Prozessortechnologie erhoffen. «Vereinfacht gesagt, unterscheiden sich Quantencomputer von klassischen Silizium-basierten Chipdesigns darin, wie sie sich Informationen merken», erklärt Intel-CTO Michael Mayberrry im Gespräch mit WELT.

Supercomputer

Googles Supercomputer ohne Thermoschutzhülle und Anschlusskabel. Die hängende Konstruktion ermöglicht es von oben Kühlmittel hineinzupumpen.

Quelle: Google

«In den Quanten-Speichereinheiten, den Qubits, wird Quanten-Mechanik ausgenutzt, um Informationen in einer sogenannten Superposition zu halten – miteinander korrelierte Kombinationen dieser Einheiten können ein vielfaches mehr an Daten speichern und verarbeiten als ein traditioneller Chip.» In einem klassischen Chipdesign, erklärt Mayberrry, hat jede Speicher-Information einen Wert von null oder eins. Im Quanten-Chip dagegen kann ein Speicherwert zwischen diesen beiden Extremen liegen. Damit lassen sich Informationen viel schneller verarbeiten als bisher.

Wettkampf an unterschiedlichen Technologien

Bislang ist jedoch weder Googles noch Intels oder IBMs Quanten-Chip dazu in der Lage, echte Aufgaben etwa bei der Entschlüsselung von Krypto-Informationen oder im Bereich künstlicher Intelligenz zu lösen. Von einem praktischen Einsatz ist die Technologie noch einige Jahre entfernt, sagt Mayberry: «Für einen kommerziellen Einsatz müssen wir Chips mit etwa einer Million Qubits entwickeln.»

Im Wettkampf darum arbeiten Intel und Google an grundsätzlich unterschiedlichen Technologien. Während Intel in bisherigen Designs auf supraleitende Komponenten setzt, die auf eine Temperatur sehr nahe des absoluten Nullpunkts gekühlt werden müssen, basiert Googles Chip auf sogenannten Spin-Qubits. Sie müssen auch extrem gekühlt werden, dürfen aber immerhin 50 mal wärmer laufen als bisherige Chips.

Deswegen können sie deutlich kleiner gebaut werden als bisherige Designs. Zumindest theoretisch sind damit Quantencomputer mit mehreren hundert Speichereinheiten denkbar. Inzwischen entwickelt auch Intel Spin-Qubits. Auf der Technologiemesse CES stellte man im Januar ein Verfahren vor, die Technologie in klassischen Silizium-Produktionsverfahren herzustellen. Damit erscheint ein seriennaher Quanten-Chip plötzlich viel näher als bislang von der Forschergemeinde erwartet.

Google_Quantenchip

Quanten-Chip: Mit dieser Entwicklung ist Google der Konkurrenz voraus.

Quelle: Google

Nur im Labor zeigt sich bisher die Überlegenheit

Denn der Bau einzelner supergekühlter Chips für das Labor ist eine Sache. Doch für den kommerziellen Einsatz fehlen den Quanten-Chips bislang wichtige Eigenschaften: Sie halten die Informationen in ihren Speichern nur wenige Mikrosekunden lang – nicht lang genug, um ein Programm auszuführen oder eine Information zu verarbeiten.

Zudem lesen die Chips gespeicherte Quanten-Informationen falsch aus. Googles neuer Bristlecone-Chip etwa liegt in einem von hundert Fällen falsch. Das reicht aus, um die Überlegenheit der Technologie im Labor zu beweisen – für das Lösen realer Aufgaben dagegen reicht es noch nicht.

Die erste kommerzielle Anwendung der Chips wird voraussichtlich Kryptografie sein: Bereits jetzt ist theoretisch bewiesen, dass Quantenchips die mathematischen Aufgaben zum Finden grosser Primzahlen um ein vielfaches schneller lösen können als klassische Supercomputer.

Problem für Bitcoin und Co.

Genau das wäre auch eine Gefahr für heutige Digitalwährungen wie Bitcoin. Ihre Sicherheitstechnologie Blockchain basiert darauf, dass es Ewigkeiten dauern würde, den Verschlüsselungscode für die Geldtransaktionen innerhalb einer Digitalwährung zu errechnen.

Quanten-Computer stellen diese Gleichung aber grundsätzlich in Frage: Wer den ersten funktionsfähigen Computer mit einigen zehntausend Qubits besitzt, könnte damit als erstes die Verschlüsselung von Kryptowährungen hinterfragen. Damit ist das Bitcoin-System eine Art Frühwarn-Indikator dafür, ob ein Forscherteam diese Aufgabe bereits gelöst hat.

Quanten-Chips könnten nicht nur sämtliche Blockchain-Entwicklungen wertlos machen, sondern auch sämtliche aktuell existierenden Verschlüsselungstechnologien des Internets knacken. Obwohl bislang kein voll funktionsfähiger Quanten-Chip existiert, beschäftigen sich Kryptografen deswegen bereits mit neuen Verschlüsselungs-Verfahren, die nicht mehr auf Primzahlen basieren.

Sollten Googles und Intels Forscher schneller erfolgreich sein als gedacht, müsste eine komplette Generation von Sicherheitstechnologien innerhalb kurzer Zeit ausgetauscht werden.

Dieser Artikel erschien zuerst bei der «Welt» unter dem Titel: «Dieser Computerchip könnte Bitcoin und Co. wertlos machen».