«Willkommen», grüsst Karim Twerenbold, als er die kleine Eingangshalle betritt, und ruft: «Bitte kommen Sie mit!» Der 33-Jährige geht mit grossen Schritten voran in sein Büro. Es befindet sich nicht im obersten Stock am Firmensitz der Twerenbold Gruppe in Baden-Rütihof, sondern im Parterre. Und es ist auch kein Eckbüro. Das Erste, was ins Auge sticht, ist ein Gemälde, 1×1,5 Meter gross, voll mit bunten Papageien. Ein «Rolf Knie»? «Nein», sagt Twerenbold und fügt lachend an, «dieses Bild hat mein Vater einmal von einer Reise mit nach Hause gebracht – lange hing es im Sitzungszimmer, jetzt hängt es hier bei mir, ich mag die Farben.» Und die Erinnerung.

Werner Twerenbold, der das Reiseunternehmen seiner Vorväter gross machte, verunglückte im Dezember 2015 tödlich. Sein Sohn Karim verlor von einem Tag auf den andern nicht nur seinen Vater, sondern auch sein Vorbild und seinen Lehrmeister.

Das Twerenbold Reiseterminal, aufgenommen am 26. Mai 2018 in Baden.© Michele Limina
Quelle: MICHELE LIMINA

Und die Firma, inzwischen auf 350 Vollzeitstellen gewachsen, den Patron. «Wir waren alle zutiefst erschüttert», sagt Karim Twerenbold, «mein Vater war für alle hier sehr wichtig.» Für ihn selbst bedeutete es, dass er von einem Tag auf den andern der einzige Twerenbold im Betrieb war.

Ein Sprung ins kalte Wasser war es für ihn aber nicht. Das Unternehmen war von frühester Kindheit an ein Teil von ihm – und er ein Teil des Unternehmens. «Mein Vater war jeden Mittag zu Hause und erzählte immer viel», sagt Karim Twerenbold, «und er nahm mich oft mit und entfachte so auch das Feuer für dieses Geschäft in mir.»

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Als Schüler putzte Karim hier Busse, legte Rechnungen ab, schrieb Reiseprogramme. Und verdiente sein erstes Geld. Dass er, ein Einzelkind, Nachfolger werden würde, war absehbar. Als er die Matura im Sack hatte, wurde der Vater erstmals konkret und lancierte das Thema. «Er fragte, ob ich mir vorstellen könnte, sein Unternehmen eines Tages zu übernehmen», sagt Karim Twerenbold, «und ich sagte ihm ganz klar, dass ich mir das auf jeden Fall vorstellen konnte – irgendwann.»

Seine Zusage blieb erst einmal ohne Gegenzusage des Vaters. «Er machte mir von Anfang an klar, dass ich übernehmen könne, falls ich dafür der Richtige wäre. Eine Garantie gab er mir nicht.» Twerenbold senior ging es nicht in erster Linie darum, das Unternehmen in der Familie zu halten, sondern die Firma an sich zu erhalten. «Ich musste erst lernen, mit diesem Druck umzugehen», sagt Karim Twerenbold, «anderseits war die Haltung meines Vaters die einzig richtige.»

Die Firma in der Familie behalten war nicht das Ziel, sondern das Unternehmen zu erhalten.

Karim Twerenbold erarbeitete sich in einem Betriebswirtschaftsstudium das theoretische Rüstzeug, absolvierte diverse Praktika und hatte vor, seine Berufskarriere als Controller in einem Konzern zu beginnen, «es fehlte nur noch meine Unterschrift auf dem Vertrag». Doch es kam anders: Der CEO, den Werner Twerenbold 2010 eingestellt hatte, um sich fortan aufs Präsidium zu konzentrieren, schlug vor, dass Karim sofort in den Familienbetrieb einsteigen sollte. Ein Komplott von Vater und CEO? «Das fragte ich den CEO auch», sagt Karim Twerenbold, «er versicherte mir, dass dem nicht so sei.» Nein, es sei nicht schwer gewesen, dies zu glauben, sagt der junge Unternehmer: «Mein Vater hatte sich aus dem operativen Geschäft verabschiedet und echt losgelassen, was ja absolut nicht selbstverständlich ist.» Er beginnt zu lachen und fügt an: «Manchmal war er plötzlich drei, vier Wochen weg.»

«Ich wollte keinesfalls als Fils à Papa im Betrieb einsteigen.»

Ins Grossunternehmen oder in den Familienbetrieb? Einen Job antreten oder eine Lebensstelle? «Die Entscheidung fiel mir damals nicht leicht», sagt Twerenbold, «eigentlich wollte ich erst einmal ausserhalb Erfahrungen sammeln.» Dass er seine eigenen Pläne schliesslich sausen liess, erklärt er heute damit, «dass ich nicht unter meinem Vater einsteigen und arbeiten musste». «Ich wollte keinesfalls als Fils à Papa hier einsteigen.»

2011 beginnt er, in der Firmenzentrale in Baden-Rütihof unter den Fittichen des CEO an «diversen Projekten» zu arbeiten, und übernimmt 2012 eine erste sehr grosse Aufgabe: Er ist verantwortlich für den Bau des Flussschiffs «Excellence Princess», flunderflach und 135 Meter lang, ein 20-Millionen-Projekt. «Ich wollte das unbedingt gut machen.» Karim Twerenbold macht es gut, von A bis Z – intern wird von bestandener Meisterprüfung geredet. 2013, zwei Jahre nach seinem Einstieg in den Familienbetrieb, legt der damalige Geschäftsführer die operative Führung für die Twerenbold Reisen Gruppe und die Reederei-Tochter Swiss Excellence River Cruise in Karims Hände und zieht selbst als neuer Verantwortlicher der Twerenbold-Tochter Vögele Reisen ein Haus weiter.

Das Schiff, das unter der Leitung des Juniors gebaut und von seiner Mutter eingerichtet wurde, wird 2014 getauft und im November 2015 als «Flussschiff des Jahres» preisgekrönt – zwei Wochen vor dem Unglück des Vaters. Karim Twerenbold hält beim Erzählen für einen Moment inne und macht nochmals einen Sprung zurück in jene Zeit. «Von heute aus betrachtet war der Entscheid, den ich vor sieben Jahren gefällt hatte, 100 Prozent richtig.» 100 Prozent richtig war vor allem auch der Entscheid des Vaters, seine Nachfolge nicht aufzuschieben, sondern anzupacken. «Als er starb, war alles geregelt.»

Geregelt war längst auch die Stabübergabe vom Senior zum Junior. «Der Zeitplan sah vor, Anfang 2016 darüber zu informieren, dass ich das Unternehmen in vierter Generation übernommen hatte.» Karim Twerenbold trat in grosse Fussstapfen und übernahm die Verantwortung für das Unternehmen in einer anspruchsvollen Zeit: Stichworte Billigbusse, Billigflüge, Billigreisen. «Mein Vater sagte immer, er beneide mich nicht», sagt Twerenbold ernst und fügt an: «So, wie wir ticken und entscheiden, und so, wie wir aufgestellt sind, werden wir auch in Zukunft erfolgreich sein.» Als Nachfolger hat er es sich zum Ziel gesetzt, das Erbe nicht nur zu erhalten, sondern weiterzuentwickeln, und zwar à la Twerenbold: wachsen ja, aber nicht um jeden Preis, Gewinne nicht abschöpfen, sondern reinvestieren, finanziell unabhängig bleiben.

Das Twerenbold Reiseterminal, aufgenommen am 26. Mai 2018 in Baden.© Michele Limina

Karim Twerenbold (rechts) bespricht sich mit einem Chaffeur an einem Samstagmorgen – eine Zeit mit vollem Fahrplan.

Quelle: MICHELE LIMINA

Sein Motto heisst: «Innovativ aus Tradition.» Ein Widerspruch? «Ganz und gar nicht», sagt er, «Tradition heisst nicht Stillstand, sondern dass wir uns vielleicht zwei- oder dreimal überlegen, bevor wir etwas entscheiden. Denn wir sind uns bewusst, dass es einen Einfluss aufs Ganze hat.» Gutes gut belassen, wo möglich weiterentwickeln, wo nötig neu einsteigen, beschreibt Twerenbolds Strategie als Chef wohl am treffendsten. Pflöcke eingeschlagen hat er im Bereich der Digitalisierung, «das habe ich gepusht», nicht als Hauruck-Übung, sondern als stetiger Prozess. Twerenbold wirkt nach aussen eher als der leise Typ, er ist keiner, der das Rampenlicht sucht. Pressemitteilungen kommen selten aus der Firmenzentrale, schliesslich ist der Geschäftsgang Privatsache. Letzten Winter aber war er in aller Munde: Der Reiseunternehmer schloss sich mit dem ägyptischen Milliardär Samih Sawiris zusammen und bot für ihn Busverbindungen aus dem Mittelland nach Andermatt an, um die Lücke zu füllen, die wegen des verschlechterten SBB-Angebots in dieser Skiregion entstanden war.

Parkplatz Twerenbold
Quelle: MICHELE LIMINA

Als Patron will der junge Twerenbold nicht bezeichnet werden. «Mein Vater war hier eine Vaterfigur. Das bin ich nicht und will es auch nicht sein», sagt er, «ich will ein Vorgesetzter sein, der sich einsetzt.» Und: «Patron ist man nicht, sondern das wird man. Es ist auch eine Frage der Erfahrung und Erfahrung braucht Zeit.» Trotzdem: Dem jungen Unternehmer hängt bereits viel Patronales an. Etwa wenn er betont, dass es seine Mitarbeitenden sind, die das Unternehmen ausmachen, «sie fahren die Busse, sie sind an der Front, sie verkaufen die Schiffsreisen, sie sind die DNA.» Oder weil er, obschon noch sehr jung, bereits seine Nachfolge organisiert hat, für den Fall, dass ihm etwas passiert. «Der Fortbestand der Firma ist gesichert», sagt er, bald verheiratet, aber noch kinderlos. Wie das Notfallszenario aussieht, ist Familiensache und wird, wenn alles gut geht, garantiert überarbeitet und den persönlichen Wünschen seines Nachfolgers angepasst: «Im besten Fall übernimmt dereinst die fünfte Generation.»