Was will Google? Die Antwort auf die Frage, über welche die gesamte Medienwelt rätselt, ist im kalifornischen Mountain View, Googleplex, Gebäude 43, zu finden. Der Masterplan des erfolgreichsten Internetunternehmens der Welt hängt im Foyer des Hauptquartiers aus. Es ist eine weisse Tafel, 1,5 Meter hoch und 10 Meter lang. «Webseiten, Bilder, E-Mails, Video; Wissenschaftler einstellen, Random House kaufen», steht da mit buntem Filzstift hingekritzelt, «drahtlose Energie, Roboter, Raumfahrzeuge, den Aktienmarkt kontrollieren, Neuseeland kaufen, das Böse ausrotten.»

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Das ist typisch für Google. Alles könnte ernst gemeint sein – und alles nur Scherz. Keiner weiss es, aber den beiden Google-Gründern, Sergey Brin und Larry Page, wird alles zugetraut, wenn sie im Zimmer 211 in der zweiten Etage, durch Glastüren und Wände vom Grossraumbüro getrennt, ihre Köpfe zusammenstecken.

Brillante Mathematiker sind sie. An der renommierten Stanford University, nicht weit von der heutigen Google-Zentrale entfernt, startete Page vor zehn Jahren ein Forschungsprojekt, das zur Grundlage der Internet-Suchmaschine Google wurde. Brin stiess wenig später dazu. Heute sind sie erst Anfang 30, elffache Milliardäre und immer noch jugendlich unberechenbar. Der extrovertierte, meist in schwarze Trainingshose und T-Shirt gekleidete Brin, der seine Gesprächspartner gern mit scharfen Blicken und respektlosen Fragen überrumpelt, noch ein wenig mehr als sein stiller, scheu wirkender Kompagnon in Jeans und offenem Hemd.

Auf den ersten Blick betreiben sie dabei nur eine Suchmaschine im Internet. Allerdings ist es die erfolgreichste der Welt. Dahinter verbergen sich ein mächtiges Vertriebsnetz für Online-Werbung und ein ebenso mächtiges Netz aus Hochleistungscomputern. Und das Fundament für ein neuartiges Medienimperium. Internetnutzer begegnen Google in E-Mails, beim Suchen von Videos, Bildern und Büchern; Google stellt Software her, mit Google kann man einkaufen, Bankgeschäfte erledigen, telefonieren und die Welt im Web aus der Vogelperspektive betrachten.

In der Informationsgesellschaft der Zukunft, in der das Internet nicht mehr im Computer eingesperrt, sondern überall und stets vorhanden ist – abrufbar als Service über Fernseher, Spielkonsole, Mobiltelefon und elektronisches Papier –, sitzt die gigantische Sortiermaschine Google wie die Spinne im Netz. Gut möglich, dass Google unser Leben in den nächsten Jahrzehnten prägen wird. Vielleicht mehr, als vielen lieb ist. Denn wer bei Google registriert ist, von dem speichern die mit künstlicher Intelligenz bestückten Computer doch so einiges: nach welchen Informationen er im Internet sucht, welche Fotos er abfragt, wo er einkauft, mit wem er E-Mails austauscht und was er schreibt. «Tue nichts Böses», heisst das Motto des Unternehmens. Schaun mer mal!

Die giftgrüne Ledercouch im Foyer, die Schokodrops, der Odwalla-Fruchtsaft im Glaskühlschrank, die Lego-Bausteine auf dem Besuchertisch, die wabernden Lavalampen auf dem Empfangstresen und die quietschgelben Fahrräder auf dem Areal von Googleplex im sonnigen Kalifornien spiegeln eine kindliche Unschuld vor – bunt, grell, verspielt. So sieht das Gute aus. Das weckt Vertrauen.

Vertrauen ist die Geschäftsgrundlage von Google. Das Vertrauen darauf, dass die Resultate der Google-Suche im Internet nicht manipuliert sind. Das Vertrauen der Anleger in die Kreativität der Google-Entwickler war die Grundlage für das Kursfeuerwerk seit dem Börsenstart 2004. Denn kaum ein anderes börsennotiertes Unternehmen geizt so mit Informationen über sich selbst.

Wie wichtig Vertrauen ist, bekommt Google gerade zum ersten Mal in ihrer jungen Geschichte so richtig zu spüren, obwohl das Unternehmen so gut dasteht wie nie zuvor: So löste Google-Finanzchef George Reyes anlässlich einer Konferenz der Investment Bank Merrill Lynch Mitte März ein mittleres Erdbeben an der Wall Street aus, als er relativ allgemein über «sich abschwächende Wachstumsraten» dozierte – auf der letzten Folie seines Vortrages. Nur wenige Minuten nach seinen Äusserungen verlor die Google-Aktie bis zu 13 Prozent. Sie erholte sich wieder, als klar wurde, dass Reyes nur allzu hohe Erwartungen hatte dämpfen wollen.

Auf welch dünnem Eis sich die Google-Aktie bewegt, zeigte sich zuvor bereits Mitte Februar. Zwar verkündete Google da für das vergangene Quartal einen Gewinnanstieg um 82 Prozent. Dennoch brach der Aktienkurs ein. Denn gerade erst hatte in den Vereinigten Staaten eine Diskussion darüber begonnen, ob Aktien von Internetunternehmen überbewertet seien. Kurz darauf kündigte Google an, ihren Dienst in China einer Selbstzensur zu unterwerfen, um die Machthaber in Peking milde zu stimmen.

Auch Telekomkonzerne wie die Deutsche Telekom und die US-Gesellschaft AT&T nehmen Google stärker ins Visier. Ihnen stösst sauer auf, dass sie Milliarden in neue Netze investieren – und Internetunternehmen wie Google den Rahm abschöpfen. Deutsche-Telekom-Chef Kai-Uwe Ricke will sie deshalb künftig zur Kasse bitten, wenn sie sein Glasfasernetz nutzen wollen. Vor allem aber attackieren Konkurrenten wie der Softwaregigant Microsoft oder das Internetportal Yahoo die Dominanz von Google. Yahoo setzt dabei im Gegensatz zu Google voll auf Personalisierung. Dienste wie Mein Yahoo mit auf jeden Einzelnen zugeschnittenen Nachrichten, Bildern oder Videos sollen dem Nutzer den Weg durch den Dschungel an Informationen weisen, gemäss dem Motto «Es ist dein Internet».

Einen Wettlauf der Systeme muss Google auch mit Microsoft ausfechten. Der Softwarekonzern setzt vor allem auf die Verbreitung seiner Massenprodukte Office und Windows. «Ich mache mir Sorgen wegen Microsoft», gestand Google-Mitgründer Brin, nicht gerade ein ängstlicher Zeitgenosse, jüngst dem US-Nachrichtenmagazin «Time». «Ich habe keine Bedenken, mit ihnen zu konkurrieren, aber sie haben gesagt, sie wollten Google zerstören.»

Als ob Brin und Page die Angriffe schon längst vorausgesehen hätten, ist ihr
Googleplex in Mountain View wie eine Burg gestaltet. Die fünf Gebäude sind über verglaste Brücken miteinander verbunden. Den Burggraben bilden die Parkplätze rund um die Anlage. Die Zufahrten werden neuerdings von Wächtern kontrolliert. Im Innenhof ist ein von Bäumen und Rasen flankierter Beachvolleyballplatz aufgeschüttet, der an eine Terrasse mit Sonnenschirmen grenzt. In der Google-Burg liesse sich eine längere Belagerung wohl verkraften. Die Kühlschränke in der Cafeteria sind voller Getränke und Snacks. Statt labbriger Pizza mit Cola gibt es hier frisch zubereiteten Salat, Lachs und Perrier. Vom Foyer geht es nach rechts zur Sushi-Bar und dann nach vorn über eine riesige Holztreppe in die obere Etage. Dort liegt ganz hinten die Büro-Lounge der Gründer.

Hier arbeiten sechs Milliardäre und Hunderte von Multimillionären. Jede Woche kommen derzeit 50 neue Mitarbeiter hinzu. Noogler heissen sie intern, New Googler. Es sind die Besten der Besten: Sie haben einen Intelligenzquotienten jenseits von 130, sie haben Interviews und Tests bis zum Umfallen überstanden.

6000 Mitarbeiter hat Google jetzt schon, aber noch immer muss jeder Kandidat
einen Bewerbungsmarathon absolvieren. Entschieden wird von der sechsköpfigen Prüfungskommission im Konsens. Nicht mal die Gründer selbst dürfen eigenmächtig Mitarbeiter einstellen.

«Ich darf nur vorschlagen, welche Mitarbeiter ich gern hätte», sagt Urs Hölzle, gebürtiger Schweizer und Architekt des mächtigen Google-Computernetzwerks. «So behalten wir alle das grosse Ganze im Auge.» Der Exprofessor aus der Nähe von Basel war einer der ersten Mitarbeiter. Ab und zu bringt er Yoshka mit zur Arbeit in sein verglastes Büro, Googles «Top Dog» – ein achtjähriger Leonberger, dessen Fell noch struppiger ist als der schwarze Bart seines Besitzers. Hunde sind bei Google erlaubt, Katzen nicht. Pro Woche verbringt Hölzle fünf Stunden damit, Bewerbungsunterlagen durchzusehen. Nicht für seine eigene Abteilung, sondern für die der Kollegen.

Gerade hat er Udi Manber, den Chef der Suchmaschine A9, abgeworben. A9 gehört zum Online-Händler Amazon. Mehrere Wochen hatte Hölzle allein gebraucht, um den bekannten Internetexperten dazu zu überreden, seine Bewerbungsunterlagen einzureichen. Die Prüfungskommission akzeptierte Manber. Seitdem ist Amazon-Chef Jeff Bezos, einer der ersten Google-Investoren und Freund der Gründer, leicht vergrätzt.

An Härte hat es Brin und Page nie gemangelt. So viel Reichtum und Macht hat noch nie jemand in so kurzer Zeit ange- häuft. Beide stammen aus einem akademischen Elternhaus. Brins Vater Michael, der mit seiner Familie 1979 von Moskau in die USA übersiedelte, lehrt Mathematik an der Universität von Maryland. Brins Mutter Eugenia arbeitet als Wissenschaftlerin bei der US-Raumfahrtagentur Nasa. Pages verstorbener Vater war Professor für Informatik. Sein Bruder Carl junior ist ein Dotcom-Millionär, der das von ihm mitgegründete Unternehmen Egroups im August 2000 für 432 Millionen Dollar an Yahoo verkaufte.

Beide Google-Gründer sind unverheiratet, haben aber feste Freundinnen, mit denen sie sich auch zeigen. Aber nur auf dem Campus. Zwei Projektoren werfen im Foyer Bilder von Mitarbeitern an die Wand, meist auf Partys. Immer wieder sind auch die Gründer zu sehen, Brin an der Seite einer bildhübschen Frau. Ansonsten hüten sie ihre Privatsphäre.

Das Gründerpaar trifft alle wichtigen Entscheidungen und hat via Aktien mit zehnfachem Stimmrecht dafür gesorgt, dass es auch so bleibt. Vor zehn Jahren amüsierten die Überflieger ihre Stanford-Kommilitonen mit dem Vorhaben, «das Internet herunterzuladen». Eine grössenwahnsinnige Idee, wie es schien – damals.

Inzwischen haben sie es fast geschafft: Rund zwölf Milliarden Webseiten erfasst ihr Computernetz, fast das gesamte Internet. Mit über 200 000 Rechnern, in Datenzentren über mehrere Kontinente verteilt, hat Google das grösste Netz der Welt.

Noch imposanter ist das Geschäftsmodell. Google versteigert Textanzeigen über und neben den Suchresultaten an Anzeigenkunden. Diese zahlen bis zu 70 Dollar, wenn Internetsurfer auf die Anzeigen klicken. Vorteil gegenüber Printmedien und Radio: Google kann den Werbekunden genau sagen, wie viele Kunden welche Anzeige gesehen haben. Und die Kunden können exakt in das Umfeld gehen, das sie interessiert.

In diesem Jahr wird Google damit wahrscheinlich knapp zehn Milliarden Dollar Umsatz machen – im Gründungsjahr 1998 waren es 200 000 Dollar. Und das Geschäft mit Online-Werbung fängt offenbar gerade erst so richtig an. Auf rund 30 Milliarden Dollar wird der Markt bis 2008 voraussichtlich wachsen, 13 Milliarden allein für Suchmaschinen.

Google ist das erste Unternehmen, das ein Milliardengeschäft mit Medien macht, obwohl es keine eigenen Medien besitzt. AOL und Time Warner taten sich 1999 zum «Medienunternehmen der Zukunft» zusammen. Für AOL-Gründer Steve Case schien es von Nachteil zu sein, als Internetunternehmen keine eigenen Medien zu besitzen.

Google hat ihn eines Besseren belehrt. Filme zu drehen, Fernsehsendungen, Zeitungen und Magazine zu produzieren, ist teuer und braucht viel Personal. Time Warner, der nach Umsatz weltgrösste Medienkonzern, hat fast 85 000 Angestellte. Sie erzielten im vergangenen Jahr 2,9 Milliarden Dollar Gewinn. Google schaffte knapp die Hälfte – mit 5680 Mitarbeitern.

Das klappt nur, weil Google keine eigenen Inhalte schafft, sondern nur auf Texte, Bilder, Musik und Filme anderer verweist. Und den Service mit Anzeigen finanziert. Dabei dringt Google sogar in das traditionelle Anzeigengeschäft vor, hat gerade einen Werbespotvermarkter gekauft und versteigert auf der Google-Seite in den Vereinigten Staaten auch Anzeigenplatz in Zeitschriften.

Seit es Suchmaschinen wie Google gibt, sind Inhalte zum Alltagsgut geworden, in Hülle und Fülle vorhanden, schnell auffindbar und meist kostenlos. Ist dies das Ende der traditionellen Medien? Vorstellbar ist, dass mit Google eine neue schöne Medienwelt beginnt, in der sich jeder im Heimbüro als kreativer Kleinverleger, Musikproduzent oder Filmregisseur betätigt und seinen Lebensunterhalt über Anzeigen bei Google finanziert. Vielleicht wird dann auch «Googlezon» wahr, die düstere Vision der amerikanischen Journalisten Robin Sloan und Matt Thompson. In ihrem Kurzfilm «Epic 2014» verbündet sich Google mit Amazon. Der neue Riese ist total vernetzt und so gut über seine Kunden informiert, dass er sie mit massgeschneiderten Angeboten von Dienstleistungen über Waren bis hin zu Musik, Video und Lesestoff versorgt. Die Medien werden zerrieben, 2014 stellt die «New York Times» ihr Geschäft ein und wird nur noch als Newsletter für die Elite und für Senioren verkauft.

Doch Amazon und Google haben sich noch nicht verbündet. Was also hat Google wirklich vor? Die Antwort von Brin ist simpel: «Das Wissen der Welt für alle zugänglich machen.» Deshalb verfolgen die Google-Gründer derzeit die nächste grössenwahnsinnige Idee. Sie wollen alle Bücher der Welt digitalisieren. In der Universitätsbibliothek von Ann Arbor in Michigan, die sieben Millionen Bücher umfasst, summen bereits die Scanner. Wie es ihre Art ist, haben Brin und Page das Projekt einfach vorangetrieben, ohne die Buchverlage einzuweihen. Sie wussten, dass es dann zerredet worden wäre. So wie ihnen Banken an der Wall Street die Idee ausreden wollten, die ersten Google-Aktien nicht wie üblich an einflussreiche Investoren auszugeben, sondern sie in einer Auktion zu versteigern, offen auch für Kleinanleger. Nun gibt es Ärger. Der Verband der amerikanischen Buchverlage hat Google verklagt. Sie trauen den Beschwichtigungen des Unternehmens nicht, die Urheberschutzrechte würden gewahrt und nur einige Buchseiten ins Internet gestellt. Gratis, als Kaufanreiz.

Ärger hat Google auch wegen ihrer Aktivitäten in China. Dort gibt es bereits 110 Millionen Internetnutzer. Wer sie erreichen will, muss sich an die Regeln der Regierung in Peking halten. Sie verpflichtet Internetsuchmaschinen, dem kommunistischen Regime nicht genehme Inhalte auszufiltern. Yahoo und Microsoft haben sich dem Diktat gebeugt und nun auch Google. Wird Google böse? Oder nur pragmatisch?

Sicherlich, das Blockieren von Internetseiten ist nichts Neues. In Deutschland praktiziert dies Google schon seit Jahren und versucht so, getreu den deutschen Gesetzen, volksverhetzende Propaganda oder das Leugnen des Holocaust zu stoppen. Auf dem Google-Campus wird das Thema China denn auch kontrovers diskutiert. Die Mehrheit sieht es realistisch: «In einer unvollkommenen Welt hatten wir eine unvollkommene Entscheidung zu treffen.» Der Nutzen – Zugang zum Wissen der Welt für alle Chinesen – wiege den Kompromiss auf. Google sei ein Unternehmen, keine politische Bewegung. Die populärste Suchmaschine in China ist Baidu, deren ehrgeizige Gründer Google auch auf dem Weltmarkt herausfordern wollen.

Aber wie böse ist es, ein Unternehmen aus dem Suchindex von Google zu werfen? So wie es BMW kürzlich erging, als deren Internetstrategen angeblich beim Manipulieren der Suchmaschine erwischt wurden? Google statuierte ein Exempel. Einige Tage lang tauchte beim Suchbegriff «BMW» der Autokonzern nicht mehr an erster Stelle der Google-Suchergebnisse auf. Nicht einmal auf der ersten Seite waren die Münchner zu finden. Das ist ungefähr so, als ob die Deutsche Telekom BMW im Telefonbuch unter «Y» eintragen liesse. Da wurde klar, wie mächtig Google ist.

«Die Entscheidung mit BMW war richtig», sagt Google-Produktchefin Marissa Mayer, «aber heute würden wir sicherlich intensiver vorher warnen und vor allem mehr Zeit geben.» Die Aktion war als Warnschuss gedacht für alle, die Google austricksen wollen. Manipulationen schaden dem Vertrauen der Nutzer in die Effizienz der Suchmaschine.

Es ist Freitagmittag auf dem Google-Campus. Marissa Mayer sitzt auf der Sonnenterrasse vor der Cafeteria. Im Hintergrund wird Beachvolleyball gespielt. Neben Page, Brin und Vorstandschef Schmidt gehört Mayer zu den bekanntesten Gesichtern bei Google. Die 30-Jährige ist blond, schlank, attraktiv, hat ein fein geschnittenes Gesicht und ist blitzgescheit. Vergangene Nacht hat sie nur drei Stunden geschlafen, sie ist gerade von einer längeren Europareise zurückgekommen.

Die Expertin für künstliche Intelligenz ist seit 1999 bei Google, zählt zu den ersten 20 Mitarbeitern. Damals schien es riskant, bei dem Start-up einzusteigen. Es gab kein Geschäftsmodell, aber ein funktionierendes Produkt, dessen Effizienz die Stanford-Absolventin beeindruckte.

Marissa Mayer, inzwischen längst Multimillionärin, ist meist bis Mitternacht im Büro. Sie will etwas aufbauen, «das allen nützt, etwas, das Bestand hat». So etwas wie «der Mac oder Madonna». Deshalb sieht sie die aufkeimende Kritik an Google und den Rummel um die Aktie gelassen. «Mac und Madonna hatten ihre Hochs und ihre Tiefs», sagt sie. «Und sie sind immer noch da.»

Von Mayer hängt viel ab. Als Produktchefin ist sie dafür zuständig, dass neue Ideen entdeckt und gefördert werden.

Google hat eine Liste mit 100 als äusserst interessant eingestuften Projekten. Sie sind geheim. «Wir reden generell nicht über unsere Strategie», sagt Mitgründer Page, «weil das strategisch ist.» Als gesichert gilt, dass der Online-Bezahlservice GBuy zu den Projekten mit der höchsten Priorität gehört. Bereits im Frühjahr soll er an den Start gehen. Google-Nutzer können dann über den Kleinanzeigenservice Google Base herunterladbare Videos, Software oder andere Waren und Dienstleistungen erstehen. Google wird damit zu einem Internetwarenhaus. Mehr noch: Google leitet die nächste Generation von Internetwerbung ein. In ein paar Jahren wird ein Anzeigenkunde nur noch dann für Online-Werbung bezahlen müssen, wenn ein Internetnutzer das beworbene Produkt auch kauft. Google verdient dann an der Werbung – und an der Provision für den Verkauf.

Voraussetzung für den Erfolg jedoch ist, dass Google auf den meisten Computern das Einfallstor zum Internet bildet. Brin, Page und Schmidt verhandeln deshalb mit den beiden weltgrössten Computerherstellern, Dell und Hewlett-Packard: Googles Suchmaske und Software soll auf PC und Notebooks vorinstalliert werden – ein Frontalangriff gegen Microsoft. Der Softwaregigant bringt im Herbst das neue Betriebssystem Windows Vista mit einer leistungsfähigen Suchfunktion heraus. Dann kommt es zum offenen Schlagabtausch um die Hoheit über die Bildschirme.

Ideen entstehen bei Google nicht planmässig in festgefügten Entwicklungsabteilungen. An neuen Produkten arbeiten Teams, denen nie mehr als vier oder fünf Mitarbeiter angehören. Sie holen sich Expertise bei anderen Teams und vernetzen sich untereinander. Ein kreatives Chaos: «Wir arbeiten ein wenig wie das Internet», sagt Produktmanagerin Mayer.

Sie ist der Filter für Brin und Page. Sie wählt aus, welche Ideen es wert sind, den Gründern präsentiert zu werden. Was nicht leicht ist. Wer sich mit den beiden unterhält, muss gut vorbereitet sein, Daten und Fakten präsentieren. Und vor allem Zahlen, Zahlen, Zahlen.

Besonders Brin kann Gesprächspartner mit seinem hintergründigen Humor leicht aus der Fassung bringen. Bei ihm weiss man nie, ob er es ernst meint oder ob er scherzt.

Im ersten Vorstellungsgespräch blaffte Sergey Brin beispielsweise den heutigen Vorstandschef Eric Schmidt wegen dessen «blödsinniger Strategie» als Chef des Softwareherstellers Novell an. Schmidt empfand das hitzige Streitgespräch als anregend, weil Brin gute Argumente vorbrachte. Brin wiederum imponierte, dass Schmidt nicht eingeschnappt reagierte. Wenige Monate später wurde Eric Schmidt erst Mitglied im Aufsichtsrat, dann Google-Vorstandschef.

Mayer muss zurück in ihr Büro. Heute ist ein besonderer Tag. Brin und Page vergeben den «Preis der Gründer» für die Teams mit den besten Ideen. Nicht irgendeine Urkunde oder eine schmale Prämie wie in den meisten Unternehmen – bis zu zehn Millionen Dollar werden dafür ausgereicht. Kai-Fu Lee wird eine Rede halten über die Pläne von Google für den chinesischen Markt. Lee ist der neue Held im Unternehmen. Als ehemaliger Vertrauter von Bill Gates und Microsoft-Vorstandschef Steve Ballmer kennt er die Strategie des Google-Wettbewerbers genau. Bei Microsoft war er geschätzt, fühlte sich aber nicht mehr wohl. «Die interessanten Dinge passieren bei Google», sagt Lee.

Google gilt als attraktivster Arbeitgeber des Landes. Nicht nur wegen der relaxten Atmosphäre, der kostenfreien Verpflegung, des Massage-, Wäscherei-, Werkstatt- und Gesundheitsservice. Auch nicht nur wegen der stattlichen Gehälter.

Am attraktivsten erscheint vielen Googlern die Möglichkeit, 20 Prozent ihrer Arbeitszeit selbst gewählten Projekten nachzugehen. Ein ganzer Tag pro Woche, der sich auch ansparen lässt. «Google ist wie eine Universität», schwärmt Franz Och. Aufgewachsen im fränkischen Pretzfeld, in Erlangen und an der RWTH Aachen ausgebildet, warb ihn Google vom angesehenen Information Science Institute im kalifornischen Marina del Rey ab. Seit 2004 arbeitet Och in Mountain View an einem Projekt, das den Google-Gründern besonders am Herzen liegt: das Übersetzen von Texten via Software.

Seit Jahrzehnten wird daran geforscht, die Resultate sind noch immer bescheiden. Franz Och versucht sie mit der Kraft von Googles mächtigem Computernetz drastisch zu verbessern. Die Idee ist, Bücher und deren Übersetzungen in den Computer zu laden und mathematisch miteinander zu vergleichen. Die Uno hat Google dafür als Basis ihre in sechs Sprachen übersetzten Unterlagen aus den vergangenen 20 Jahren überlassen. Och feilt an den Algorithmen, der Schwerpunkt liegt auf der Übersetzung vom Chinesischen und Arabischen ins Englische und umgekehrt. «Eines Tages könnte so ein chinesischer Internetnutzer eine englische Webseite lesen, die automatisch in seine Muttersprache übersetzt wird», sagt Franz Och. Wann? «Schwer zu sagen», meint der Deutsche, «aber es wird wohl noch etwas dauern.»

Die Google-Jungs haben Geduld. Denn die maschinelle Übersetzung hat noch andere Vorteile. Sie könnte Suchmaschinen mit künstlicher Intelligenz ausstatten. Anstatt nur Suchbegriffe zu zählen und die Verlinkungen der Webseiten zu analysieren, würden die Computer den Inhalt verstehen und so wesentlich besser ordnen.

Google, so scheint es, kann nur noch Arroganz oder Grössenwahn aus der Bahn werfen. «Unsere grösste Herausforderung derzeit ist unser Wachstum», sagt Hölzle. An Bewerbungen, die wäschekorbweise eintreffen, mangelt es nicht. Aber haben die Kandidaten auch noch die richtigen Motive, oder träumen sie nur vom schnellen Geld? «Wir haben immer sehr erfolgreich Wettbewerber aussortiert, denen es vorrangig ums Geld ging», sagt Hölzle. Die 400 Mitarbeiter, die richtig reich wurden, sind fast alle noch im Unternehmen. Hobbypilot Schmidt hat sich einen Gulfstream-Jet zugelegt, die Gründer eine gebrauchte Boeing 767. Aber ansonsten sind alle auf dem Boden geblieben. Sicher finden sich auf dem Parkplatz einige Porsche und Oberklasse-BMW. Aber nicht mehr als anderswo im Silicon Valley. Das bevorzugte Fahrzeug bei Google ist der Prius, das umweltfreundliche Hybridauto von Toyota. Die Gründer fahren es und geben jedem kaufwilligen Mitarbeiter 5000 Dollar Zuschuss.

Ist der Aufstieg von Google zum mächtigsten Medienkonzern somit unaufhaltsam?

Vor zehn Jahren schien die Internetsuche entschieden. Damals war Altavista die erste Adresse. Niemand sah, wie sich das einmal ändern sollte. Dann kamen Brin und Page mit Google.

Der verwinkelte Stahl- und Glaskoloss des Googleplex steht auf dem ehemaligen Campus von Silicon Graphics. Dieses Unternehmen baute einst die besten Supercomputer und war die erste Adresse für talentierte Ingenieure. Aber das Management unterschätzte die Konkurrenz. Heute ist das Unternehmen nur noch ein Schatten von einst.

Gegen die Arroganz des Erfolgs ist niemand gfeit – auch Google nicht.