Solche Leben sieht man sonst nicht im Kino: «Moonlight» erzählt von der Selbstfindung eines schwulen, schwarzen Drogenhändlers in Miami. Das Team um Regisseur Barry Jenkins wurde gerade mit einem Sensationssieg bei den Oscars belohnt.

Um es gleich vorwegzunehmen: «Moonlight» ist ein filmisches Wunder. Einen solchen Stoff hat Hollywood noch nie verfilmt, Stil und Ausdruck sind poetisch wie selten, und die Entstehungsgeschichte des Dramas ist ungewöhnlich. In seltener Klarsicht hat das auch die Oscarakademie erkannt: «Moonlight» wurde gerade erst zum besten Film des Jahres ausgerufen und gewann zwei weitere Preise.

Nun ist dem Werk zu wünschen, dass es nicht nur wegen des peinlichen Missgeschicks in Erinnerung bleibt, als Faye Dunaway bei der Oscargala fälschlicherweise das Musical «La La Land» voreilig zum Sieger erklärte.

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Die Geschichte des schwarzen Jungen Chiron

«Moonlight» erzählt in drei Etappen von der Kindheit, der Jugend und dem frühen Erwachsenenalter des schwarzen Jungen Chiron aus einem Problemviertel Miamis. Die Mutter (gespielt von Naomie Harris, die für den Oscar nominiert war) ist drogenabhängig und verzweifelt daran, dass sie ihren Sohn eher um Geld anbettelt als ihm eine Stütze zu sein.

Stattdessen kümmert sich der Dealer Juan (mit dem Oscar ausgezeichnet: Mahershala Ali) um den kleinen Chiron und verpasst ihm den Namen «Little». Schwierig ist dafür das Leben in der Schule. Chiron findet kaum Freunde - und während er selbst nur ahnt, anders zu sein, ziehen die Mitschüler ihn schon als «Tunte» auf.

Wie ein Triptychon-Gemälde

Ein problematisches Drogendrama über einen schwarzen homosexuellen Dealer also. Wer hätte da nicht gewisse Vorstellungen, wie ein solcher Film funktioniert? Da könnten dramatische Schiessereien sein, ein Ersatzvater, der nur freundlich ist, um einen kleinkriminellen Nachfolger heranzuzüchten, verzweifelte Gewalt wegen all der unterdrückten Sexualität.

Der Zauber von «Moonlight» liegt aber gerade darin, dass er genau diese Klippen umschifft und stattdessen ruhige Cinemascope-Bilder, herausragende Jungschauspieler und sensible Klassikmusik einsetzt. Wie ein Triptychon-Gemälde funktioniert der Film. Die drei Einzelteile sind für sich genommen spannende Miniaturen und ergeben insgesamt ein noch beeindruckenderes Ganzes.

Beste adaptierte Drehbuch

Der erst 37 Jahre alte Regisseur Barry Jenkins hat den Film in nur 25 Tagen und mit einem Budget von rund fünf Millionen Dollar abgedreht - ein Klacks in Zeiten, in denen in Hollywood selbst eine Standard-Liebeskomödie mit rund 60 Millionen Dollar zu Buche schlagen kann.

Dem Dreh ging allerdings mehr als ein Jahrzehnt Vorarbeit voraus: Tarell Alvin McCraney stammt aus dem gleichen Problemviertel wie Jenkins und schrieb nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 2003 eine erste Version der Geschichte.

Es dauerte aber noch rund zehn Jahre, bis die beiden einander vorgestellt wurden. Weil McCraney da bereits zum gefragten Theaterautor aufgestiegen war, überliess er Jenkins die Grundstruktur der Geschichte. Eine Entscheidung mit Happy End, denn am Sonntag gewannen die beiden den Oscar für das beste adaptierte Drehbuch (siehe Bildergalerie oben).

Selbstfindung Chirons im Fokus

Statt von Bandenkriegen zu erzählen, rücken sie die Selbstfindung Chirons in den Mittelpunkt. Wo ist unser Platz im Leben? Wie können wir uns trotz schwieriger Umstände neu erfinden? Und wer gibt einem den Mut zur Verletzlichkeit, wenn die Umwelt nur auf Stärke setzt?

Anders als das ebenfalls häufig ausgezeichnete Jugenddrama «Boyhood» geht «Moonlight» in den Antworten auf diese Fragen noch mutigere Wege. Wo der eine auf schnelle Wiedererkennung mit Britney-Spears-Songs und Apple-Computern setzt, erzählt der andere behutsam von Menschen und Problemen, die es so nur selten auf die grosse Leinwand schaffen.

Unvergesslicher Film

In der beeindruckendsten Szene des knapp zweistündigen Films schleichen der frühere Schulfreund Kevin (André Holland in einer sensationellen Nebenrolle) und der später nur noch «Black» genannte erwachsene Chiron (Trevante Rhodes) quälend lange umeinander herum, der eine gefestigt, der andere seiner selbst unsicher.

Schliesslich fragt Kevin in Südstaaten-Slang: «Who is you?» («Wer bist du?»). Dessen Antwort: «Ich hab' lange versucht, das zu vergessen. Versucht, die ganze Zeit zu vergessen.» Den Zuschauern wird genau das mit diesem Film lange nicht gelingen.

(sda/ccr)

In der Bildergalerie oben sehen Sie alle Gewinner der 89.Oscar-Verleihung.