Wissenschaftlerinnen haben oftmals ein distanziertes Verhältnis zur Schönheit. Nicht so Catherine Hakim. «Warum sollte man darauf verzichten, in einen Aktivposten zu investieren, der sich ausgesprochen gewinnbringend zu anderen Persönlichkeitsmerkmalen wie Intelligenz, Fachwissen und Erfahrung hinzuaddiert? Menschen, die Arbeit suchen, wird häufig geraten, auf ihr soziales Netz zurückzugreifen. Doch an Erscheinung und Auftreten zu feilen, kann erwiesenermassen ähnlich viel bewirken.»

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Die Soziologin kommt so gleich auf der ersten Seite ihres Buches «Erotisches Kapital – Das Geheimnis erfolgreicher Menschen» zum Punkt. Die Britin plädiert dafür, das eigene Aussehen gezielt für die Karriere einzusetzen. Denn Schönheit wird in der Arbeitswelt belohnt: Wer gut aussieht, steigt nicht nur eher auf, er verdient auch mehr. Bei attraktiven Männern kann das Salär bis zu 20 Prozent höher sein, bei Frauen 13 Prozent. Das belegt eine Studie aus Grossbritannien. Die Autorin spricht von einem Gehaltseffekt von 10 bis 20 Prozent.

Hakim baut ihre These auf den Erkenntnissen des französischen Soziologen Pierre Bourdieu auf: Dieser hat dem Individuum drei Sorten von Kapital zugeordnet: das ökonomische Kapital (Besitz), das Humankapital (Ausbildung/Fertigkeiten) und das soziale Kapital (Beziehungsnetz). Hakim setzt nun einen vierten Aktivposten dazu: das erotische Kapital. Dieses sei nicht minder wertvoll als Geld, Bildung und gute Beziehungen.

Schöner Sergio. Neben der reinen Schönheit zählen Sex-Appeal, Charme, Vitalität, der optische Auftritt sowie die sexuelle Kompetenz dazu. Über reichlich viel davon verfügt nach Ansicht von Hakim die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde. Sie sei nicht nur intelligent, sondern strahle Eleganz, Fitness und Vitalität aus. Kurz: Sie hat das gewisse Etwas. Auch der neue UBS-Chef Sergio Ermotti kommt bei ihr gut weg.

Hakims Buch hat seit seinem Erscheinen in diesem Jahr einigen Wirbel ausgelöst. Warum eigentlich? Wahrscheinlich vor allem deshalb, weil eine Soziologin damit etwas politisch Inkorrektes ausspricht. Dass Schönheit und gutes Auftreten längst nicht mehr nur auf dem Beziehungsmarkt, sondern auch in Wirtschaft und Politik von entscheidender Bedeutung sind, ist offenkundig. Jahr für Jahr legen sich mehr Menschen unters Messer, um ihr Aussehen zu optimieren. Der Kosmetikmarkt wächst und hat längst die Zielgruppe der Männer entdeckt. Kurse rund um Stil und Auftritt haben Hochkonjunktur.

Und dennoch behauptet Hakim, dass das erotische Kapital zu wenig für den eigenen Erfolg eingesetzt werde. Ihre Kritik, die sie mit Statements wie «Warum sollten sich Frauen nicht nach oben schlafen?» untermalt, zielt vor allem auf die Feministinnen. «Sie bestehen darauf, dass die Stellung einer Frau in der Gesellschaft genau wie jene von Männern grundsätzlich nur an ihrem ökonomischen, sozialen und humanen Kapital zu bewerten ist», schreibt sie im Buch.

Provoziert die Wissenschaftlerin die besagten Kreise damit wirklich noch? Dominique Grisard vom Zentrum für Gender Studies der Uni Basel verneint. «Hakims Ausführungen sind kein Aufreger mehr unter Feministinnen», sagt die Wissenschaftlerin, die zurzeit an der Universität Chicago forscht. «In Attraktivität wird investiert – sogar von Feministinnen, die den gängigen Klischees des Blaustrumpfs entfliehen wollen», sagt Grisard. Die Historikerin stört sich daran, dass Hakims Thesen suggerieren, jeder könne gewinnen, wenn er genügend in Auftritt und Aussehen investiere. «Das stimmt eben nur beschränkt.» Für Grisard ist klar, dass die Wissenschaft gefordert ist, sich mit der steigenden Bedeutung des Äusseren intensiver auseinanderzusetzen.

Erfolg ohne Schönheit. Vorerst hat Catherine Hakim einen Pflock eingeschlagen. Doch auch sie hat nicht auf alles eine Antwort – zum Beispiel auf die Tatsache, dass an der Spitze vieler Grosskonzerne Manager thronen, die über ein sehr dürftiges erotisches Kapital verfügen. Bei Microsoft-Gründer Bill Gates etwa versagt das System Hakim: «Ich sage ja nicht, dass man attraktiv sein muss, um Erfolg zu haben».