Sie arbeiten für eine Frau, die jeder kennt. Aber noch nie hat sie jemand gesehen. Wie ist Frau Bossi denn so? Wie sieht sie aus?
Lars Feldmann*: Man hat dieser Frau nie ein Gesicht gegeben. Und das ganz bewusst. Betty Bossi soll sich mit den Generationen entwickeln. Gefühlt ist sie für unsere Kundinnen die Freundin, die immer mit ihnen in der Küche steht. Egal, ob die Kundin 35 oder 55 ist – Betty Bossi ist immer ihre gleichaltrige gute Freundin oder Kollegin, die sie mit Tipps und spannenden Rezeptinspirationen beim Kochen und Backen unterstützt.

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Geboren ist Frau Bossi 1956, sie wäre jetzt also 61. Geht sie am Samstagabend eher an ein Abba-Tribute-Festival, ans Heimspiel des EHC Wiki-Münsingen oder zur Guggenmusik-Probe?
Sie repräsentiert das, was wir in der Schweiz haben. Der grösste Teil lebt im Agglomerationsgürtel um die grossen Stadtzentern herum. Dort ist sie grundsätzlich zu Hause. Nicht ausgewählt ländlich und nicht hip urban, sondern im grossen Feld dazwischen. Betty Bossi lebt mitten im Schweizerkreuz.

Frage an den Sozialpsychologen Feldmann: War Klein-Betty die sanfte und harmonische Erstgeborene oder die rebellische jüngere Schwester?
Eher die Erstgeborene, die ihre Arbeit gut machen und die anderen dabei begleiten will. Ganz sicher keine Revoluzzerin.

Ist sie ein Migros- oder ein Coop-Kind?
Sie ist ein Schweizer Kind.

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Überhaupt nicht. Die Frage nach Aldi-, Coop- oder Migros-Kind stellt sich ja nur beim Einkauf. Aber wenn man wissen will, mit wem eine Schweizer Frau kochen gelernt hat, muss man gezielter fragen: Bist du ein Fülscher-, ein Betty-Bossi- oder ein Tiptopf-Kind? Die Auswahl reicht also vom Kochbuch-Klassiker von 1923 über unsere Marke bis hin zum Hauswirtschaftsstandardwerk des schweizerischen Schulverlags von 1986. Weil so viele Schweizerinnen und Schweizer mit Betty Bossi kochen gelernt haben, ist sie ein Schweizer Kind. Und alle Schweizer sind Betty-Bossi-Kinder.

Was ist die Rolle von Betty Bossi innerhalb der Coop-Gruppe?
Auf der einen Seite sind wir eine Tochtergesellschaft mit einem Auftrag als kulinarischer 360-Grad-Brand. Wir agieren eigenständig und entwickeln unser Geschäftsmodell laufend weiter. Auf der anderen Seite sind wir für Coop die kulinarische Ideenfabrik, die hilft, die Coop-Sortimente kulinarisch spürbar besser zu machen als die der Konkurrenz.

Kunstfigur Betty Bossi ist eine fiktive Schweizer Köchin, die für gelingsichere Gerichte steht. Die Kunstfigur-Marke wurde 1956 für die Firma Unilever erfunden und startete damals mit der Zeitung «Betty Bossi Post». Später folgten Kochbücher und Küchengeräte.

Coop-Kind 1995 wurde Betty Bossi an Ringier verkauft. Ab 2001 wurde das Unternehmen hälftig in Kooperation mit Coop geführt. 2012 übernahm Coop die Firma ganz. Heute beschäftigt Betty Bossi mit Sitz in Zürich und Basel 120 Angestellte. 2016 wurden 86 Millionen Franken umgesetzt, im Vorjahr waren es 85 Millionen.

Geräte-Gräfin Aktuell umfasst Betty Bossis Sortiment an Küchen- und Haushaltshelfern rund 1400 Artikel; jährlich kommen etwa 60 Neuentwicklungen hinzu. In der Schweiz werden jährlich 1,7 bis 2 Millionen Geräte verkauft. Im Ausland (Deutschland, Italien, Frankreich, Benelux, Australien) waren es 2017 bis und mit Oktober rund 170 000 Artikel.

Das kulinarische Gewissen von Coop?
Wenn Sie so wollen. Eine Instanz, die sicherstellt, dass Coop-Eigenmarken wirklich gut schmecken und sich die Sortimente kulinarisch kontinuierlich weiterentwickeln.

Frau Bossi ist die Trendscoutin von Coop?
Das stimmt. Permanent ist eines unserer Teams irgendwo auf der Welt unterwegs. Seien es Messen, Kochkurse, Laden-Checks oder Restaurants – unsere Produktentwickler und Kulinariker schauen in jeden Kochtopf.

Wo hört man in Ihrer Welt das Gras am besten wachsen?
Das hängt stark von den Themen ab. Wenn es um gesunde Ernährung geht, passiert derzeit an der US-Westküste am meisten. Sind Ursprünglichkeit und naturbelassener Genuss die Hauptthemen, ist derzeit Nordeuropa angesagt. Da tut sich viel in der skandinavischen Küche.

Ist Betty Bossi eher eine liebenswerte Kochkameradin? Oder eine aggressive Marktschreierin, die allen Schweizern die Küche mit Gerätschaften vollbeigt?
Sie ist Köchin und Inspiratorin. Betty Bossi setzt Akzente in einer Kulinarikwelt, die sich ständig wandelt.

Wobei Bettys Welt weit über Haus und Herd hinausreicht. In Ihrem Sortiment mit rund 1400 Produkten befinden sich auch Badewannen-Wäschetrockner, Reisekleiderbügel, Rucksäcke und Eiskratzer. Wo soll das alles noch hinführen?
Unser Fokus ist die Kulinarik, unsere Heimat die Küche zu Hause. Darauf beschränken wir uns mehr denn je. Die Geschichte der Betty-Bossi-Zeitung ist aber die einer Haushaltszeitschrift, die sich erst in den letzten 15 Jahren zur reinen Kochzeitschrift entwickelt hat. Die Angebote reichten in der Vergangenheit vom Fliegengitter über die Gartenschere bis zum Reisestecker; inhaltlich konnte man in den frühen Betty-Bossi-Zeitungen auch erfahren, ob man als nichtverheiratetes Paar im Hotel im gleichen Zimmer übernachten durfte, wie die Kinder zu erziehen wären oder wie die Fenster fachgerecht geputzt werden konnten. Heute spielen Kochen und Genuss die Hauptrolle.

Aber einen Eiskratzer braucht es in den meisten Schweizer Küchen nicht.
Der Eiskratzer ist eine Abrundung des Sortiments und liegt sicherlich am äussersten Rand unseres Spektrums. Mit unseren Geräten bewegen wir uns nicht weit über die Küche hinaus, in der Garage hält sich Betty Bossi kaum auf.

Welchen Stellenwert hat das gemeinsame Mahl zu Hause heute überhaupt noch in Schweizer Haushalten?
Wir beobachten da eine Scherenbewegung: Auf der einen Seite steigt die Sehnsucht nach Kochen, Genuss und Zusammensein im eigenen Zuhause. Auf der anderen Seite zeigt die Realität: Viele Schweizerinnen und Schweizer kochen im Alltag weniger. Weil man flexibel unterwegs ist, weil unsicher ist, wer überhaupt daheim ist, weil sich Arbeit und Freizeit überlappen.

Sehnsucht sells?
Sehnsucht ist ganz sicher ein Markt. Für viele unserer Kunden bedeutet es, dass man das Zusammensein von der täglichen Ebene eher aufs Wochenende verlagert, dann aber extensiv.

Ist das gut für Ihr Geschäft?
Es ist, wie es ist. Gesellschaftliche Trends kann Betty Bossi nicht zurückdrehen. Für das simple Rezept in Buchform ist die Entwicklung nicht günstig. Auf der anderen Seite ist es eine grosse Chance. Wir bewerben uns mit neuen Leistungen um den frei werdenden Job in der Küche zu Hause.

Indem Sie mit Betty bringt’s Kochboxen nach Hause schicken. Warum tun Sie das?
Niemand hat mehr Zeit, lange im Voraus zu planen. In einer aktuellen Nestlé-Studie habe ich nachgelesen, dass sieben von zehn Menschen in Deutschland am gleichen Tag entscheiden, was sie am Abend essen oder kochen wollen. Das gilt so wohl auch für die Schweiz. Mit Betty bringt’s entlasten wir die Planungsarbeit. Und zwar ohne Abopflicht. Am Mittag erhält man ein SMS mit einem Menuvorschlag für zwei oder vier Personen – und per Knopfdruck kann man bis 14 Uhr 30 zusagen. Dann kommt die Kochbox mit allen Zutaten – und schon kann man das Menu daheim bequem zubereiten. Ohne dass dabei Resten anfallen.

Betty Bossi schafft mit Food on Demand die Hausfrau ab.
Sie hat sich selber abgeschafft, beziehungsweise die Gesellschaft hat das getan. Wir bieten Inspiration und Kochunterstützung. Dort, wo niemand mehr die Planungsübersicht hat oder wo flexible Lösungen gewünscht werden, springen wir ein.

Mit dem Konzept sind Sie auf Zürcher Stadtgebiet nun in der zweiten Testphase. Weil Sie der eigenen Idee nicht trauen?
Dem Konzept trauen wir viel zu. Noch viel mehr aber vertrauen wir der Meinung der Kunden. In bester Startup-Manier bringen wir ein Produkt auf den Markt und bessern dann gemäss Feedback nach. Beim ersten Mal testeten wir die Kundenakzeptanz, beim zweiten Testlauf interessiert uns, wie wir die anspruchsvollen Logistikprozesse skalieren können. Zurzeit können wir noch nicht mehr als fünfzig Portionen täglich ausliefern.

Wann folgen der dritte und der vierte Test?
Der zweite ist der letzte Test. Ende 2017 entscheiden wir, wie es weitergeht. Im positiven Fall ist geplant, Betty bringt’s schrittweise in weitere Schweizer Städte zu expandieren.

Ist auch vorstellbar, dass die Kochboxen in Coop-Filialen geliefert werden?
Bestandteil des Tests war das nicht. Aber solche Modelle haben immer auch evolutionären Charakter. Ich würde eine Lieferung in Coop-Filialen jedenfalls nicht ausschliessen.

Zusammen mit der Coop-Tochter Marché Restaurants Schweiz starteten Sie im Herbst 2016 im Bahnhof Bern einen Pilot des Take-away-Konzepts Zopf & Zöpfli. Wie ist das angelaufen?
Punkto Kundenzuspruch sind wir sehr zufrieden. Wir konnten Stammkunden gewinnen. Wir haben das Konzept überarbeitet und sind jetzt bereit für die Expansion. Das läuft 2018 ganz sicher an. Ziel ist es, in den nächsten paar Jahren mit zwölf oder mehr Filialen im Schweizer Markt zu stehen. Im Visier haben wir Hochfrequenzstandorte wie beispielsweise Bahnhöfe, Flughäfen oder Einkaufszentren.

In den letzten Jahren wurde Ernährung zu einer Art Religion. Weshalb ist Essen so viel wichtiger geworden?
Zunächst einmal ist es ein Thema, über das jeder reden kann. Oder mindestens eine Meinung hat. Kommt dazu, dass über die Jahre gewisse Schubladenetiketten verloren gegangen sind. Früher liessen sich Menschen politisch, beruflich oder konfessionell einfach verorten. Weil sich der Fächer weit geöffnet hat, ist das nicht mehr leicht möglich. Wer sich heute klar für die regionale Herkunft seiner Ernährung ausspricht, sagt damit möglicherweise mehr aus über seine Person, als wenn er sich als Mitglied der FDP outet.

Du bist was du isst?
Mehr als nur das. Ernährung ist Einstellungssache und Ausdruck eines Weltbildes. Um die Jahrtausendwende war die Frage: Bist du Gucci oder Prada? Heute ist die Frage: Wie ernährst du dich? Die Antwort sagt viel über eine Person aus. Bin ich Selbstoptimierer oder jemand, der Fairtrade- orientiert ist? Bin ich ökologisch interessiert oder auf Leistung getrimmt?

Wenn Food ein so grosses Thema ist: Warum kommt denn Betty Bossi beim Umsatz kaum vom Fleck?
Das kommt auch durch Verschiebungen im Geschäftsmodell zustande. Natürlich verkauft man heute nicht mehr so viele Kochbücher wie noch vor zehn Jahren. Die Transformation der Verlagsbranche, welche auch Betty Bossi betrifft, mussten und konnten wir umsatz- wie ertragsseitig kompensieren mit der Weiterentwicklung unserer verschiedenen Geschäftsfelder.

Wie sieht das Geschäftsmodell von Frau Bossi aus?
Betty Bossi ist eine kulinarische Ideenfabrik. Die Basis sind die drei Kernkompetenzen Kulinarik, Innovationskraft und Vermarktungskompetenz. Darauf basieren unsere eng verzahnten Geschäftsfelder Medien und vertikalisiertes Distanzhandelsgeschäft mit Küchengeräten, welche für über 60 Prozent des Umsatzes verantwortlich sind. Auf der anderen Seite sind es Business-to-Business-Aktivitäten wie die Lizenzgeschäfte unserer Betty-Bossi-Produkte bei Coop und der Vertrieb unserer Küchengeräte im Ausland. Und last but not least unser Beratungsgeschäft, das wir Food Consulting nennen.

Wo liegt künftig mehr drin?
Das Lizenzgeschäft mit unseren Produkten bei Coop wächst Jahr für Jahr mit dem Wachstum der ganzen Warengruppe im Markt. Der internationale Vertrieb unserer Küchengeräte ist unsere jüngste Geschäftsaktivität und lässt auf eine rasche Entwicklung hoffen. Ausbaufähig ist auch das Beratungsgeschäft, etwa für andere Retailer.

Würde Frau Bossi auch Migros beraten?
Tatsächlich bieten wir Food Consulting für Dritte an. Aber selbstverständlich in der Schweiz nicht für direkte Mitbewerber. Im Ausland machen wir beispielsweise Sortiment-Checks. Etwa in den Bereichen Produktentwicklung oder Qualitätstests in der Frische-Convenience. Neben dem Consulting liegt im Ausland auch beim Verkauf der Küchengeräte noch mehr drin.

Welches ist der absolute Geräte-Bestseller?
Das ist der letztes Jahr lancierte Twister Maxi, der aus Gemüse und Früchten Spiralen oder Spaghetti schneidet. Zoodles sagen Foodies dazu. In diesem Jahr verkauften wir bereits gut 50'000 Stück davon.

Ist das Land reif für Insekten-Kochbücher?
Nein. Wir bringen diejenigen Themen, bei denen sich eine halbe Million Schweizer vorstellen können, sie gleich morgen zu kochen. So weit sind wir noch nicht. Die Schweiz war es aber beim Thema Crevetten vor zwanzig Jahren auch noch nicht. Und heute sind sie etabliert.

Der 46-jährige Lars Feldmann ist seit 2016 Geschäftsführer von Betty Bossi. Nach seinem Studium in Geschichte, Betriebswirtschaft und Sozialpsychologie an der Universität Zürich hat der Vater dreier Kinder von 2000 bis 2004 als Senior Researcher beim Gottlieb Duttweiler Institute in Rüschlikon gearbeitet. Danach wurde Feldmann Teilhaber bei verschiedenen Plattformen und Firmen. 2009 bis 2015 war er als Leiter Marketing bei Betty Bossi tätig.

Was ist kulinarisch angesagt derzeit?
Gesundheit und Convenience sind grosse Themen. Auch Lokalität und Nachhaltigkeit werden immer wichtiger. Darunter fällt auch die ganzheitliche Verwertung wie Nose to Tail beim Tier, aber auch alle Varianten der fleischlosen Küche.

Ist Betty Bossi Karnivorin?
Ja, sie isst Fleisch. So wie viele Schweizerinnen und Schweizer. Das Thema Fleisch ist noch nicht gestorben.

Wo gibt es für die Firma Entwicklungsmöglichkeiten?
Ganz bestimmt in der Technologie. Seit 1956 schreiben wir mit den Rezepten die «Software» für Schweizer Küchen. Ich kann mir vorstellen, dass wir auch in die Hardware hineinwachsen könnten. Warum nicht die Zutaten für Betty bringt’s gleich über den Backofen bestellen?

Ihre Zeitung hat eine Auflage von 700 000 Stück. Es waren aber auch schon 900 000.
Nun, wir sind in diesem Feld nicht anders aufgestellt als die Printranche generell. Aber immer noch auf einem sensationell hohen Niveau. In den nächsten drei bis vier Jahren sollten wir das halten können. Weiter lässt sich das nicht planen.

Ist die durchschnittliche Leserin Ihrer Zeitung jünger oder älter als Betty Bossi?
Das habe ich doch schon erklärt: Betty Bossi ist immer gleich alt wie die Kundin oder der Kunde.

Ist Betty eigentlich verheiratet?
Vermutlich hat sie auch denselben Zivilstand wie der Kunde.

Und es wird wirklich nie ein Bild geben von ihr?
Nie.

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