Kurz mal auf Facebook, einen Kaffee nebenbei, dann noch einen Blick in die Zeitung. Was macht man nicht so alles während eines Arbeitstages. Natürlich würden die meisten ihre Nebenbeschäftigungen im Büro niemals zugeben. Tatsächlich beschäftigen wir uns aber nur während eines Teils unserer Büroanwesenheit wirklich mit unserer Arbeit. Der Rest geht für Ablenkungen, Nebensächlichkeiten oder «Internetrecherchen» drauf. Was würde aber passieren, wenn man die Arbeitszeit reduzierte und dadurch sozusagen gezwungen wäre, alle Leerläufe wegzulassen?

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Genau das hat die Firma Tower aus San Diego in Kalifornien ausprobiert. Tower produziert, vermarktet und verkauft Stehpaddel-Bretter (Stand-up-Paddling). Der Chef und Gründer von Tower, Stephan Aarstol, ist aber nicht mit seinen Surfbrettern bekannt geworden, sondern mit dem Fünf-Stunden-Arbeitstag. Wie er in einem Beitrag für das Magazin «Fast Company» schrieb, wollte er seinen Mitarbeitern damit «ihr Leben zurückgeben».

Wer nicht mitmacht, fliegt

Stephan Aarstol erzählt die Geschichte ungefähr so: Er führte am 1.6.2015 für drei Monate den Fünf-Stunden-Arbeitstag ein und nannte das Projekt zur Sicherheit «Sommerarbeitszeit». So könnte er, wenn es gar nicht läuft, nach einem Sommer wieder zu normalen Arbeitszeiten zurückkehren. Seine Mitarbeiter sollten dabei um 8 Uhr morgens im Büro sein und um 13 Uhr Feierabend machen. Das, was die Mitarbeiter vorher in acht Stunden geschafft haben, sollen sie nun in fünf Stunden schaffen.

Volle Konzentration, volle Produktivität, mehr Freizeit und ein höherer Stundenlohn. Aarstol rechnet das so vor: Ursprünglich bekamen seine Mitarbeiter 20 Dollar pro Stunde, für 2000 Stunden Arbeit im Jahr. Seit der Einführung des Fünf-Stunden-Arbeitstages müssen seine Mitarbeiter aber nur noch 1250 Stunden im Jahr arbeiten. Dazu bekommen sie aber noch eine Gewinnbeteiligung von 8000 Dollar pro Person. Auf ein Jahr hochgerechnet bekommen sie also, mit der Gewinnbeteiligung, einen Stundenlohn von 38.40 Dollar.

Zweifel am Erfolg des Arbeitsmodells

Stephan Aarstol hatte sich das so vorgestellt: Seine Mitarbeiter müssen eben einfach herausfinden, wie man mehr Arbeit in weniger Zeit schafft. Wer das packt, hat die Nachmittage frei, wer das nicht packt, wird rausgeschmissen. Nun behauptet Stephan Aarstol, die Ergebnisse seines Experiments wären fantastisch: Im Jahr 2015 ist Tower auf der «Inc. 5000»-Liste der am schnellsten wachsenden Unternehmen auf Platz 239 gelandet. Beeindruckend. Dass Tower in derselben Liste im Jahr 2016 auf Platz 1121 abgerutscht ist, erwähnt er seltsamerweise nicht.

Martin Kleinmann, Professor am Institut für Arbeits- und Organisationspsychologie der Uni Zürich, hat zumindest seine Zweifel, dass jemand dauerhaft in fünf Stunden schaffen könnte, was er sonst in acht schafft: «Ich glaube es nicht, wenn ein Acht-Stunden-Tag von den Rahmenbedingungen, also der Art der Arbeitsaufgabe, dem Arbeitsklima und den Pausenregelungen gut gestaltet ist», so Kleinmann. «Es gibt auch keinerlei Empirie für diese Behauptung des Artikels.»

Höchstleistung kann nur kurzfristig erbracht werden

Eine weitere Frage ist natürlich, ob Mitarbeiter dauerhaft auf fünf Stunden komprimierte Höchstleistungen erbringen können. «Wenn jeweils Höchstleistung erbracht werden muss, ist dies langfristig sicherlich sehr stressig,» sagt Kleinmann dazu. «Aus der Forschung weiss man, dass Höchstleistung in der Regel nur kurzfristig erbracht wird, wenn man beobachtet und bewertet wird.»

Auch Personal- und Organisationsökonom Michael Beckmann von der Universität Basel zweifelt am Konzept: «Die Story von dem amerikanischen Unternehmen mit dem Fünf-Stunden-Tag glaube ich nicht so ohne Weiteres. Das ist ja fast schon wie Teilzeitarbeit. Es gibt Studien, die zeigen, dass Teilzeitarbeit - auch in dem Umfang (5/8-Pensum) – zulasten der Produktivität geht. Die Firmen haben in diesem Fall nur etwas von Teilzeitarbeit, weil die Lohnkosten teilweise stärker zurückgehen als die Produktivität», so Beckmann. Stattdessen gehe der Trend in der Schweiz eher in Richtung längere, selbstbestimmte Arbeitszeiten.

Arbeit passend zum Biorhythmus

Dass eine freiere Einteilung von Arbeitsplatz und Arbeitszeiten hingegen produktivitätsfördernd sein kann, kann Beckmann sich durchaus gut vorstellen. «Diese Freiheit zeigt sich in den meisten Studien als produktivitätsfördernd», sagt Beckmann. «Schliesslich ermöglicht die Autonomie, dass die Arbeit an den eigenen Biorhythmus angepasst wird. Ausserdem steigert die Autonomie die Arbeitsmotivation. Flexibles Arbeiten verbunden mit Autonomie ist sicherlich ein gutes Modell des modernen Arbeitens und dem «9 to 5»-Standardfall überlegen.»

Um nachzuhaken, wie Stephan Aarstol sich das mit der Höchstleistung vorstellt, ruft die «Handelszeitung» ihn in seinem Büro in San Diego an, natürlich zwischen 8 und 13 Uhr Ortszeit. «Ich will, dass die Leute ins Büro kommen, um hart zu arbeiten. Ein bisschen wie die Navy Seals: Reinkommen, alles klarmachen, und wieder abhauen», sagt Aarstol. «Wir wollen damit natürlich Leute anziehen, die so arbeiten wollen, und Leute abstossen, die gerne langsam arbeiten», erklärt Aarstol.

«Trends erkennen»

Wie viele Leute er denn rausschmeissen musste, seit er das System letzten Juni eingeführt hat? «Zwei Leute sind seitdem gegangen. Leute, die daran gewohnt sind, sich bei der Arbeit nach der Uhr zu richten statt nach Leistung. Wenn die dann in derselben Geschwindigkeit statt acht Stunden nur fünf Stunden arbeiten - das funktioniert nicht.» Das Paddeln im Stehen ist eine junge Trendsportart, die in den letzten ein bis zwei Jahren enorm gewachsen ist.

Hat der Erfolg der Fünf-Stunden-Firma vielleicht weniger mit der Fünf-Stunden-Regel zu tun als mit dem Boom auf dem Markt? «Natürlich hat das zum Teil damit zu tun», erklärt Tower-Gründer Aarstol aus seinem Büro in San Diego. «Wir haben das nicht eingeführt und plötzlich sind die Zahlen explodiert. Auf der anderen Seite ist das eben auch unser Geschäft: Trends erkennen.»

Freie Zeiteinteilung kann Produktivität fördern

Für Stephan Aarstol ist es aber nicht nur eine Frage von Produktivität und Freizeit, sondern eine fast schon philosophische: «Im Moment versuchen Amerikaner härter zu arbeiten, um ein bisschen mehr Geld zu verdienen, damit sie dann ein bisschen glücklicher sind», sagt Aarstol. «Ich glaube, dass wir aber nicht mehr Geld brauchen, sondern mehr Zeit für unsere Freunde, für unsere Familie und unsere Gesundheit und die Dinge, die uns interessieren.»