Herr Margelisch, das Steuerabkommen mit Deutschland ist endgültig vom Tisch. Was sind Ihrer Ansicht nach die Gründe dafür? 
Claude-Alain Margelisch: Wir bedauern den deutschen Entscheid natürlich ausserordentlich - besonders weil wir nach wie vor der Auffassung sind, dass Deutschland mit dem ausgehandelten Vertrag ein faires und optimales Angebot erhalten hat. Die vorherrschenden, innenpolitischen Kräfteverhältnisse in Deutschland haben jedoch dazu geführt, dass das Steuerabkommen letztlich nicht ratifiziert werden konnte. 

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Nun stellt sich die Frage, welche Lehren der Finanzplatz Schweiz aus der deutschen Ablehnung ziehen muss? 
Das Deutsche Nein wird für den Finanzplatz Schweiz im Moment keine Konsequenzen nach sich ziehen. Wir halten an der Weissgeldstrategie fest. 

Hat das Nein aus Deutschland wirklich keine Folgen? Deutschland drängt die Schweiz doch zu Nachverhandlungen und ...
...Es wird keine Nachverhandlungen mit Deutschland geben. Wenn Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen unversteuerte Vermögen deutscher Staatsbürger auf Schweizer Bankkonti vermuten, müssen sie wie bisher den Weg der Amtshilfe beschreiten. 

Mit Verlaub, aber diese Haltung ist naiv. Es ist zu befürchten, dass die Ankäufe von Schweizer Bankdaten mit mutmasslichen deutschen Steuerhinterziehern substantiell zunehmen werden. 
Ob Daten-CDs gekauft werden, müssen die einzelnen Bundesländer selbst entscheiden. Deutschland weiss, dass die Schweiz im Ankauf von Daten-CDs als Hehlerei - also einen kriminellen Akt - sieht. Deshalb leistet die Eidgenossenschaft aufgrund gestohlener Bankdaten keine Amtshilfe. 

Trotzdem wirbeln CD-Käufe viel Staub auf und das kann nicht in Ihrem Interesse sein.
Die Drohkulisse hinter den Datenkäufen in Deutschland – sprich, die darauf folgenden Selbstanzeigen – flacht zusehends ab. Ausserdem stelle ich die Qualität der gestohlenen Daten in Frage. 

Wie meinen Sie das?
Am Anfang erstatteten viele deutsche Kunden Selbstanzeige aufgrund der Daten-CDs, ohne die Qualität der Daten anzuzweifeln. Uns fehlen immer noch die stichhaltigen Beweise, welche erhärten, dass den deutschen Steuerbehörden neues und heikles Datenmaterial in die Hände gefallen wäre. 

Nochmals: Wie wollen Sie verhindern, dass die Datendiebstähle bei Schweizer Banken weitergehen?
Schweizer Banken müssen ihre Sicherheitsmassnahmen dahingehend überprüfen und sichern, damit solche Datendiebstähle nicht mehr stattfinden können. Eine 100-prozentige Garantie gegen Datendiebstahl gibt es aber auch dann nicht.

Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf schliesst derweil Nachverhandlungen ebenfalls aus und will der Abgeltungssteuer die Treue halten. Wie nachhaltig ist dieser Weg?
Solange wir nicht wissen, wohin sich Europa in Steuerfragen hin bewegt, halten wir an unserer Weissgeldstrategie fest. Wir wollen den Finanzplatz Schweiz in einen steuerkonformen Finanzplatz verwandeln, darum setzen wir auf die Abgeltungssteuer – prioritär mit unseren grossen Nachbarländern. Sie wissen; wir haben mit Grossbritannien und Österreich erfolgreich ein Steuerungsabkommen mit dem Element  der Abgeltungssteuer ratifiziert. 

Das ändert nichts daran, dass Italien oder Frankreich diesem Weg skeptisch gegenüber stehen. 
Wir befinden uns in Verhandlungen mit Griechenland und Italien. Zudem hat sich der französische Präsident François Hollande beim Amtsbesuch von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf in Paris dahingehend geäussert, dass eine bilaterale Lösung möglich ist. Also kann von einer grundlegenden Ablehnung seitens Frankreich keine Rede sein. Die Lage in Frankreich und Italien ist darüber hinaus anders, weil wir dort nicht nur über ein Steuerabkommen verhandeln sondern über Pakete, die zum Beispiel das Thema Grenzgänger oder den Flughafen Basel-Mülhausen miteinschliessen.

Nichtsdestotrotz erstaunen die Ausführungen von Claude-Alain Margelisch. Der Grund: Der französische Präsident François Hollande machte in einem TV-Interview deutlich, dass sein Land zuerst über den Informationsaustausch sprechen möchte, bevor Frankreich mit der Schweiz über ein Abgeltungssteuerabkommen verhandle. Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf scheint sich denn auch der Problematik mit Frankreich bewusst zu sein, dass die Abgeltungssteuer für die Zukunft nicht den Vorstellungen von Frankreich entsprechen.

Ausserdem zeigt sich selbst der italienische Wirtschaftsminister Vittorio Grilli unzufrieden mit der Schweiz. Deshalb fordert er von der Schweiz in Steuerfragen Transparenz. Schliesslich habe sich gezeigt, dass mit der Schweiz nicht um jeden Preis ein Abkommen abgeschlossen werden müsste. 

Die Europäische Union ist über den Alleingang der Schweiz in Steuerfragen ebenfalls nicht erfreut - im Gegenteil: Brüssel strebt vielmehr den automatischen Informationsaustausch an. Die einzigen Länder, welche diesem Plan noch im Wege stehen, sind Luxembourg und Österreich. Wie lange glauben Sie, wird dieser Schutzwall für die Schweiz noch halten? 
Das werden wir sehen. Ich möchte daran erinnern, dass die Europäische Union vor zwölf Jahren in Portugal entschieden hat, den automatischen Informationsaustausch als europäischen Standard drei Jahre später einzuführen. Dies wurde bis heute nicht umgesetzt. Es gibt 19 Mitgliedstaaten, die innerhalb ihres Landes auf eine Quellenbesteuerung setzen. Es ist in der Tat so, dass Luxemburg und Österreich die Einführung des ineffizienten automatischen Informationsaustausch auf EU-Ebene erfolgreich verhindert haben. 

Experten und Politiker sind der Ansicht; Der Druck auf die Schweiz wäre nicht halb so gross, wäre die Schweiz Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) oder Teil der Europäischen Union. 
Da bin ich ganz anderer Meinung. Es geht hier um nationales Recht und die Souveränität eines Landes. Jeder Staat innerhalb des EWR und der EU kämpft für seine eigene Souveränität und die Interessen seines eigenen Finanzplatzes, wie man am Beispiel von Österreich und Luxemburg sieht.

Sie wollen also damit sagen, dass sich die Schweiz als EWR-Mitglied in Steuerfragen heute nicht in einer besseren Verhandlungssituation befände. 
Ich glaube nicht, dass sich viel ändern würde. Ganz abgesehen davon wäre eine EWR-Teilnahme oder ein EU-Beitritt analog zum Modell von Grossbritannien mit einer eigenen Währung und starkem Finanzplatz mit grossen institutionellen Fragen verbunden. 

Würden Sie persönlich einen EWR-Beitritt befürworten?
Mein Standpunkt ist irrelevant. Ich stelle einfach fest, dass es in der Schweiz keine politischen Mehrheiten dafür gibt. Die Vergangenheit hat jedenfalls gezeigt, dass Länder wie Norwegen im EWR nicht erfolgreicher waren, als die Schweiz mit den bilateralen Verträgen. 

Der Finanzplatz kämpft im Steuerstreit nicht nur gegen europäische Länder, sondern auch gegen die USA. Wann rechnen Sie dort mit einer endgültigen Lösung? 
Positiv ist sicherlich, dass wir mit der US-Steuerbehörde IRS ein Modell 2 von Fatca paraphieren konnten, welches einige Erleichterungen in der Umsetzung und Anwendung mit sich bringt. Damit gehören wir zu den ersten fünf Staaten, die mit dem IRS eine einvernehmliche Lösung vereinbaren konnten. Zumindest was die Zukunft betrifft. Das hat uns in den Verhandlungen mit den USA weitergebracht. Ich bin davon überzeugt, dass wir auch eine Lösung für die Bewältigung der Vergangenheit finden - und zwar für sämtliche Schweizer Banken. Wie lange das dauern wird, kann ich nicht sagen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es bis Ende Jahr reicht. 

Können Sie ausschliessen, dass die neue Vereinbarung mit den USA einen zweiten Fall UBS mit Auslieferung von Tausenden Kunden und Strafanklagen beinhaltet? 
Nein, gänzlich ausschliessen lässt sich das nie. Die Amerikaner wissen jedoch, dass wir uns von den Schweizer Rechtsgrundsätzen nicht so einfach distanzieren können. Die Schweiz ist immer noch ein Rechtsstaat. Natürlich hätten es die USA gerne gesehen, wenn wir Daten geliefert hätten. Wir haben in dieser Frage klargestellt, dass dies nur unter Berücksichtigung von Schweizer Recht möglich sein wird.

Das heisst: Die USA werden nur Daten auf dem Amtshilfeweg erhalten. 
Das ist absolut zentral für uns.