Die UNO hat 17 Ziele in ihren «Sustainable Development Goals» (SDG) formuliert. Alle Ziele sind überaus ambitioniert, aber zwei stechen besonders heraus: In den nächsten zwölf Jahren will man die extreme Armut besiegen, von der 770 Millionen Menschen betroffen sind. Extreme Armut wird definiert als Einkommen von weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag. Das zweite herausragende Ziel ist der Kampf gegen die Erderwärmung; sie soll laut dem Pariser Klimaabkommen möglichst deutlich unter 2 Grad Celsius gehalten werden. Eines ist klar: Diese Vorhaben, wenn sie denn gelingen sollen, brauchen gigantische Summen an Finanzierungsmitteln.

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Die United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) ist optimistisch. Sie schätzt, dass es zwischen 5 und 7 Billionen Dollar braucht, um die SDG erreichen zu können. Sie gesteht allerdings ein, dass es eine Finanzierungslücke von etwa 2,5 Billionen gibt. Andere Schätzungen gehen von einem zusätzlichen Investitionsbedarf von 2 bis 3 Billionen aus, allerdings pro Jahr. Das ist sogar im Vergleich zum BIP (weltweit) von 80 Billionen enorm hoch. Wie exorbitant die benötigten Finanzierungsmittel sind, zeigt ein weiterer Vergleich: Sämtliche Entwicklungshilfe, welche die Industrieländer im Jahr 2016 geleistet haben, machte in der Summe gerade einmal 140 Milliarden Dollar aus.

 

Geldgeber Kapitalmarkt

Wenn grosse Summen finanziert werden müssen, denken viele an den Staat. Es ist allerdings wenig wahrscheinlich, dass Staaten so viel Kapital bereitstellen werden, dass die SDG erreicht werden können. Zu stark sind gegenwärtig populistische Strömungen und die im Westen um sich greifende Entsolidarisierung mit den Ärmeren. Und Philanthropie scheidet als Finanzierungsmöglichkeit aus; Milliardäre, selbst wenn sie wie Jeff Bezos 140 Milliarden Dollar schwer sind, können die Finanzierung nicht leisten.

Dazu kommt, dass sich die Superreichen in ihren philanthropischen Bemühungen oft gegenseitig neutralisieren. Zwar gibt es SDG-befürwortende Milliardäre wie Warren Buffett oder Bill Gates, aber auch fundamental-konservative wie die Koch Brothers, welche riesige Summen aufwenden, um Umweltschutzbemühungen zu torpedieren. Praktisch die einzige weitere Finanzierungsmöglichkeit stellen die Finanzmärkte dar. Für manche überraschend: Es besteht Anlass zu Optimismus. Denn gleich mehrere Entwicklungen geben den Finanzmärkten einen «Drall» in Richtung Einbeziehung von Nachhaltigkeits- oder ESG-Kriterien (Environmental, Social and Governance).
 

Fiduziarische Pflichten

Eine der für Nachhaltigkeit wichtigsten Entwicklungen hat im Bereich der sogenannten fiduziarischen Pflichten gegenüber Investoren stattgefunden, bei der Pflicht zum Handeln im Interesse der Anleger. Noch Mitte der 90er-Jahre besagte ein Gesetzeskommentar in den USA, dass es mit den fiduziarischen Pflichten unvereinbar sei, ESG-Kriterien zu berücksichtigen. Diese Ansicht hat sich grundlegend geändert. Im Jahr 2005 stellte ein von der UNO herausgegebener Report klar, dass Nachhaltigkeitskriterien den fiduziarischen Pflichten nicht nur nicht entgegenstehen, sondern, dass sie von diesen verlangt werden. Dieser Meinung ist auch die Europäische Kommission, welche einen Aktionsplan für die verschiedenen Finanzmarktakteure erarbeitet. Mit dem Aktionsplan will die EU verbindlich festlegen, dass die Teilnehmer an den Finanzmärkten ESG-Kriterien berücksichtigen müssen, um ihre fiduziarischen Pflichten zu erfüllen.

Nicht nur bei den fiduziarischen Pflichten hat eine Entwicklung stattgefunden, sondern auch bei den Marktteilnehmern selber. Früher hatte ein Unternehmen Vorteile, wenn es sich umweltschädlich verhielt. So konnte eine Fabrik profitieren, wenn sie ihre Abwässer ungefiltert in einen Fluss leitete, weil die Allgemeinheit die Kosten tragen musste (man spricht in diesem Zusammenhang von negativen Externalitäten). Heute stellen solche Praktiken ein finanzielles und reputatorisches Grossrisiko dar, welches von den Finanzmärkten abgestraft wird. Das ist kein Wunder, denn die Zahl der Klagen wegen Umweltvergehen hat sich seit 2014 verdreifacht. Diese Entwicklung, dass die Märkte früher ESG-ignorierende Firmen belohnt haben, heute aber ESG-integrierende, ist von entscheidender Bedeutung, um die von der UNO formulierten ESG-Ziele zu erreichen.
 

Effekte auf die Realwirtschaft

Auch wenn sich an den Finanzmärkten mit Nachhaltigkeit keine Überrenditen mehr erzielen lassen (siehe Artikel «Die Performance von nachhaltigen Anlagen»), bleiben die Wirkungen auf die Realwirtschaft bestehen. Wer heute keine ESG-Massnahmen implementiert oder die von den Märkten vorausgesetzten Mindeststandards verletzt, muss beispielsweise mit höheren Finanzierungskosten rechnen. Das gilt für einzelne Unternehmen, aber auch für ganze Länder.

Diese Prämien auf nicht ESG-konformen Produktionsformen stellen einen starken Anreiz für alle Marktteilnehmer dar, sich in Richtung Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln. Dazu kommt das latente Risiko regulatorischer Neuerungen, auf die Länder und Firmen mit einer bereits etablierten ESG-Ausrichtung leichter reagieren können. Zusätzlich wartet aber auch das metaphorische Zuckerbrot in Form erheblicher finanzieller Gewinne. Ein Beispiel dafür ist die Gleichstellung von Mann und Frau, ebenfalls eines der Ziele der «Sustainable Development Goals». Wenn Frauen punkto Ausbildungs- und Verdienstmöglichkeiten die gleichen Voraussetzungen haben wie Männer, wird das zusätzliche Werte von mehreren Billionen Dollar schaffen.
Die Finanzmärkte haben also auch handfeste finanzielle Interessen, ESG-Ziele zu verfolgen. Dies löst, ganz unabhängig von ethischen Überzeugungen, zwei positive Wirkungen aus. Auf der einen Seite helfen Finanzmärkte dabei, die erforderlichen Mittel bereitzustellen, um ESG-Ziele zu erreichen. Auf der anderen Seite verändern sie die Rahmenbedingungen so, dass eine umfassende ESG-Implementierung für die Akteure immer vorteilhafter wird.
 

Der Faktor Zeit

Kritiker monieren allerdings, dass der Stellenwert von Nachhaltigkeit zwar zunimmt, dass die ESG-Durchdringung des Finanzsystems aber nicht schnell genug vonstatten geht, um die notwendigen Ziele verwirklichen zu können. Tatsächlich zeigte das Finanzsystem bisher sozusagen eine schizophrene Persönlichkeit. Auf der einen Seite wird das Geschäft zu oft mit der ethischen Haltung der 60er-Jahre betrieben, zum Beispiel, indem Finanzunternehmen umweltschädigende Tätigkeiten finanzieren. Und manchmal werden «grüne» Aktivitäten als Feigenblatt missbraucht, um von der Kritik an zweifelhaften Geschäften und Praktiken abzulenken. Auf der anderen Seite gibt es ernsthafte, von ethischen Überzeugungen getragene Bemühungen, das Finanzsystem in Richtung Nachhaltigkeit zu verändern. Diese Bemühungen werden von einem breiten Konsens getragen, unter anderem von mächtigen Investoren, von Banken und von anderen Finanzunternehmen sowie von Behörden. Warum ist die Integration von Nachhaltigkeit also nicht bereits flächendeckend umgesetzt?

Ein Problem ist die Art der Finanzmärkten zugrunde liegenden Prozesse. Diese sind meist evolutiv, und es liegt in deren Natur, dass sie nur langsam voranschreiten. Wenn zum Beispiel Unternehmen oder Länder höhere Finanzierungskosten haben, weil sie ESG-Kriterien ungenügend beachten, löst das nicht eine sofortige Neuorientierung aus. Zuerst muss der Zusammenhang zwischen Finanzierungskosten und Nachhaltigkeit erkannt werden. Selbst, wer diesen erkannt hat, macht häufig zuerst einmal das gerade Notwendige. Erst später setzt man sich eventuell grundlegend mit dem Problem auseinander und entwickelt eine neue Strategie mit weitreichender ESG-Integration. Selbst, wenn Firmen oder Länder sich ESG-Massnahmen komplett verweigern (die USA scheinen in diese Richtung zu driften), werden sie also allenfalls langfristig aus dem Markt ausscheiden beziehungsweise einen so deutlichen Rückgang des BIP verzeichnen, dass sie zum Umdenken gezwungen werden.
 

Phasenübergänge

Allerdings ist ein wichtiger Aspekt von evolutiven Prozessen, dass sie Phasenübergänge enthalten können, Wendepunkte, an denen die Entwicklung plötzlich von langsam zu schnell umschlägt. Auf der einen Seite besteht die Hoffnung, dass ein solcher Phasenübergang aufgrund der Zusammensetzung der Aktionäre stattfindet; man geht davon aus, dass wenn in einem Unternehmen 25 Prozent der Aktionäre ESG-Massnahmen befürworten, umfassende (und nicht nur defensive) ESG-Massnahmen ergriffen werden. Weil von den heute verwalteten 90 Billionen Dollar bereits über 25 Prozent nachhaltig angelegt werden, könnte die kritische Masse bei einem Grossteil der Unternehmen bald erreicht sein.

Regulierungen scheinen aber ein zusätzlich notwendiger Katalysator zu sein. Beispielsweise ist einer der Gründe für die Zurückhaltung der Finanzmärkte bezüglich ESG offenbar eine bestehende Unklarheit über die fiduziarischen Pflichten. Zwar hat in deren Definition wie oben erwähnt ein fundamentaler Wandel stattgefunden, dieser drückt sich aber noch zu wenig in griffigen behördlichen Vorgaben oder in Gerichtsentscheidungen aus. Der Aktionsplan der EU könnte das ändern. Wird er umgesetzt, wandelt sich das europäische Finanzsystem fundamental. Es könnte der entscheidende Schubs sein, den das globale Finanzsystem braucht, um die ihm innewohnende Kraft zur Nachhaltigkeit endgültig zu entfesseln.