Die Fortsetzung des Preiszerfalls war die grösste Sorge am diesjährigen Rückversicherungs-Branchentreffen Ende Oktober in Baden-Baden. Gemäss einer Umfrage des Branchendienstes Intelligent Insurer befürchten fast zwei Drittel der Befragten weiter fallende Preise. Demgegenüber verblassen die weiteren Sorgen der Branchenvertreter: Eine Konsolidierung und eine damit einhergehende Veränderung der Marktlandschaft wären für 16 Prozent eine grosse Sorge und eine Kürzung der Käufe von Rückversicherungsleistungen für acht Prozent.

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Damit zeichnet sich ein unvorteilhaftes Szenario für die Branche ab: Trotz der grossen Schäden, welche die drei Hurrikane in den USA jüngst angerichtet hatten, steigen die Prämien nicht auf breiter Front. Von Erstversicherungen war zu hören, dass sie ihre Policen in den südlichen Bundesstaaten der USA zu höheren Preisen verkaufen können. Diese Entwicklung in einigen Property-Linien lässt sich aber nicht auf den breiten Markt hochrechnen. Und im Rückversicherungsgeschäft sieht es nochmal anders aus.

Veränderte Verhältnisse

Hoffnungen auf höhere Preise dämpften in Baden-Baden auch Vertreter des Brokers Guy Carpenter. Rückversicherungen sollten laut James Nash, Leiter des internationalen Rückversicherungs-Brokergeschäfts bei Guy Carpenter, bei ihrer Überlebensstrategie keinesfalls steigende Preise einkalkulieren. Grund sind die veränderten Marktverhältnisse: Rund 90 Milliarden Dollar Kapazitäten aus dem ILS-Bereich warten in jeder Erneuerungssaison auf attraktive Anlagemöglichkeiten. Die Akteure hinter diesem Geld seien in der Lage, sehr rasch reagieren zu können, sie würden auch sehr rasch einspringen, wenn Rückversicherungen die Finger von zu knapp kalkulierten Angeboten lassen. Kurz: Eine künstliche Verknappung der Kapazitäten durch die Rückversicherungen, das gelegentlich diskutierte «Capacity Management», erscheint aussichtslos, denn dann machen einfach andere das Geschäft.

Und auch bei einer «natürlichen» Verknappung der Kapazitäten, wie man sie jetzt nach den Hurrikanen hätte befürchten können, zeichnet sich nicht ab. Im Gegenteil: Wer jetzt überleben will, müsse gemäss Nash so oder so bessere Wege finden, das Rückversicherungsgeschäft voranzutreiben. Denn trotz der Diskussionen um Transformation und Disruption sei das klassische Rückversicherungsgeschäft weiterhin gefangen in Geschäftspraktiken, die vor einigen Jahrzehnten entstanden waren. Die Kernfunktionsweise der Industrie sei indes noch viel älter.

Zu tiefe Reservestände

Dem gegenüber steht laut Nash eine Kombination von ILS-Investoren, neuen Technologien und finanzstarken Anbietern bereit, die neue Wege beim Underwriting, bei der Analyse von Preisen und bei der Verbindung dieser Risiken mit Kapital gehen. Das Tempo bei diesen Veränderungen beschleunigt eher noch und legt die Schwächen der klassischen Geschäftsmodelle frei. Und somit ist eine Situation entstanden, bei der ein Rückgang der Kapitalbasis der klassischen Rückversicherungen zu einem Testfall für die Nachhaltigkeit der bisherigen Geschäftsmodelle wird und unvermeidliche Fragen aufwirft. Lediglich zwei Konstanten seien gegeben: Einerseits werden sich Menschen und Organisationen weiterhin gegen Risiken absichern wollen. Und andererseits wird es weiterhin Menschen und Organisationen geben, die für gutes Geld die Risiken tragen. Um diese zwei Konstanten herum ist laut Nash alles im Umbruch – und insbesondere der Risikotransfer.

Auch für Luca Albertini, CEO von Leadenhall Capital Partners, einem auf ILS-Anlagen spezialisierten Investment-Management-Unternehmen, ist das alternative Kapital «Auslöser für tiefergreifende Veränderungen». Die Investoren, die ILS-Anlagen gekauft hatten, hätten in jüngster Vergangenheit sehr schnell und umsichtig mit ihren Ansprüchen reagiert. Gleichzeitig hätten sie sich auch effizient um eine optimale Bewirtschaftung des Kapitals gekümmert und auch frisches Geld in denjenigen Fällen beschafft, in denen das erforderlich war. Damit fallen diese Investoren auch nach den Katastrophen in den kommenden Erneuerungsgesprächen nicht aus – im Gegenteil. Sie stehen vielmehr als kontinuierliche Geldgeber weiterhin zur Verfügung. Und versuchen gleichzeitig, die Interessen ihrer Kunden im bestmöglichen Sinn zu vertreten.

Aber laut Albertini gibt es auch hier kein Geld im Überfluss: Die ILS-Investoren würden, ähnlich wie die grossen Rückversicherungen, nicht jedes Risiko um jeden Preis zeichnen. Langfristig müsse einfach die Rendite über den Zyklus stimmen. Dazu gehöre die Akzeptanz für Verluste, aber auch das Einstreichen von Gewinnen – obwohl oft die Hürden, ab denen ILS-Investoren Gewinne erzielen, niedriger liegen als bei den konventionellen Rückversicherungen. Dem gegenüber stehen die traditionellen Versicherungen, die sich eher der Frage zuwenden, wie viel ILS-Kapazitäten in ihrem Sinne zur Verfügung stehen. Hinsichtlich der Erneuerungsrunde per Anfang 2018 prognostiziert Albertini eine deutliche Erhöhung der ILS-Kapazitäten. Ganz einfach, weil so dieses Kapital effizienter eingesetzt wird.

Zu schmale Reserven

Für die Industrie sind das keine guten Aussichten, im Gegenteil: Die Fähigkeit der Rückversicherer, sich rekapitaliseren zu können, sei gefährdet, sollten weitere Schäden eintreffen, warnten Vertreter der Bonitätsagentur Fitch. Konkret sei Lloyd’s unter Druck, denn dort sei das Kapital unter das Niveau gefallen, welches die gegenwärtigen Bonitätsnoten widerspiegelt. Konkret: Das Rating ist derzeit besser als die Kapitalreserve. Lloyd’s muss alleine für die Schäden der Hurrikane Harvey und Irma 4,5 Milliarden Dollar aufwenden. Und weitere wie der Hurrikan Maria, die Erdbeben in Mexiko und die Brände in Kalifornien sind dabei noch nicht berücksichtigt. Bis Ende 2017 seien die Reserven bei Lloyd’s wieder auf der erforderlichen minimalen Höhe, so Fitch, aber es dürfe einfach nichts mehr passieren. Wenn die Reserven nicht mehr aufgebaut würden, ergänzte auch Joachim Wenning, CEO von Munich Re, hätte das weiterreichende Folgen für die Kapitalmärkte. Dann würden auch die Aktionäre ihre Unterstützung für die Branche abschwächen.

Es kommen indes nicht nur Veränderungen von den Kapitalmärkten auf die Branche zu, wie eine von Intelligent Insurer und der Bonitätsagentur S&P gemeinsam veranstaltete Diskussionsrunde ergab: Die Einführung der Blockchain-Technologie werde die Rückversicherungsmärkte ähnlich stark umwälzen wie seinerzeit die Smartphones die alten Telefongeräte abgelöst hatten, sagte Franz-Josef Hahn, CEO von Peak Re. Die Technologie werde insbesondere bei der Rückzahlung von Schadenansprüchen grosse Auswirkungen haben, denn die müssten exakt und gleichzeitig sehr rasch erfolgen. Beim erst zehn Jahre alten Rückversicherer mit Sitz in Hongkong habe sich bisher weniger «alte» Technologie angesammelt, welche die Prozesse verzögert und die Kosten nach oben treiben könnte. Deshalb liessen sich 90 Prozent aller Ansprüche innert fünf Tagen erledigen. Und auch die Kosten würden dadurch sinken, sagte Johannes Martin Hartmann, Geschäftsleiter bei VIG Re. Denn heute seien die Transaktionskosten in der Versicherungswirtschaft extrem hoch.

Die Blockchain-Technologie, an der einige Konsortien innerhalb der Branche arbeiten, könnte diese Kosten deutlich senken. Und gemäss David Flandro, globaler Leiter der Analytics bei JLT Re, werden derzeit etliche Technologien ausprobiert, um das Underwriting und das Claims Management zu verbessern – die Blockchain-Technologie sei nur eine von ihnen.