Der ICO-Boom passiert mitten in der Schweiz. Ein Rekord-Projekt zeigt zugleich die Risiken dieser neuen Form der Kapitalbeschaffung: Das Zuger Startup Tezos erzielte vergangenen Sommer 232 Millionen Dollar, weltweit der zweitgrösste ICO im Jahr 2017. Im Anschluss folgte ein unwürdiges Tauziehen um das Krypto-Kapital, die Besitzverhältnisse sind bis heute nicht geklärt.Die Zunahme bei den ICOs und die ungewissen rechtlichen Grundlagen haben das Finanzdepartement und die Finma auf den Plan gerufen. Im Herbst hat die Finanzmarktaufsicht angekündigt, nicht länger nur Einzelfälle zu prüfen, sondern den Rechtsrahmen in Bezug auf ICOs zu klären. Diese Richtlinien sollen in diesen Tagen vorgelegt werden.

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Intensiv mit dem Krypto-Hype und seinen Wurzeln beschäftigt ist die Kanzlei MME: Die Rechtsberatung mit Sitz in Zürich und Zug begleitete zum Beispiel 2015 Ethereum, als sich das prominenteste Blockchain-Projekt nach dem Bitcoin in Zug ansiedelte. Ein mittlerweile 20-köpfiges Team betreut bei MME Startups und Grosskonzerne, die Blockchain-Vorhaben anschieben wollen.

Andreas Glarner und Thomas Linder sind Partner bei MME, zuständig für Compliance respektive Steuerrecht. Den Trendbegriff «ICO» verwenden sie ungerne, sprechen stattdessen von «Token Generating Events» (TGE). Denn für sie steht bei Blockchain-Projekten nicht das schnelle Geld im Vordergrund, das die hohen Summen beim digitalen Crowdfunding vorgaukeln. Sondern das technologische Potenzial der Blockchain-Ideen. Im Gespräch mit der Handelszeitung sagen Glarner und Linder, warum Ethereum sich für Zug als Sitz entschieden hat und warum der Schweiz nur ein kurzes Zeitfenster bleibt, um zum Blockchain-Hub zu werden.

Die Finma will eine klare Rechtsauslegung schaffen, inwiefern ICOs unter bestehendes Aufsichtsrecht fallen. Was verändert das?
Andreas Glarner: Für uns ist das nur positiv. Wir wollen, dass in der Schweiz Rechtssicherheit entsteht. Die Schweiz hat hier die Möglichkeit, mit ihrer Rechtsauslegung weltweit einer der First Mover zu sein. Sie kann so den Konsumentenschutz stärken und sich gleichzeitig im internationalen Umfeld klar positionieren.

Welche Vorgaben erwarten Sie?
Glarner: Wir erwarten relativ detaillierte Richtlinien in Bezug auf ICOs, oder besser «Token Generating Events».

Wie geht die Finma vor?
Glarner: Die Finma reguliert grundsätzlich technologieneutral. Bei einer neuen Technologie wird entsprechend geschaut, ob und wie der genaue Wortlaut des Schweizerischen Gesetzes auf dieses neue Phänomen anwendbar ist. Ganz losgelöst davon, worum es sich handelt – Blockchain, TGE, Finanzprodukte, Zahlungsmittel – es ist immer das gleiche Vorgehen.

Was ist die entscheidende Frage für die Finma?
Glarner: Der Fokus wird aus unserer Perspektive darauf gerichtet sein, wann das Geldwäschereigesetz anwendbar ist und wann nicht. Auch das Thema «Securities» wird eine Rolle spielen. Ich persönlich gehe davon aus, dass die Finma einen Weg sucht, den doch eher engen Wortlaut des Geldwäschegesetzes auszuweiten und auf gewisse Arten der TGEs anzuwenden.

Inwiefern?
Glarner: Bei TGEs geht es um eine nie dagewesene Möglichkeit eines Funding-Prozesses, der über sogenannte Smart Contracts abgewickelt wird. Das Besondere: Die Smart Contracts können von Einzelpersonen direkt genutzt werden oder bestehen bilateral zwischen zwei Parteien. Anders als beim herkömmlichen Crowdfunding gibt es aber keinen Intermediär. Darüber findet man im Geldwäschereigesetz natürlich nichts. Dort sind Dinge geregelt wie Geldwechsel, Dienstleistungen im Zahlungsverkehr oder Herausgabe von Zahlungsmitteln. Das Geldwäschereigesetz würde also z.B. nur gelten, wenn die Finma die Zuteilung von Token der Herausgabe von Zahlungsmittel gleichstellt. Ob man eine solche Analogie ziehen kann, ist eine noch offene Frage.

Was spricht denn dafür, was dagegen?
Thomas Linder: Es ist eine Frage der Umsetzung. Entweder betreiben Herausgeber von Tokens ein Zahlungssystem und garantieren einen Gegenwert für die Netzwerkteilnehmer, dann fällt dieses Vorhaben wahrscheinlich in den regulierten Bereich. Solange aber Token technologische Funktionen in einem dezentralen Netzwerk haben, fehlt aus meiner Sicht die Qualifikation als Zahlungsmittel. Dann geht es eher um die Vorauszahlung für eine Open-Source Produktentwicklung, welche nicht unter die Aufsicht der Finma fallen würde.Glarner: Für den Schweizer Standort ist vor allem wichtig, dass für ernsthafte Projekte Rechtssicherheit entsteht. Ich persönlich bin der Meinung, dass wenn das Projekt richtig aufgesetzt ist, das Geldwäschereigesetz nicht anwendbar ist.

Thomas Linder, MME

Thomas Linder arbeitet als Experte für internationales Steuerrecht seit 2015 für MME.

Quelle: ZVG

Welche Rolle spielt denn die wachsende öffentliche Wahrnehmung von Kryptowährungen und ICOs für die Forderung nach Regulierung?
Glarner: Die Forderung sehe ich ehrlich gesagt so noch nicht, auch nicht die breitere öffentliche Wahrnehmung. In den Medien werden eigentlich nur drei Dinge diskutiert: der Wert von Bitcoin, der Wert von Ether und mit welchen Schwierigkeiten Tezos zu kämpfen hat. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Blockchain-Technologie sowie deren Chancen und Risiken findet in der Breite noch nicht statt. Man stürzt sich noch zu stark auf die Buzzwords.

Was bedeutet die Blockchain-Technologie für den Standort Schweiz?
Linder: Es haben sich in den letzten rund vier Jahren viele interessante Projekte hier angesiedelt und es besteht das Potenzial, dass über die Zeit umfangreiche Technologien und Mitarbeiter aufgebaut werden. Natürlich kann die Erwartung nicht sein, dass Start-ups unmittelbar nach der Gründung bereits auf 500 Mitarbeiter anwachsen. Aber in Zug, Zürich und an anderen Standorten gibt es viele Vorhaben, die jetzt auf die ersten fünf bis zehn Angestellten ausbauen. Es mag zwar scheinbar ein Gegensatz sein, dass auf der Grundlage einer dezentralen Technologie zentral Hubs entstehen, aber letztendlich suchen die Gründer den Austausch miteinander.

Sehen Sie denn die Chance, dass die Schweiz zu einem international führenden Standort für Blockchain-Technologie wird?
Glarner: Ich sehe die Chance. Aber es steht dafür nur ein kurzes Zeitfenster offen, andere Staaten machen sich hier ebenfalls auf den Weg. Malta wird Regulierungen anpassen, Liechtenstein, Gibraltar und Singapur sind bereits attraktiv, selbst die USA werden Schritte einleiten. Die Schweiz hat aber die Möglichkeit, mit einer gewissen Weltoffenheit trotz möglicher Regulierungen einen Vorteil als First Mover herauszuarbeiten.

Linder: Das Problem – aus rechtlicher Perspektive – ist derzeit, dass die Finma im Herbst genauere regulatorische Richtlinien angekündigt hat, aber bis heute noch nicht konkret geworden ist.

Was hat das zur Folge?
Linder: Im Moment stehen die Projekte in der Schweiz etwas auf der Bremse, weil sie auf die Anweisungen warten. Dies ist auch richtig und vorsichtig. Zudem begrüssen wir, dass die Finma hier keinen Schnellschuss macht, sondern überlegt reagieren will. Trotzdem ist es eine Tatsache, dass derzeit viele Projekte ins Ausland abwandern, insbesondere auch nach Liechtenstein. Der Liechtensteiner Regulator ist derzeit schneller unterwegs.

Warum eignet sich die Schweiz als Hub für Blockchain?
Linder: Ein Grund liegt darin, dass das politische System in der Schweiz durch den dezentralen Föderalismus sehr ähnlich funktioniert wie Blockchain. Das politische System in der Schweiz ist sozusagen Open Source, jeder kann mitbestimmen. Dieser Community-Gedanke überzeugte zum Beispiel die Gründer von Ethereum, in die Schweiz zu kommen. Sie wollen die digitale Gesellschaft durch den Einsatz der Blockchain ein Stück weit fairer machen, indem alle mitreden können, und sehen das in der Schweiz gespiegelt.

Sehen Sie keine Gefahr, dass Kryptowährungen für kriminelle Machenschaften und Geldwäscherei eingesetzt werden?
Linder: Man sollte nichts Falsches versprechen. Ein dezentrales System kann man letztendlich nicht regulieren, es läuft nun mal «peer-to-peer». Zudem halte ich das Risiko von Geldwäscherei für überschaubar. Wenn ich Geld waschen wollte, würde ich es sicher nicht in TGEs investieren, in welchen der Erfolg der Technologieentwicklung völlig unvorhersehbar ist. Wir sehen ausserdem immer mehr, dass softwarebasierte Tools entwickelt werden, über die geprüft werden kann, ob «Krypto-Geld» sauber ist oder nicht.

Die Transaktionen sind transparent, aber es ist ja eben nicht transparent, wer hinter welchen Transaktionen steht.
Linder: Ja, die meisten Blockchains sind aber nicht anonym, sondern pseudonym. Das heisst, dass sobald Konten mit Identitäten verknüpft werden können, das System supertransparent wird. Blockchain ist für mich daher eine der dümmsten Arten, kriminell zu sein. Oder man muss wirklich ein Genie sein, damit man keine Spuren hinterlässt.

Glarner: Praktisch betrachtet mag es gewisse Geldwäscherisiken geben. Zudem lässt sich auch nicht abstreiten, dass z.B. Bitcoin als Zahlungsmittel für kriminelle Plattformen wie zum Beispiel Silkroad eingesetzt wurde. Doch dürfte es wohl keine Technologie geben, welche nicht auch missbraucht werden kann. Ein grundsätzliches Geldwäschereirisiko sehe ich bei den TGEs daher ebenfalls nicht. Anders sieht dies an den Gateways aus, wo Token oder Kryptowährungen in Fiat-Währungen wie den Dollar oder Franken getauscht werden, das heisst bei den sogenannten Exchanges. Diese sind inzwischen in vielen Ländern – auch in der Schweiz – beaufsichtigt und unterstehen den jeweiligen Geldwäschereibestimmungen. Bei diesen Gateways ist eine Kontrolle zur Bekämpfung von Missbrauch und Geldwäscherei entscheidend.

Andreas Glarner

Andreas Glarner berät unter anderem Internet- und Blockchainfirmen in Compliancefragen.

Quelle: ZVG

Kryptowährungen und ICOs wirken derzeit auf Investoren attraktiv, die sich rasante Wertsteigerungen versprechen. Werden dadurch Massnahmen notwendig, weil die Gefahr einer Blase besteht?
Glarner: Schwierig zu beantworten. Es stellt sich die Frage, wer überhaupt die Investoren sind? Und wen es zu schützen gilt, wenn reguliert wird? Man reguliert entweder um Konsumenten oder um das gesamte Wirtschaftssystem zu schützen. Das Gesamtsystem ist im Moment nicht gefährdet, Kryptowährungen – um diesen Begriff zu benutzen – sind nach wie vor eine Randerscheinung. Wir bewegen uns hier nicht in einem Bereich, bei dem der Finanzmarkt als Ganzes Risiken ausgesetzt wäre. Es ginge also um den Konsumentenschutz und, wie bereits diskutiert, das Risiko der Geldwäscherei. In Bezug auf den Konsumentenschutz behaupte ich, dass 90 Prozent des Geldes im Kryptowährungsbereich von technologieaffinen Personen stammt, die bereits seit 2012 oder 2013 Kryptowährungen halten und von den Mehrwehrten profitieren. Es dürfte sich bei den Investitionen nur in seltenen Fällen um Ersparnisse von Privatanlegern handeln.

Linder: Die Hoffnung auf schnelle Wertsteigerung irritiert zugleich alle, die schon länger dabei sind. Vor einigen Jahren war allen klar, dass ein Crowdfunding zur Open-Source Projektentwicklung erfolgreich sein und neue Technologien hervorbringen kann. Aber zu 99 Prozent funktioniert es eben nicht. Den Unterstützern ging es um die Idee und die Technologie, nicht um den Gedanken, damit Geld zu verdienen. Ethereum war zum Beispiel so ein Experiment. Projektfinanzierung als Investment anzusehen, war eigentlich nicht der Sinn der Sache.

Glarner: Grundsätzlich ist es nicht nur negativ, dass wir jetzt nach der Wachstumsphase seit November erleben, dass die Kurse von Kryptowährungen auch zusammenbrechen können. Vielleicht merken die Konsumenten dann von selbst, dass nicht alles Gold ist, was glänzt, und überlegen stärker, ob und welche Projekte sie unterstützen wollen.

Der finanzielle Umfang von ICO ist 2017 explodiert auf 3,5 Milliarden Dollar, einige der grössten davon in der Schweiz. Hält die technologische Entwicklung mit der finanziellen Schritt?
Linder: Wir befinden uns immer noch ganz am Anfang einer vermutlich sehr langen Entwicklung. Ausser Ethereum haben bis dato die meisten Projekte noch keine funktionierenden Produkte veröffentlicht, doch die Blockchain-Vorhaben werden immer reifer und schneller skalierbar. Die ersten kommen jetzt 2018 auf den Markt, dann wird sich zeigen, wie stark sie genutzt werden und wie gross die Nachfrage ist.  

Was erwarten Sie denn für 2018?
Glarner: Wenn wir von der Industrie her denken, wird die Logistik als eine der ersten Blockchain verwenden, und zwar im Management der Lieferkette. Vielleicht ist es 2018 noch nicht soweit, aber 2019 oder 2020. Der einfachste Anwendungsfall wäre der, die Zahlungsabwicklung für Warenlieferungen Smart Contract basiert vorzunehmen. Doch hierfür fehlt es den Kryptowährungen momentan an Stabilität. Wir werden aber in ein bis zwei Jahren die ersten Kryptowährungen sehen, die von Finanzinstituten herausgegeben werden. Das klingt zwar etwas gewöhnungsbedürftig, aber das schafft zugleich Vertrauen und Stabilität. Da treffen zwei Welten aufeinander – dezentrale Kryptowährungen und klassische Institutionen wie zum Beispiel Banken. Ich behaupte, dass wir erst wenn diese zwei Welten verschmelzen in Sachen Blockhain in die operative Phase kommen.