Der israelische Historiker Yuval Noah Harari schreibt: «Die grösste Gefahr, der sich die liberale Demokratie derzeit gegenübersieht, besteht darin, dass die Revolution in der Informationstechnologie Diktaturen effizienter macht als Demokratien.» Vor dem Hintergrund vermehrter Firmenübernahmen durch chinesische Firmen und durch deren Expansion nach Europa und in die Schweiz gewinnt diese Thematik auch hier an Brisanz. Während in China relativ frei mit Daten umgegangen wird, gilt für die Schweiz seit dem 25. Mai 2018 die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der EU. Kann es dadurch zu Verzerrungen im internationalen Wettbewerb kommen?

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Chinas Zugang zu personenbezogenen Daten

Die jüngste Vergangenheit war in China durch zahlreiche Kooperationen zwischen chinesischen Internetfirmen mit chinesischen Staatsbanken geprägt. So kooperieren die vier grössten chinesischen Staatsbanken mit den vier grössten chinesischen Internetfirmen (China Construction Bank mit Alibaba, Industrial and Commercial Bank of China mit Jingdong, Agricultural Bank of China mit Baidu, Bank of China mit Tencent). Zudem wurden am 15. Oktober 2017 alle chinesischen Onlinebezahlsysteme der Third-Party-Payment-Organisationen – inklusive Alipay (Alibaba, 552 Millionen Käufer pro Quartal – Q1 2018) und Tenpay (Tencent, monatlich ca. 800 Millionen aktive Nutzer) – an die zentrale Zahlungsplattform der chinesischen Zentralbank (kurz: PBoC) angeschlossen. Es scheint, dass die Zeit der unkontrollierten Entwicklung von Internetfirmen zumindest in China zu Ende geht und dass diese Unternehmen vermehrt staatlicher Kontrolle unterliegen. Diese umfasst auch die riesigen Privatkunden-Datenbanken, über die Alibaba, Tencent und andere Internet-Plattformfirmen verfügen. Es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Expansion chinesischer Unternehmen unter diesen Umständen auf die Schweiz hat. Dass dieses Problem aktuell ist, belegt die zunehmende hiesige Präsenz von Alibaba und der China Construction Bank. Beide Unternehmen haben Niederlassungen in der Schweiz gegründet. Während die China Construction Bank auf Corporate Business fokussiert, interessiert sich Alibaba für innovative Fintech in der Schweiz und in Europa. Zudem kooperiert Alibaba erfolgreich im Online-Zahlungsverkehr mit ePassi in Finnland und WireCard in Deutschland. Vorerst mit dem Ziel, chinesischen Touristen einen zusätzlichen Service anzubieten. So können diese problemlos bei zahlreichen Läden in Finnland und Deutschland via Handy über Alipay einkaufen, was von ihnen auch intensiv genutzt wird. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass Schweizer Firmen künftig im Zahlungsverkehr ebenfalls mit Alibaba kooperieren werden. Hier stellt sich die Frage, was mit den Daten passiert, die möglicherweise aus der Schweiz nach China fliessen?
 

Der gläserne Mensch

Unsere Zeit ist durch Daten und den Umgang mit diesen geprägt. Big-Data, Internet of Things oder Blockchain sind nicht nur Konzepte, sondern sie werden immer mehr zu alltagsbestimmenden Realitäten. Im Zentrum stehen Daten, die auf nationaler und internationaler Ebene gesammelt sowie immer besser und zielführender ausgewertet werden. Aber, was bedeutet zielführend? Ist immer klar, welche Ziele gemeint sind? So beabsichtigt Alibaba nach Aussagen seines Chefs Daniel Zhang, sowohl in China als auch weltweit das effizienteste Logistiknetzwerk zu schaffen. Dafür baute der Konzern seine Beteiligung an Cainiao, einem Konglomerat von chinesischen Logistikfirmen, um 800 Millionen US-Dollar aus. Ein solches Logistiknetzwerk dient einerseits dem Kunden, der seine Waren entsprechend schneller erhält, aber es macht diesen andererseits auch sehr kontrollierbar. Stehen dem chinesischen Staat auch noch die Daten weiterer Dienstleistungen von Alibaba und Alipay zur Verfügung, erhält er weitreichende und detaillierte Einblicke über Vorlieben, Interessen und Verhalten von Millionen von Kunden oder besser Bürgern. Denn die Dienstleistungen, welche Alibaba oder Alipay anbieten, sind vielfältig: Convenient Life, Fund Transfer, Shopping & Entertainment, Education & Public Welfare und Third-party Services, sogar Wealth Management und mehr. So bietet Alipay nebst Payment Services und Financial Services wie zum Beispiel Anlageberatung auch Joint Venture Services wie Lieferantendienstleistungen, Taxi Services und andere Added-Value-Services an, die bis zur Anmietung von Wohnungen reichen. Die gesammelten Daten stellen eine ergiebige Grundlage dar, um Kunden datentechnisch tiefgehend und facettenreich zu erfassen und zu analysieren. Neu ist, dass diesbezüglich immer bessere Möglichkeiten zum Auswerten der gigantischen Datenpools zur Verfügung stehen bis hin zur künstlichen Intelligenz. Der Bürger wird zunehmend transparent, seine finanzielle Situation erfassbar, und man kann analysieren, wie er sich im Ökosystem der digitalen Welt bewegt und auch künftig verhalten wird. Dies geht umso besser, je zentraler die Daten erfasst und ausgewertet werden können.


Big Data Analysis auf staatlicher Ebene

Daten über die Nutzung und Bezahlung von Services und Dienstleistungen sowie über das Kauf- und Zahlungsverhalten von Kunden sind für Finanzinstitutionen von hohem Interesse, wenn sie sich systematisch auswerten lassen. So lassen sich daraus sowohl Krediteinschätzungen von Kunden als auch Präferenzen und Zahlungsverhalten der Kunden ableiten. Die Frage ist, wo diese Informationen liegen und wofür sie verwendet werden: diversifiziert bei den einzelnen Banken oder zentralistisch verwaltet über Bankgrenzen hinweg. Verlockend an einer zentralstaatlichen Datenverwaltung ist, dass der Staat das Verhalten seiner Bürger besser beobachten und angemessen und konzertiert reagieren kann. Dadurch wird zum Beispiel der Staat mit seinen Institutionen in die Lage versetzt, bei Krisenerscheinungen frühzeitig und angemessen einzugreifen. So beabsichtigt China, landesweit ein Ratingsystem aufzubauen, mit dem die Kreditfähigkeit von Kunden systematisch ermittelt werden kann. Dies dient natürlich auch der Stabilität der Banken und des Finanzsystems. Durch das übergreifende Vernetzen verschiedenartiger Services und Unternehmen entsteht in China ein digitales Netzwerk, welches man sich wie ein verzweigtes Ökosystem vorstellen kann und das eine Sicht auf Kunden aus verschiedenen Perspektiven zulässt. Dabei werden die Kunden einerseits beobachtet, aber die Kunden wissen auch, dass sie in ihrem Verhalten beobachtet werden, was wiederum auch positive Effekte, wie eine bessere Zahlungsmoral und ein besseres gegenseitiges Vertrauen hervorruft. So beträgt die Betrugsrate bei Alipay 0,001 Prozent. Im Vergleich liegt die Betrugsrate entsprechend den Angaben von Visa Europa für 2017 bei 0,038 Prozent. Gerade in sich schnell entwickelnden Ökonomien und in Krisenzeiten spielt Vertrauen eine zentrale Rolle für das Wirtschaftswachstum und hat Wert. Dies hat die letzte Finanzkrise deutlich belegt. Insofern fällt es zumindest in dieser Beziehung schwer, dem Historiker Harari zu widersprechen, dass die Informationstechnologie Diktaturen effizienter macht als Demokratien. Dennoch sollten wir die Worte Benjamin Franklins in Erinnerung behalten: «Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.»