Seit Donald Trumps Wahlsieg sind die Börsen weltweit im Stimmungshoch. Ist die Euphorie der Anleger berechtigt?
Didier Borowski*: Die gute Stimmung ist teils verständlich. So zeichnet sich beispielsweise ab, dass sich die US-Wirtschaft im ersten Quartal beschleunigt. Dennoch glaube ich, dass in den USA die Grenze zur Finanzblase überschritten wurde. Viele amerikanische Aktien sind inzwischen überbewertet.

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Woher kommt der neue Optimismus?
In den letzten Monaten hat sich der globale Aufschwung verstetigt. Gute Neuigkeiten von der Heimatfront gab es nicht nur in den USA, sondern auch in der Eurozone, in China und in Japan. Zudem scheint die «Reflation», die Rückkehr zu Preissteigerungen durch eine expansive Geld- und Fiskalpolitik, endlich Früchte zu tragen. Dennoch scheint mir die Euphorie in den USA übertrieben.

Was ist das Problem?
Es gibt einen Graben zwischen den Plänen von Donald Trump und den Zielen der Republikaner im Kongress. Zwar wollen beide Seiten die Steuern senken. Doch der Teufel liegt im Detail. Es liegt in der DNS der Republikaner, Steuersenkungen über tiefere Staatsausgaben zu finanzieren und nicht über höhere Defizite. Hier eine Einigung mit den Republikanern zu erreichen, dürfte nicht gerade einfach werden

Doch dann könnte Trump seine Versprechungen nicht erfüllen.
Zumindest nicht alle seine Versprechungen. Die Verhandlungen zwischen dem Weissen Haus und dem Kongress werden sehr schwierig werden. Trump will die Ausgaben fürs Militär und für die Infrastruktur erhöhen und die Steuern für den Mittelstand und für Unternehmen senken. Dies hätte jedoch eine derart massive Ausweitung des Defizits zu Folge, dass der Kongress dem so nicht zustimmen wird.

Warum nicht?
Die Massnahmen sollen das Wachstum zwar ankurbeln, doch dieser Politik sind beim heutigen Schuldenstand der USA enge Grenzen gesetzt. Das ist der Grund, weshalb die Regierung bei ihrem Wirtschaftsprogramm bisher so vage geblieben und die Grenzkontrollsteuer noch auf dem Tisch ist. Die einzige Lösung mit der Trump seine Versprechen erfüllen kann, wäre, eine Steuer auf Importe zu erheben.

Trotzdem dürfte die Fed demnächst einen weiteren Zinsschritt wagen. Sollte die EZB auch langsam von ihrer expansiven Geldpolitik abkehren?
Nein, denn anders als in den USA befindet sich die Eurozone erst mitten im Erholungsprozess. Deutschland ist das einzige Land der Eurozone, welches nahe an der Vollbeschäftigung steht. Es ist deshalb sehr wichtig, dass die expansive Geldpolitik der EZB lange genug weitergeführt wird.

Aber ist es nicht gefährlich die Zinsen lange Zeit so tief zu halten?
Es ist riskant, aber notwendig. Die Erholung in der Eurozone ist eng mit dem Umfeld verknüpft, welche die EZB mit ihren Massnahmen geschaffen hat. Keine Wirtschaft in der Eurozone könnte eine starke Zinserhöhung verkraften. Ich gehe davon aus, dass die EZB erst im September – vor den Wahlen in Deutschland – sagen wird, wie es 2018 weitergeht. Dass sie es bereits vor den Wahlen in Frankreich tun wird, ist aufgrund der hohen Unsicherheit kaum zu erwarten.

Und wie geht es 2018 weiter?
Sehr wahrscheinlich wird sie im nächsten Jahr die Anleihe-Käufe drosseln wollen, aber dieser Tapering-Prozess muss sehr behutsam gemacht werden. Anderenfalls würde der Aufschwung vor allem in weiterhin fragilen Volkswirtschaften wie Italien, abgewürgt. Zu Beachten ist zudem, dass die Wahlen in Italien für Februar 2018 angesetzt sind.

Im letzten Jahr sind in Europa mit dem Brexit-Entscheid und dem Nein im Verfassungsreferendum in Italien zwei Worst-Case-Szenarien eingetroffen. Die Anleger liessen sich davon aber kaum beirren.
Tatsächlich waren es überraschend, wie unbeeindruckt sich die Märkte gezeigt haben. Aber wenn wir uns etwa das Brexit-Votum anschauen, müssen wir festhalten, dass der Artikel 50 noch gar nicht ausgelöst wurde. Wahrscheinlich waren die Ökonomen zu pessimistisch, was die kurzfristigen Auswirkungen betrifft. Aber das bedeutet nicht, dass der Brexit keinen Einfluss auf die Wirtschaft und die Märkte haben wird. Die wahren Folgen des Entscheides werden sich erst während der Austrittsverhandlungen zeigen.

Vielleicht wird aber auch der Einfluss der Politik auf die Märkte überschätzt?
Ich bezweifle es. Es stimmt, dass wir in Europa trotz politischer Unsicherheit eine weitere Erholung sehen. Die Wahl von Marine Le Pen zur französischen Präsidentin wäre jedoch ein Sprung in unbekannte Gewässer.

Was ist so entscheidend an den Wahlen in Frankreich im Vergleich zur Wahl von Donald Trump oder dem Brexit?
Die Wahl von Marine Le Pen wäre ein Wendepunkt für Europa. Ein starkes Bekenntnis von Frankreich und Deutschland zur Konsolidierung der Institutionen der Europäischen Union ist sehr wichtig. Ohne Frankreich ist die Europäische Union mittelfristig nicht überlebensfähig. Das von Le Pen geplante Frexit-Referendum hätte somit massive politische Auswirkungen. Doch die Chancen für Le Pen stehen allen Umfragen zufolge schlecht. Ausserdem will die Mehrheit der Franzosen den Euro behalten. Unser zentrales Szenario ist daher, dass entweder Macron oder Fillon die Präsidentschaftswahl gewinnen wird.

Sie glauben nicht, dass Le Pen gewinnen kann?
Wir verfolgen die Prognosen mit grosser Aufmerksamkeit. Aus heutiger Sicht wird Marine Le Pen als Gewinnerin des ersten Wahlgangs hervorgehen. Die zweite Runde wird sie jedoch höchstwahrscheinlich verlieren. Bei den Regionalwahlen 2015 hat der Front National mit 6,8 Millionen Stimmen sein bisher bestes absolutes Resultat erzielt. Bei einer üblichen Wahlbeteiligung bei Präsidentschaftswahlen von etwa 80 Prozent entspricht das rund 45 Millionen Wählern. Wenn Marine Le Pen in der ersten Rund 9 Millionen Stimmen erhält, müsste sie weitere 9 Millionen hinzugewinnen, um die absolute Mehrheit in der zweiten Runde zu erlangen.

Das ist schwierig.
Dass es ihr gelingt, die Stimmenzahl zwischen der ersten und der zweiten Wahlrunde zu verdoppeln, scheint mir kaum vorstellbar. Aus meiner Sicht kann Le Pen nur gewinnen, wenn die Wahlbeteiligung auf 50 Prozent oder weniger sinkt. Dies gab es noch nie bei französischen Präsidentschaftswahlen und ist höchst unwahrscheinlich – besonders, wenn Le Pen in der ersten Runde vor einem pro-europäischen Kandidaten liegt.

Gibt es eine andere Möglichkeit?
Für eine viel tiefere Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang müsste es der Kandidat der radikalen Linken, Jean-Luc Mélenchon, in die Stichwahl gegen Marine Le Pen schaffen. Dann würden viele Wähler zu Hause bleiben. Die Sozialisten könnten ebenfalls zum Türöffner für Le Pen werden. Doch auch dieses Szenario wird kaum eintreten.

Könnte ein Terroranschlag das Blatt zu Gunsten von Le Pen wenden?
Das ist schwer einzuschätzen. Ich denke nicht, dass ein Anschlag Le Pen bevorteilen würde. Sowohl François Fillon als auch Emmanuel Macron wären Hardliner bezüglich der Sicherheitspolitik. Und auch der Sozialist Manuel Valls hat als Premierminister rigoros gegen den Terrorismus durchgegriffen. Der Aufstieg des Populismus in Europa ist stärker mit der Immigration als mit dem Terrorismus verbunden.

Das tönt alles ziemlich optimistisch für Europa in den nächsten Monaten.
Ich bin optimistisch. Auch die Deutschen werden voraussichtlich keine antieuropäische Partei an die Macht wählen. Die Programme von Angela Merkel und Martin Schultz mögen sich unterscheiden, doch letztlich sind beide Kandidaten pro-europäisch eingestellt. In Frankreich geht es wegen Marine Le Pen um die Zukunft Europas. In Deutschland sieht es dagegen nicht nach einer solchen Grundsatzdebatte  aus.

Was ist mit Holland? Dort sieht es für den EU-Gegner Geert Wilders ziemlich gut aus.
Holland ist kein grosser Player in der Eurozone und deshalb für die Gemeinschaftswährung als Ganzes keine direkte Bedrohung. Dennoch könnte ein Wahlsieg von Wilders europaskeptischen Parteien – vor allem in Frankreich und in Italien – Auftrieb verschaffen. Die Wahlen in Italien sind für mich die zweite grosse Entscheidung in diesem oder im nächsten Jahr.

Warum gibt es so viele negative Gefühle gegenüber der EU, obwohl sich die Wirtschaft erholt?
Es braucht Zeit, weil die Erholung noch nicht allen Europäern zugute kommt. Erst wenn die Arbeitslosigkeit über längere Zeit sinkt, beginnt dies die Wahrnehmung zu beeinflussen. Es braucht mindestens zwei bis drei weitere Jahre, bis sich das Gefühl und die Stimmung gegenüber Europa ändern.

Stehen wir am Anfang eines langen Aufschwungs?
Das würde ich nicht so sagen. Die alternde Gesellschaft und die geringeren Produktivitätszuwächse verlangsamen das globale Wachstum. Doch wir erwarten, dass die Notenbanken an einer lockeren Geldpolitik festhalten und dass es zu keinem Absturz in China oder in den USA kommen wird. Dann können wir in der Eurozone mehrere Jahre mit starkem Wachstum erwarten. Das gilt auch für die Aktienmärkte, denn im Moment sind die europäischen Titel wegen politischer Risiken noch unterbewertet. Nach den Wahlen in Frankreich könnte es deshalb zu einem raschen Anstieg der Eurozone-Aktien kommen.

Sollte man jetzt in europäische Aktien investieren?
Ja, wir wollen vom Rebound profitieren, den es direkt nach der Stichwahl in Frankreich geben wird. Bei Amundi haben wir Aktien aus der Eurozone in globalen Portfolios im Moment leicht übergewichtet. Allerdings müssen wir sehr vorsichtig sein, denn bis zum Wahltag werden sich die Märkte im Tandem mit den Umfrageergebnissen bewegen – und diese sind unvorhersehbar. Die nächsten zwei Monate könnten deshalb unruhig werden.

*Didier Borowski ist Chefökonom von Amundi Asset Management. Der grösste Vermögensverwalter Europas mit Hauptsitz in Paris hat über 100 Millionen Kunden in 30 Ländern.