Hinter verschlossenen Türen traf sich letztes Wochenende die US-Börsenaufsicht SEC mit der Finma, der deutschen Bafin und der Aufsicht von Singapur. Experten aus der Blockchain-Branche reisten an, auch aus der Schweiz. Es ging um das sogenannte ICO, eine neue Art von Börsengängen.

ICO heisst Initial Coin Offering, und das ist der letzte Schrei im Investment Banking. Investoren überweisen dabei ihr Geld an Startups und erhalten im Gegenzug digitale Token. Möglich macht dies die Blockchain-Technologie. Was diese Token genau sind, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Zum Teil ähneln sie einer Aktie, zum Teil berechtigen sie zum späteren Bezug einer Dienstleistung des Startups. Auf jeden Fall hoffen alle Beteiligten, die Startups seien erfolgreich und die Token gewännen mit der Zeit an Wert.

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Beispielloser Boom

Der Boom ist beispiellos. Hunderte von Projekten sammelten in diesem Jahr bereits zwei Milliarden Dollar ein. Meistens sind es Internet-Startups, die auf diese Weise zu Geld kommen und nicht mehr klassische Aktien ausgeben oder zu klassischen Wagniskapitalgebern gehen. «Ein totaler Hype», meint ein Investment Banker. «Wir stehen kurz vor dem Platzen der Blase», ergänzt ein Bankenberater.

Möglicherweise sind die Crash-Szenarien verfrüht. Letzte Woche jedenfalls reisten Hunderte von Investoren und Startups aus über fünfzig Ländern nach Zürich zum ICO Summit, einer Konferenz, die von der Zuger Firma Smart Valor organisiert wurde. «Was wir bisher gesehen haben, ist noch gar nichts», sagt dort ein Fondsmanager aus dem Silicon Valley. Die Pipeline an ICO-Projekten sei gigantisch. Bevor es runtergehe, gehe es erst rauf.

Die 1-Milliarde-Grenze

Ein Broker berichtet Ähnliches: «Bei uns landen täglich zehn neue ICO-Kandidaten auf dem Tisch, die wir beraten sollen, auch am Wochenende», sagt er. Allein am ICO Summit präsentierten sich dreissig Startups, deren ICO meist kurz bevorsteht. Einige entwickeln eine neue Auktionsplattform, andere eine Versicherungs-App, die dritten sind im Musikgeschäft tätig, die vierten lassen Anleger an Solarpanels in Afrika partizipieren. «Natürlich werden Projekte scheitern», so Richard Muirhead von ICO-Investor Open Ocean.

Die grössten ICO haben bisher rund 200 Millionen Dollar eingebracht. Doch auch hier scheint das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. «Zurzeit weiss ich von zwei geplanten ICO, welche die Milliardengrenze knacken wollen», sagt ein Berater.

Ein Art Crowdfunding

Über ICO finanzieren sich vorderhand vor allem Firmen, welche die Blockchain-Technologie in irgendeiner Form für ihre Apps und Dienstleistungen nutzen wollen. Doch es gibt bereits erste Beispiele wie etwa die US-Firma Kik, die bisher nichts mit Blockchains am Hut hatte und dennoch ein ICO lanciert. Was die ICO so attraktiv macht, ist nicht nur das rasche und unkomplizierte Beschaffen von Kapital.

ICO sind eine Art Crowdfunding und global, jeder Kleinanleger kann mit noch so geringen Beträgen mitmachen. Damit erhält ein Startup auf einen Schlag eine globale Schar von Tausenden Personen, die von nun an das Projekt gebunden sind, wahrscheinlich zu künftigen Kunden und möglicherweise zu Evangelisten werden. Im Zeitalter von Netzwerkeffekten kann das von grosser Bedeutung sein.

Der Wagniskapitalmarkt wird verdrängt

Der Trend hat Auswirkungen auf den traditionellen Wagniskapitalmarkt (Venture Capital, VC). VC standen bisher immer in der ersten Reihe, um bei Startups einzusteigen. Das Problem nun: Vielversprechende Startups brauchen das Geld der klassischen VC nicht mehr, da sie es auch sonst kriegen. «Die VC laufen Gefahr, aussen 
vor zu bleiben», sagt etwa Teddy Travia. Er berät mit seiner Gesellschaft Coinsilium Blockchain-Startups. Jamie Burke von Outlier Ventures ergänzt: 
«Was diese neuen Projekte brauchen, ist jemand, der sie berät, prüft und letztlich für gut befindet.» Quasi als Gütesiegel fürs breite Publikum, um die Guten aus dem Meer der Mittelmässigen herauszuheben.

Inzwischen werden horrende Preise für die Token der Startups bezahlt. Niemand will den nächsten Milliardenkonzern verpassen. «Es wird für Anleger Enttäuschungen geben», sagt Muirhead von Open Ocean. «Aber so funktionieren nun mal solche Märkte. Das ist nicht schlecht.» Viele der heutigen Internetkonzerne seien auch erst auf den Trümmern des Dotcom-Crashs nach 2001 aufgebaut worden.

Heikle Fragen für Behörden

In dieser Wildwest-Phase von neuen handelbaren Finanzinstrumenten stehen Behörden unter Druck. Wenn ein Token die Funktion einer Aktie hat, muss das Startup etwa bei der amerikanischen SEC registriert sein und die entsprechenden Vorschriften befolgen. Was aber ist ein Token – juristisch gesehen –, wenn es nur innerhalb einer App gebraucht wird und kein Recht darstellt? Solche Token existieren mit einer Marktkapitalisierung von Hunderten von Millionen Dollar. China wählte den radikalen Weg und verbot alle ICO. So weit dürfte es im Westen nicht kommen. Es würde jedoch niemanden erstaunen, wenn die SEC noch vor Jahresende mit neuen Richtlinien aufwartet. Zumindest deutet das Treffen letztes Wochenende in Philadelphia darauf hin.

Das grosse Problem für Behörden, welche bisher die überschaubaren, nationalen Handelsplätze kontrolliert haben: Die Technologie ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen. ICO lancieren geht mit wenigen Clicks, und damit wird vieles verbrief-, digitalisier- und handelbar, was bisher zu umständlich war. Abwegig ist es nicht, künftig nicht nur Aktien und Nutzungsrechte in Token umzuwandeln, sondern auch Gemälde oder geistiges Eigentum und Hypotheken, sogar Arbeitszeit.

Die Zukunft bleibt offen

Niemand weiss heute, ob sich ein Handel mit neuen digitalen Assets in den nächsten fünf bis zehn Jahren etablieren wird. Aber die Märkte und Plattformen, auf denen all die Token gehandelt werden können, entstehen gerade.