Herr Simon, Sie gelten als der Erfinder der Wechselbrücke, die als grosser Erfolg in der Transportbranche gewertet wird. Das einstige Fuhrunternehmen Dachser, das in seinen Anfängen während der 30er-Jahre Allgäuer Käse in das Rheinland transportierte, ist heute global aufgestellt. Wäre dies ohne die Wechselbrücke möglich gewesen?

Thomas Simon:
Ja und Nein. Wenn eine Firma ein System wie die Wechselbrücke alleine entwickelt, dann hat dies nicht den gleichen Effekt, wie wenn sie dabei mit möglichst vielen Partnern kooperiert. Eine Präzisierung ist hier angebracht: Bei Dachser sind wir heute keine Fuhrunternehmer mehr, sondern wir chartern Lastwagen und treten so als Speditionsunternehmen auf. Komplettladungen sind für uns nicht mehr ausschlaggebend. Wir laden primär Teilpartien und Sammelgut: Aber auch da sind wir heute nur durch die Wechselbrücke so erfolgreich.

Ich habe gelesen, dass Ihnen mit der Ankunft der ersten Container der US-Army 1966 in deutschen Häfen die zündende Idee zur Wechselbrücke kam.
Ja. Ich habe mir die Container angesehen und gedacht: Wenn es uns bei Dachser gelingt, dieses System auf Lastwagen zu übertragen, dann werden wir wesentlich flexibler. Natürlich, die technischen Herausforderungen waren gross: Die Seecontainer hatten amerikanische Masse und waren für unser europäisches Palettensystem nicht geeignet. Sie waren zu kurz und zu schmal. Wir haben danach gemeinsam mit der Firma Kögel den Eurotainer entwickelt und sechs bis acht Prototypen gebaut: Als Koffer-, Plan- und Kühlbehälter.

Das System klingt technisch. Was hat die Wechselbrücke bewirkt?
Wenn ein Lastwagen beispielsweise von Kempten ins Rheinland losgefahren ist, benötigte man dafür drei Fahrer. Mit diesen Fahrern waren zwei Umläufe pro Woche möglich. Eine effizientere Alternative  bot sich dank der Wechselbrücke im sogenannten Stafettenverkehr an: Ein Fahrer fuhr die halbe Strecke bis nach Mannheim und der andere kam ihm aus dem Allgäu entgegen. Danach haben die beiden die Aufbauten gewechselt und sind wieder nach Hause gefahren. So kam man mit nur einem Fahrer pro Lastwagen aus. Zwischenzeitlich konnten sich die anderen Fahrer um Zustellungen und Abholungen in der Region kümmern. Auf diese Weise gelang es uns bei Dachser, die Umsätze pro Lastwagen innerhalb von nur fünf Jahren auf 60 000 Deutsche Mark zu verfünffachen.

Sind Sie in dieser Zeit nicht vielen Skeptikern begegnet?
Alle Vollblutspediteure haben zu mir gesagt: Bleib weg mit dieser Wechselbrücke! Das System kostet viel Geld und wir brauchen es nicht. Trotz den Misstönen konnte ich die Niederlassungsleiter von Kempten und Köln von meinem System überzeugen. Das war im Jahr 1970. Danach ging alles sehr schnell: In nur drei Jahren war der gesamte Fuhrpark von Dachser auf die Wechselbrücke umgestellt. Ich hatte mir dafür eigentlich sieben Jahre vorgenommen. 1980 wurde das Wechselsystem genormt.

Heute sind die Wechselbrücken bei riesigen Umschlaglagern mit einer Vielzahl an Toren und Rampen im Einsatz. War das schon immer so?
Nein. Die Höfe waren damals zu klein und es gab keinen Platz zum Abstellen der Wechselbrücken. Zudem waren die Laderampen zu tief. Als ich dann noch vorschlug, die Lager über eine Vielzahl von Toren zu öffnen, hat man mich regelrecht ausgelacht. Mein Kollege, der in der Produktion tätig war, wollte die Tore nicht aneinanderreihen. Stoppuhr-Messungen beim Beladen haben mir schliesslich recht gegeben.

Die Wechselbrücke wird mit dem Argument angepriesen, sie belaste die Umwelt weniger. Heute beobachtet man einen ganz anderen Trend: Konsumenten greifen vermehrt zu heimischen Produkten anstatt Waren zu importieren.
Der Trend zurück zu einem Konsum von heimischen Produkten ist eine neue Entwicklung. «Heimisch», das ist aber nicht der Maschinen- oder der Autobau. Es geht um Produkte, die in einem Umkreis von 100 bis 150 Kilometern produziert und verteilt werden. In diesem Segment ist die Schiene im Vergleich zur Strasse nicht konkurrenzfähig und wird es auch nie sein. Wenn heute  jemand kommt und sagt «Alle Güter müssen auf die Bahn», dann hat er keine Ahnung von Logistik. Die Bahn könnte noch nicht einmal fünf Prozent des Verkehrs von der Strasse übernehmen. Zur Verteilung von Gütern in einem engen regionalen Radius müssen Sie einen Lastwagen benutzen.

Gilt dies auch für den europäischen Gesamtmarkt?
Heute haben wir ja nicht einen deutschen oder einen schweizer, sondern einen europäischen Markt. Da läuft unheimlich viel von Skandinavien bis nach Nordafrika, wo wir auch Niederlassungen haben. Das alles geht nur mit Lastwagen und der Wechselbrücke – nicht anders.

Der Industrielle Henry Ford, der die Fliessbandtechnik perfektionierte, prägte den Satz: «Nicht mit Erfindungen, sondern mit Verbesserungen macht man Vermögen.» Wo liegt Verbesserungspotential in der Logistikbranche?
Das kann man heute nicht voraussagen. Aber ich glaube, dass wir im Moment die Kapazitäten sehr gut ausnützen. Natürlich, man könnte die Lastwagen schon heute problemlos länger machen, aber der Gesetzgeber sieht das zum Teil kritisch. Alternativ könnte man die Erlaubnis für den Güterverkehr am Sonntag anstreben.

Befürworten Sie eine Liberalisierung der Fahrzeiten?
Im Moment sollte man alles so lassen, wie es ist. Wir Deutsche oder Sie als Schweizer kommen aus der Perspektive eines Transitlandes leicht zu solch einer Beurteilung. Die Skandinavier, die Italiener oder die Portugiesen sehen das ganz anders. Das Thema ist ein Politikum und ich möchte mich nicht exponieren.

Hat sich das Image der Transportunternehmen über die Jahre verändert?
Kolossal. In meiner aktiven Zeit bei Dachser hatte die Transportbranche ein sehr schlechtes Image. Das hat sich inzwischen stark verändert. Heute weiss man, wie wichtig die Transport- und Speditionslogistik für die Wirtschaft ist.

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Dieses Interview erschien in der Basler Zeitung vom 22. Juli 2013