Alles begann auf einem Tisch. Wie immer bei Cartier. Auf dem Tisch lagen die Edelsteine für die neue Kollektion. Alle Edelsteine. Auch die ganz verrückten, besonderen, einzigartigen und speziell wertvollen Pièces d’exception lagen auf dem Tisch. Ein «sehr grosser Tisch», wie Pierre Rainero lächelnd präzisiert.

Pierre Rainero ist Strategy and Heritage Director der Marke. Was auf Französisch übrigens weit besser klingt. Directeur de l’Image, du Style et du Patrimoine steht auf seiner Visitenkarte.

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Mit anderen Worten: Pierre Rainero ist so etwas wie der Gralshüter des Stils von Cartier. Er ist bei jeder Kollektion massgebend beteiligt, und zwar von der ersten Sekunde an. Jetzt aber sitzt er entspannt auf einem Loungesessel im Hof des Convento do Beato, eines ehemaligen Klosters aus dem 15. Jahrhundert in Lissabon. Hinter dicken Mauern gleich daneben, wo einst Mönche dinierten, sind 600 edelste Cartier-Exponate ausgestellt. Darunter auch 100 Preziosen der neuen Kollektion Odyssée de Cartier – Parcours d’un Style.

Lissabon wurde mit Bedacht als Ausstellungsort gewählt. Die Stadt ist eine Art Fenster Europas zur Welt. Hier brachen Vasco da Gama und Magellan einst zu ihren Entdeckungsreisen auf. Und um Entdeckergeist geht es bei der neuen Kollektion von Cartier.

Hauseigenes Vocabulaire

Das wusste man am Anfang aber noch nicht. Am Anfang lagen nur die Steine auf dem Tisch. Alle Steine. Sie sind die Basis. Sie sollen die Designer und Künstler inspirieren. Sie bestimmen das Thema.

Zwei Jahre nach der ersten Sitzung am grossen Tisch ist aus den Steinen feinster Schmuck geworden, Haute Joaillerie. Und das Thema ist gesetzt: Odyssée de Cartier – Parcours d’un Style.Was damit gemeint sei, fragen wir Pierre Rainero. «Die Idee dahinter war», antwortet er, «unser Erbe zu reflektieren. Daran zu arbeiten. Und nochmals einen Schritt weiterzugehen.»

Was einfach klingt, ist nicht trivial. Denn eine neue Joaillerie von Cartier muss zwingend als Joaillerie von Cartier erkennbar sein. Gleichzeitig sollen die exquisiten Stücke aber auf jeden Fall anders aussehen als jeder bisherige Schmuck von Cartier. Es sei ein bisschen wie bei einer Sprache, sagt Pierre Rainero. Die entwickle sich auch weiter. Nehme neue Wörter auf. Aber sie bleibe grundsätzlich immer die gleiche Sprache.

Deshalb gibt es bei Cartier keine Codes und keine harten Regeln. Das wäre zu starr, würde die Designer einschränken und wenig Bewegung zulassen. «Wir haben so etwas wie ein Wörterbuch des Hauses, ein Vocabulaire», sagt Rainero, «das ist wandelbar, entwickelt sich, wächst.»

So viel zur Theorie. Konkret heisst das: Man könnte zum Beispiel das Cabochon, also die typische Cartier-Krone einer Uhr, als zwingendes Stilelement für alle Cartier-Preziosen vorschreiben. Man tut es aber nicht. Mitunter kommt allerdings ein Cabochon in der Cartier-Joaillerie vor, auch bei der aktuellen Haute-Joaillerie-Kollektion. Manchmal kommen Cartier-typische Farben vor, etwa eine Komposition mit Blau, Weiss und Schwarz. Aber es dürfen auch Farben sein, die Cartier bisher noch nie verwendet hat. Es gebe zwar durchaus einen Cartier-typischen Sinn für Proportionen. Aber diese sind nicht festgeschrieben.

Wichtig sind die Designer. Sie dürfen ihren Entwürfen wohl eine individuelle Note verleihen. Aber sie müssen sich gestalterisch zwingend dem gemeinsamen Wohl unterwerfen. «Sie verwirklichen sich nicht selber», sagt Pierre Rainero, «sie gestalten ein gemeinsames Projekt.»

Viel Spielraum für Kreative

Am grossen Tisch mit den edlen Steinen dürfen sich die Cartier-Designer nach dem Anciennitätsprinzip im Turnus bedienen. Dann wird das Thema bestimmt. Zwar gibt es Vorgaben, etwa wie viele Colliers, Reife oder Ringe man fertigen will, auch Preisvorstellungen liegen vor, «aber», so sagt Pierre Rainero, «Regeln sind immer auch da, um umgestossen zu werden».

In einer ersten Etappe werden 30 bis 40 Entwürfe gezeichnet. Ein Teil davon überzeugt auf Anhieb, andere Zeichnungen werden überarbeitet, einige schlicht verworfen. Am Schluss hängen hundert definitive Entwürfe an einer Wand und werden ein letztes Mal besprochen.

Die neue Kollektion Odyssée de Cartier – Parcours d’un Style hat so etwas wie zwei Subthemen. Zum einen: Afrika. Das ist bemerkenswert, denn bisher waren die Franzosen vor allem stark mit dem Orient, mit China und Russland verbunden. So gesehen ist Afrika für Cartier Neuland. Zum anderen: die Stadt. Das beinhaltet Tempo, Lifestyle, Natur, Kultur, Architektur und Lebensraum.

Den Designern, die das Thema mit Pierre Rainero ausgeheckt haben, gibt das viel Spielraum. Man findet also vom Bracelet mit klarem Zebramotiv bis zum von Art-déco-Architektur inspirierten Collier allerlei Interpretationen.

Allen ist gemeinsam: Sie sind neu. Und doch sind sie ganz klar als Cartier-Preziosen zu erkennen.