Das grosse Spiel ist für Blumenau eine willkommene Gelegenheit, die deutschen Wurzeln zu feiern. Den WM-Halbfinal zwischen Brasilien und Deutschland begehen die Bewohner und Bewohnerinnen der Stadt wie es sich gehört mit einer Sonderausgabe ihres Oktoberfests. «Die Einwohner von Blumenau sind der Kultur ihrer Vorfahren sehr verbunden», erklärt Ricardo Stodieck, der Tourismusbeauftragte der Stadt, auf der Website.

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Er fährt fort: «Doch wie alle guten Brasilianer unterstützen wir bei der WM unser Land Brasilien.» Das Mini-Oktoberfest sei dabei eine gute Möglichkeit Vergangenheit und Gegenwart unter einen Hut zu bringen. Neben Bier und Snacks tischt der Deutsche Kulturverein traditionelle Würste und Streichwürste nach Blumenau-Art auf. Und für musikalische Unterhaltung sorgen unter anderem die «Freunde Musikanten».

Deutsche Tradition in Brasilien

Ob nun Deutschland oder Brasilien oder sonst eine Mannschaft Weltmeister wird, im Herbst steigt in Blumenau bereits zum 31. Mal das grosse Oktoberfest. Mit mehr als 500'000 Besuchern das zweitgrösste Bierfest der Welt und Stolz der ganzen Region. Überhaupt versucht sich Blumenau mit dem Rückgriff auf Deutschland von anderen Orten in Brasilien abzuheben. Die 1850 gegründete Stadt pflegt die deutschen Traditionen aber erst seit einigen Jahrzehnten wieder stärker – und kann damit viele Touristen anlocken.

Die Stadt hat 35 Jäger- und Schützenvereine und ist ebenso stolz auf ihre Ordnung und Sauberkeit, wie auf ihre Riegelhäuser. Diese stammen indes fast alle aus neuester Zeit. Das Wahrzeichen der Stadt ist das 1978 eröffnete Haus Moellmann, ein übergrosser Nachbau des 1484 erbauten Rathauses von Michelstadt in Hessen.

Viele deutschstämmige Brasilianer

Blumenau ist in Brasilien kein Einzelfall. Rund zehn Prozent der Bevölkerung haben hier deutsche Vorfahren. Lange bevor etliche Nazischergen nach Brasilien flüchteten, war das Land ein wichtiges Auswanderungsziel für deutsche Wirtschaftsflüchtlinge. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert entstanden dabei mehrere deutsche Kolonien in Brasilien, von denen aber nur wenige bis heute ihre deutsche Eigenart bewahren konnten. Speziell ist deshalb – neben der relativen Grösse der Kolonie – in Blumenau insbesondere der starke Rückgriff der Bewohner auf die deutschen Traditionen.

Während die Kolonien bis Mitte des 20. Jahrhundert sehr mit ihren Herkunftsländern verbunden blieben, gingen unter Diktator Getúlio Vargas (1930 bis 1945) viele nationale Eigenarten verloren. Der Populist Vargas betrieb eine Kampagne der Nationalisierung, bei der unter anderem auch die deutsche Sprache verboten wurde.

Schweizer Kolonie Nova Friburgo

Neben vielen Deutschen kamen übrigens im 19. Jahrhundert auch zahlreiche Schweizer nach Brasilien. Grösste ehemalige Schweizer Kolonie war dabei Nova Friburgo im Bundesstaat Rio de Janeiro. Die Stadt wurde ab 1818 zur neuen Heimat für 261 Familien aus Freiburg und war die erste nicht-portugiesischsprache Kolonie auf brasilianischen Boden. Heute hat Nova Friburgo rund 180'000 Einwohner und ist damit gut viermal so gross wie die Mutterstadt im Üechtland.

Auch die Stadt Joinville im Süden Brasiliens wurde von Schweizern gegründet. Mitte des 19. Jahrhunderts wanderten helvetische Bürger wegen Hunger aus. «Einwohner hat die Colonie nun gegen 600, wovon etwa die Hälfte bis zwei Drittel Schweizer, einige Norweger, und der Rest (etwa 160) Deutsche aus verschiedenen Staaten sind. Aus der Schweiz hat der Kanton Schaffhausen das grösste Kontingent geliefert», schrieb eine zeitgenössische Publikation 1853 über das heutige Joinville.