Maschinenlärm dringt durch die graue Stahltür. Paolo Boffi öffnet sie mit einem verzückten Lächeln im runden Gesicht, als läge dahinter das Paradies. Augenblicklich wird das Dröhnen ohrenbetäubend. Sägen. Fräsen. Stanzen. Hören Sie das? Er strahlt: «Unsere Produktionsgeräusche klingen für mich wie für andere eine Sinfonie von Beethoven.» Seit über 50 Jahren ertönt diese Musik für ihn. Ein produktiver Maschinensound, der am Ende Küchen und Bäder hervorbringt. Kompositionen, die den italienischen Namen Boffi international zum Synonym für innovatives Küchen- und Bäderdesign gemacht haben.

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Boffi-Küchen sind nicht erst seit diesem Jahrtausend die Rolls-Royce unter den Küchen. Vom Design her fast nicht zu toppen und stets kopiert, sind die eleganten, funktionalen und eher kühlen Modelle seit den fünfziger Jahren ein Begriff. Etwas für Wohnästheten und Leute, für die eine Küche mehr sein muss als der Ort, an dem man kocht. Boffi-Küchen sind mit ihrer skulpturalen Dimension Prestigeobjekte für Betuchte und tauchen in der Öffentlichkeit dort auf, wo spektakulär inszeniert wird. So war etwa in der Schweizer TV-Soap «Lüthi und Blanc» jahrelang eine schwarze Boffi-Küche zu sehen, aber auch viele Fernsehkochstudios sind mit den Eyecatchern ausgestattet. Acht Verkaufsstellen und einen Showroom hat Boffi in der Schweiz. 50 000 bis 85 000 Franken geben die Besitzer im Schnitt für so ein Prunkstück aus.

Paolo Boffi, der 1986 die restlichen Familienanteile aufkaufte und die Firma alleine weiterführte, ist das, was Kommunikationschefin Bice Marceca als «Herz des Unternehmens» bezeichnet. Ein freundlicher, älterer Herr mit einer Statur, die glauben lässt, dass er gerne kocht. «Brain» hingegen ist CEO Roberto Gavazzi. Eher zart gebaut, quirlig, mit einem Schuss Ungeduld in den Augen, ist der Ex-Olivetti-Manager, der sich 1989 in die Firma eingekauft hat, kühler Rechner und Stratege. Seit er das operative Ruder ergriffen hat, ist Boffi auch finanziell eine Erfolgsgeschichte. «Ich war», sagt Gavazzi, «im richtigen Moment der richtige Mann am richtigen Platz.»

Setzte die Firma 1995 noch 21 Millionen Euro um, so waren es 2005 bereits 52,7 Millionen mit einem Gewinn vor Steuern und Abschreibung (Ebitda) von 5,4 Millionen. Darauf ist Gavazzi stolz. «Nach meiner Ankunft haben wir einen Relaunch gemacht», sagt er, «wir drehten das Gesicht der Firma komplett um.» Und dies nach einem genauen Plan. Zunächst wurde in Italien investiert, und als das Geschäft dort lief, begann Boffi das Ausland zu erobern.

Inzwischen ist die Firma in knapp 50 Ländern weltweit vertreten, von Australien bis in die USA. Mitte der neunziger Jahre wurden die Boffi-Bäder entwickelt, und seit Ende der Neunziger gibt es Boffi-Monoshops – 50 sind es heute weltweit.

Das alles hat viel Geld gekostet, Geld, das auch Gavazzi eingeschossen hat. «Investition» ist denn auch eines seiner Lieblingswörter. Und «Wachstum». Dass die Firma, als Gavazzi das Ruder übernahm, zu klein war, um wirklich Erfolg haben zu können, war eine seiner ersten Erkenntnisse. «Um profitabel arbeiten zu können, muss ein Küchenbauer gross genug sein», sagt er. Unter seiner Ägide haben sich Qualität und Effizienz verbessert. «Wir müssen in eine neue Linie derart viel investieren, dass wir uns genau überlegen, was wir machen und was nicht.» Nun, da der Kurs auf Erfolg steht, will er keine neuen Segmente auftun, sondern nur im ureigenen Kernbereich, also bei Küchen und Bädern, wachsen.

Paolo Boffi hat sich 2001 aus dem Operativen ins Präsidium zurückgezogen. Die technischen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte waren ihm zu komplex geworden, vor allem der computergesteuerte Bereich ist nicht seine Welt. Doch noch immer ist sein Input bei den Küchenbauern gefragt: dann, wenn es um technische Perfektion von baulichen Problemen geht. Im Showroom zeigt er auf eine Schranktür mit in der Front versenkten, aus dem Holz herausgesägten Griffen. Dafür wurde früher extra ein Teil in die Tür eingearbeitet – heute ist sie aus einem Stück. «Das ist», sagt Boffi, «eine Neuerung von mir.»

Dritter im Bunde beim Küchen- und Bäderbauer ist der Designer und Architekt Piero Lissoni. Der 50-jährige gebürtige Sarde kreiert seit 1986 Küchen und seit 1994 auch Bäder für Boffi. Als Gavazzi hinzustiess, war Lissoni schon da. Die zwei stellten rasch fest, dass sie es gut miteinander konnten. Heute verbindet sie eine intensive Freundschaft – die nach aussen publik zu machen sie nicht müde werden. Auch wenn dahinter Kalkül stecken dürfte, denn der eine scheint den anderen für den Erfolg zu brauchen.

Boffi war Mitte der achtziger Jahre eine der ersten Firmen, für die der junge Lissoni im Auftrag entwarf. Inzwischen ist er zu einem Designstar avanciert, zu dessen Kunden auch andere italienische Interieurhersteller wie Cassina, Moroso, Porro, Living Divani, Kartell oder Flos gehören. Er entwirft neben Möbeln wie Sofas oder Betten auch Showrooms oder ganze Erscheinungsbilder von Firmen. Bei Boffi ist im Laufe von über 20 Jahren seine persönliche designerische Handschrift zur prägenden des ganzen Unternehmens geworden.

So wurden etwa eben erst die neuen Präsentationsräume am Hauptproduktionsort Lentate sul Seveso in der Nähe von Como fertig gestellt: 1800 Quadratmeter Showroom, alles konzipiert von Lissoni. Er ist nicht nur Designer, sondern zugleich auch Art Director der Firma. Zu seinen Aufgaben gehört neben den eigenen Entwürfen von Küchen und Bädern auch das Coachen anderer Designer, die für Boffi arbeiten. Auf diese Weise ist er für das Erscheinungsbild und die gestalterische Linie des Unternehmens zum unersetzbaren Erfolgsgaranten geworden.

«Küchen», sagt der Designer, von dessen Reissbrett 6 der 10 Küchenmodelle von Boffi stammen, «sind faszinierend. Man muss kalte Technik und Funktionalität mit Wohnlichkeit verbinden.»

Die Affinität zu innovativen Designern hat bei Boffi Tradition. Wenn Paolo Boffi von der Vergangenheit der einstigen Familienfirma spricht, ist die Suche nach der optimalen Technik in Verbindung mit Design sogleich ein Thema. Vater Piero Boffi, der aus dem Flugzeugbau gekommen ist, gründet 1948 den kleinen Familienbetrieb mit seinen Söhnen Dino, Pier Ugo und Paolo. Zunächst stellen sie Möbel her. Während sich Paolo und Pier Ugo von Anfang an für die technischen Innovationen der Fabrikation interessieren, ist es der Architekturstudent Dino, der schon früh eine Affinität zu spannendem Design entwickelt.

In der von Le Corbusier und dem Bauhaus geprägten europäischen Nachkriegsatmosphäre schaut Dino über den Ozean. In Amerika gibt es zu dieser Zeit bereits Frank Lloyd Wright, der – in Europa bislang unvorstellbar – eine erste zum Wohnraum hin offene Küche baut. Dino ist begeistert und überzeugt seine zweifelnden Brüder davon, «dass wir uns dort von anderen Produzenten abheben können, wo wir Technologie, Innovation und innovatives Design zu einem Ganzen verbinden», erinnert sich Paolo Boffi.

Die fünfziger Jahre sollten sich für die Firmenphilosophie als prägend erweisen. 1954 bringt die Firma die erste farbige Küche aus Polyester auf den Markt. «Die Leute waren geschockt», sagt Paolo. Und zugleich fasziniert. Und sie kauften die Neuerung, die einen Schritt in die Zukunft verhiess, der Aufbruch bedeutete. In der Folge sind es grosse Namen, welche die Firmengeschichte prägen: 1961/62 präsentiert Luigi Massoni die ersten modularen Einbauschränke und die erste variable Modulküche, das Modell E15. 1963 entwirft Joe Colombo die inzwischen legendäre Minikitchen, einen Monobloc auf Rädern mit einem Volumen von nur einem halben Kubikmeter, der alle Küchenfunktionen wie Rüsten, Kochen und Abwaschen auf engstem Raum bieten konnte. Die designbegeisterte Welt schaute nach Lentate. Als Hommage an diese frühen Erfolge lässt Boffi übrigens an der Mailänder Möbelmesse im April 2006 die Minikitchen noch einmal auflegen.

Von den frühen Siebzigern bis Mitte der achtziger Jahre ist es Massoni, der das Haus designerisch prägt, dann für ganz kurze Zeit Antonio Citterio, der von Piero Lissoni abgelöst wird. Und danach folgt schon der grosse technische Umbruch: Das computergesteuerte Zeitalter zieht bei Boffi ein. Und die Ära der reinen Familiengeschichte geht zu Ende. Bereits 1972 ist Dino Boffi gestorben, der kreative Kopf und Visionär des Unternehmens. Er hinterliess seine Brüder, die eigentlich Techniker sind.

Dank der von Dino gestreuten Saat entwickelt sich Boffi auch durch die Mitarbeit der bekannten Designer weiter. Sogar Bäder werden Anfang der achtziger Jahre gebaut – eine Idee Paolo Boffis, der aus Abfällen, die bei der Küchenproduktion übrig bleiben, Badezimmerschränkchen fabriziert. Erst als das Bad immer mehr in den Fokus der Designer rückt, kreiert Lissoni dann Mitte der neunziger die Badezimmerausstattung Lavabi. Eine kühne, raumgreifende Komposition, die ebenfalls wieder ein Publikum anspricht, das sich den Luxus von Raum leisten kann. Die mächtige, aus Stein gegossene Badewanne, die frei im Raum steht, wiegt allein 800 Kilogramm.

In den vergangenen zwei Jahren sind die Verkäufe der mittlerweile ausgebauten Badezimmerkollektionen sprunghaft gestiegen und machen heute ein Viertel des Gesamtumsatzes aus. «Die Bäder», meint CEO Gavazzi, der die Finanzen stets im Blick hat, «sind derzeit der Bereich, in dem wir am meisten wachsen.»

Akquiriert wurde in all den Jahren bei Boffi nicht. Bis 2001 der deutsche Norbert Wangen anfing, Küchenmonoblocs aus Edelstahl anzufertigen, monumentale Designerobjekte, die weltweit an den Möbelmessen für Aufsehen sorgten. 2003 kaufte Boffi die kleine Firma und integrierte die Linie in seine eigenen. Für Norbert Wangen ein Lucky Punch. «Ich war inzwischen so gross geworden, dass ich zu viel hätte investieren müssen, um im grossen Rahmen weiterwachsen zu können.» Und auch Gavazzi ist zufrieden: «Die Norbert-Wangen-Küchen ergänzen unsere Systeme perfekt, sie sind wunderschön.»

Glaubt man dem umtriebigen CEO, ist Boffi eine strahlende Zukunft beschieden. Die Wachstumskurven zeigen steil nach oben, das Unternehmen schwimmt voll auf der Lifestyle-Welle. Auch der einstige Makel, nämlich bei allem schönen Design eine manchmal zu nachlässige Qualität, scheint ausgemerzt zu sein. «Wer in diesem Segment mitspielen will», so Gavazzi, «der darf sich keine qualitativen Fehler erlauben.» Paolo Boffi jedoch, der nach wie vor täglich sein Büro in dem Unternehmen besucht, das sein Vater vor 60 Jahren gegründet hat, macht eine späte Liebeserklärung. «Heute», sagt er mit einem vergnügten Blitzen in den Augen hinter den dicken Brillengläsern, «ist Boffi bei allen – Designern und Kunden – so begehrt wie eine schöne Frau.»