Ich kenne Maximilian seit jener Zeit, als er noch Assistent der Geschäftsleitung war. Er war schon damals perfekt. Seine Powerpoint-Präsentationen waren grafische Meisterwerke, sein Englisch hatte diesen geschmeidigen Ostküsten-Akzent, er kam bei Terminen nie eine Sekunde zu spät, und wenn er mal eine Grillparty organisierte, waren die Rib-Eye-Steaks auf Sterne-Niveau gebraten.

Heute ist Maximilian stellvertretender CEO eines mittelgrossen Unternehmens. Er ist damit am höchsten Punkt seiner Karriere angelangt. Firmenchef wird er nie. Dazu ist er zu perfekt.

Wenn sich die Biologie mit Hierarchien beschäftigt, kommt sie oft zu diesem Resultat. Wer es draussen in der Natur an die Spitze eines Rudels schafft, bringt häufig bemerkenswerte Mängel mit. Perfektion ist ein Hindernis auf dem Weg nach ganz oben.

Ein eingängiges Beispiel ist der Leithammel. Einem Leithammel folgt die Schafherde in nahezu blinder Geschlossenheit. Er ist eine breit akzeptierte Führerfigur und trägt deshalb eine Glocke um den Hals. Allerdings kommen als Leithammel ausschliesslich Tiere in Frage, die kastriert sind. Perfekt ist das nicht.

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Der faulste Löwe ist der Chef

Noch ausgeprägter ist es bei den Löwen. Der Chef ist meist jener Löwe, der von allen Mitgliedern des Rudels am faulsten ist. Der Boss schläft bis zu achtzehn Stunden am Tag, an der Nahrungssuche und der Kindererziehung ist er vollkommen desinteressiert, das überlässt er den Weibchen. Agilere Löwen, die sich an der Jagd beteiligen und sich um den Nachwuchs kümmern, schaffen es nicht an die Spitze. Ihnen fehlt die dazu nötige Souveränität.

Es gibt Alphatiere, und es gibt Betatiere. Bei den Bonobos, einer Schimpansenart, sind die CEOs der Gruppe häufig die grössten Intriganten. Sie loben scheinheilig mal hier, tätscheln mal dort und kraulen mal da, wenn es notwendig erscheint. Dadurch verhindern sie, dass sich die anderen Affen zusammenschliessen. Der Oberaffe, das gilt im Rudel wie im Unternehmen, kann nur dann entmachtet werden, wenn ein Netzwerk gegen ihn mobilmacht.

Ex-Chefs waren weit von Perfektion entfernt

Ich bin nach der Lektüre der tierischen Verhaltensforschung einmal die Galerie meiner früheren Chefs durchgegangen. Es stimmt, jeder war weit von Perfektion entfernt. Ich hatte etwa einen CEO, der sich für einen tollen Rhetoriker hielt und darum seine Reden selber schrieb. Seine Ansprachen waren dann von einer Peinlichkeit, dass man sich bei Betriebsanlässen nicht mehr in die Augen blicken konnte.

Bei einem anderen waren wir nie ganz sicher, ob er den Unterschied zwischen einem Deckungsbeitrag und einem dynamischen Verschuldungsgrad verstanden hatte. Ein Dritter wiederum war der Typus des klassischen Opportunisten, bei dem immer jener recht hatte, der zuletzt in seinem Büro gesessen war.

Langsame Resignation nach vielen Jahren

Damit wären wir zurück bei Maximilian. Wir waren kürzlich bei einem Apéro, und er erzählte mir, dass er nach den vielen Jahren in der Wartestellung langsam zu resignieren beginne. Er werde es vermutlich nie zum CEO bringen.

Ich fragte ihn, wie sich diese Resignation zeige. Manchmal, sagte er, sei er an einer Sitzung nicht mehr so hundertprozentig vorbereitet wie früher, manchmal nehme er einen Termin nicht wahr, der ihm unnötig vorkomme, und manchmal lese er Zeitung im Büro.

Nicht schlecht, dachte ich, wenn du so weitermachst, dann bringst du es doch noch nach ganz oben.