Der Schweizer David Marcus ist der Vater des neuen Kryptowährung «Libra» von Facebook. Damit verantwortet er eines der wichtigsten Projekte des Techgiganten aus dem Silicon Valley. 2015 sprach er mit BILANZ über seine Arbeit unter Mark Zuckerberg, Facebooks Angriff auf die Bürowelt und Schweizer Startups im Silicon Valley:

BILANZ: David Marcus, Sie sind als CEO des Milliardenunternehmens Paypal zurückgetreten, um sich bei Facebook als Vizepräsident um den Nachrichtenservice Messenger zu kümmern. Das ist ein ungewöhnlicher Schritt.
David Marcus: Das ist ungewöhnlich, wenn man als Konzernmanager denkt. Aber ich war mein ganzes Leben lang Unternehmer. Für mich ist es wichtig, Produkte zu entwickeln, die wirklich etwas bewegen und die hunderte von Millionen Menschen benutzen.

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Paypal hat 230 Millionen Benutzer.
Das stimmt, aber die Feedback-Schleife war nicht so kurz, wie ich sie gerne hätte. 15'000 Leute jeden Tag zu managen ist nicht wirklich lustig. CEO einer grossen Firma zu sein wird massiv überschätzt.

Inwiefern?
Weil die tägliche Arbeit nicht unbedingt Spass macht. Ums Produkt kümmert man sich vielleicht zehn Prozent seiner Zeit, um seine Mitarbeiter 90 Prozent. Viele CEOs sind ziemlich unglücklich. Sie sprechen nur nicht drüber. Und sie bleiben trotzdem CEO, weil der soziale Druck so gross ist.

Vermissen Sie die Annehmlichkeiten eines CEO, die Assistenten, den Firmenjet?
Was wichtig im Leben ist: Dass man morgens mit einem Lächeln zur Arbeit geht. Zumindest meistens. Das geht nur, wenn man etwas Sinnvolles tut und viel bewegen kann. So fühle ich mich momentan jeden Tag. Und das ist eine Menge entgangener Annehmlichkeiten wert.

Statt 15'000 leiten Sie jetzt 100 Mitarbeiter.
Das ist grossartig! Wenn man seine eigene Firma aufbaut auf 15'000 Mitarbeiter und man die Kultur selber entwickeln kann, ist es etwas anderes, als wenn man eine fremde Firma übernimmt, die sich über zehn Jahre entwickelt hat. Dort die Kultur zu verändern ist ein sehr schwieriges und manchmal sehr schmerzhaftes Unterfangen. Was ich jetzt mache, fühlt sich fast an wie ein Start-up innerhalb Facebook – aber mit einer unglaublichen Distribution! Messenger hat mehr als 500 Millionen Benutzer, irgendwann sind es hoffentlich eine Milliarde. Da habe ich riesige Wirkung! Mark Zuckerberg hat selber gesagt, Messaging sei wichtiger als alle sozialen Medien.

Das hat er vermutlich nur gesagt, um Sie in seine Firma zu locken.
(lacht) Ich glaube nicht, dass er mich so dringend wollte. Im Ernst: Mark hat mich zum richtigen Moment angerufen mit der richtigen Vision. Deswegen habe ich allen Mut zusammengenommen und bin gewechselt. Manche Chancen gibt es nur einmal im Leben. Das ist so eine. Und momentan habe ich mehr Spass als jemals in den letzten zehn Jahren.

Genfer Star im Silicon Valley

David Marcus (41) war Chef des Nachrichtenservices Messenger bei Facebook. Jetzt verantwortet er die Kryptowährung «Libra», die 2020 ausgerollt wird. Der Genfer gründete mit 23 in der Schweiz sein erstes Start-up; für das dritte zog er 2008 ins Silicon Valley. 2011 verkaufte er es für 240 Millionen Dollar an den Bezahldienst PayPal. 2012 wurde er dort CEO. Nachdem er den 6,6-Milliarden- Konzern umgebaut und die Firmenkultur verjüngt hatte, wechselte er im Sommer 2014 zu Facebook.

Wie gestaltet sich Ihre Zusammenarbeit mit Mark Zuckerberg?
Wir arbeiten sehr eng zusammen und sehen uns mehrmals pro Woche. Es ist eine grossartige Erfahrung. Es gibt Ikonen, von denen man immer weniger beeindruckt ist, je mehr Zeit man mit ihnen verbringt. Mark ist einer der wenigen, bei denen mir das auch nach sechs Monaten noch nicht passiert ist. Er hat unglaubliche Fähigkeiten. Und einen grossartigen Sinn für Humor, was man von aussen wohl weniger merkt.

Was genau ist ihre Mission?
Wie können eine Milliarde Menschen noch besser kommunizieren? Wie kann man Emotionen besser vermitteln? Wie kann man es so gut machen wie von Angesicht zu Angesicht? Und eines Tages vielleicht: Wie kann man die Kommunikation mit Unternehmen verbessern? Heute ruft niemand gerne ein Unternehmen an – je grösser die Firma, desto schmerzhafter ist es. Man wartet in der Telefonschlange, drückt eins, drückt drei, tastet sich vor, drückt fünf, irgendwann redet man mal mit jemanden. Können wir das verbessern? Möglicherweise.

Trotz 500 Millionen Benutzer, trotz täglich zwölf Milliarden ausgetauschter Nachrichten verdienen Sie mit dem Messenger kein Geld.
Das stimmt.

Wie wollen Sie das ändern?
Das ist kurzfristig nicht unsere oberste Priorität. Wir wollen den Dienst verbessern und eine Milliarde Benutzer haben. Eines Tages finden wir eine Möglichkeit, das zu monetarisieren.

Werbung werden die Benutzer nicht akzeptieren.
Das stimmt.

Dann müssen Sie das Angebot kostenpflichtig machen.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Manche Plattformen verdienen Geld mit Premium-Inhalten wie Stickers, andere, indem sie E-Commerce ermöglichen. Das entscheiden wir dann, wenn es soweit ist.

Mit Ihrer Vergangenheit als Paypal-Chef: Sind Zahlungen via Messenger eine Option?
Wir haben das getestet, wie so vieles andere auch. Für uns macht es keinen Sinn, ein Bezahlsystem aufzubauen. Aber es macht Sinn, die Friktionen zu reduzieren zwischen einer Produktanzeige auf Facebook und dem Kauf dieses Produktes. Wir testen die Funktion  «Buy it on Facebook». Wenn Sie ein Produkt in ihrem News Feed sehen, können Sie es dort direkt kaufen. Davon werden Sie mehr sehen.

Warum haben Sie den Messenger aus Facebook entfernt und in eine eigene App gepackt? Das hat viel Kritik hervorgerufen.
Wenn man die beste Nachrichten-Plattform der Welt bauen will, kann sie unmöglich ein Feature eines anderen Produktes sein. Als eigenständige App bietet sie auch viel mehr Fähigkeiten: Man kann jetzt Sprachmemos und Videos schicken, telefonieren - das ist wie Tag und Nacht. Es zeigt sich: Wer die App heruntergeladen hat, benutzt sie auch viel intensiver. Es war im Rückblick die richtige Entscheidung, auch wenn sie etwas schmerzhaft war.

Facebook hat für den gewaltigen Preis von 19 Milliarden Dollar WhatsApp gekauft. Warum, wenn Sie doch schon eine eigene Nachrichtenplattform besitzen?
WhatsApp ist ein fantastischer Dienst, der rasend schnell wächst. Inzwischen benutzen ihn über 700 Millionen Menschen. Messenger und WhatsApp schliessen sich nicht aus: In manchen Märkten ist WhatsApp sehr stark, in anderen Facebook Messenger. Das ist eine gute Kombination.

Schwarz oder weiss, Herr Marcus?

iPhone oder Android? Beide. Ich wechsle alle paar Wochen, um auf beiden Plattformen auf dem Laufenden zubleiben.

San Francisco oder Genf? Kalifornien. Aber ich vermisse die Schweiz.

Fondue oder Raclette? Beides. Ich habe einen Freiburger Freund, der in Kalifornien lebt und der oft Fondue- und Raclettekäse mitbringt, sodass wir beide überleben können.

Bitcoin oder Kreditkarte? Für Zahlungen: PayPal und Kreditkarte.

Taxi oder Uber? Uber.

Chardonnay aus dem Napa Valley oder Chasselas vom Genfersee? Ich trinke nur Rotwein, hauptsächlich aus dem Bordelais und dem Napa Valley, ausser gelegentlich Walliser Fendant.

Larry Page oder Elon Musk? Mark Zuckerberg!

Gibt es Synergien?
Das WhatsApp-Team ist nicht bei uns auf dem Campus, die behalten ihre Unabhängigkeit. Aber wir kooperieren auf verschiedenen Gebieten. Wir teilen etwa Erfahrungen mit Programm-Codes und Ähnliches.

Bei den Teenagern gilt Facebook als out, weil dort inzwischen auch die Eltern sind. War das der Grund für den Kauf?
Das ist ein Mythos. Meine Tochter ist auf Facebook, alle ihre Freunde sind dort aktiv – auch wenn sie natürlich noch andere Plattformen benutzen.

Gerade haben Sie «Facebook at Work» vorgestellt, ein soziales Netzwerk fürs Büro. Damit sind sie nicht der Erste. Wieso meinen Sie, etablierte Anbieter wie Microsofts Yammer oder Jive schlagen zu können?
Wir benutzen intern selber viele Facebook-Dienste. Und wir dachten, unser Kollaborationswerkzeug könnte auch für andere nützlich sein. Mit ein paar Firmen probieren wir das jetzt aus.

Ihr Problem ist: Viele Firmen blockieren den Zugang zu Facebook.
Das mag früher der Fall gewesen sein, heute sind es immer weniger. Und «Facebook at Work» bietet ja nicht Zugang auf das ganze soziale Netzwerk, sondern nur zu den Arbeitskollegen.

Die Firmen werden Sicherheitsbedenken haben. Dass Facebook die Benutzerdaten für zielgerichtete Werbung auswertet, ist vielen ein Dorn im Auge.
Firmendaten sind etwas ganz anderes, das trennen wir. Und wir geben keine Daten für Online-Werbung nach draussen. Die Privatsphäre unserer Benutzer und die Sicherheit ihrer Daten liegt uns sehr am Herzen. Beides verteidigen wir vehement.

Warum hat Facebook für zwei Milliarden Oculus gekauft, einen Hersteller von Virtual Reality-Brillen? Das hat mit Ihrem Geschäft nichts zu tun.
Wenn Sie das Produkt ausprobieren, wissen Sie die Antwort. Man muss es erlebt haben. Ich will es nicht overhypen, aber das ist für mich das beste Stück Technik, dass mir seit dem iPhone begegnet ist. Wir glauben, dass das eines Tages eine wichtige Computing-Plattform werden kann. Viele sehen Facebook noch immer als den Social-Network-Monolithen. Aber wir wollen auf verschiedenen Gebieten Neuigkeiten entwickeln.

Also kopieren Sie die Google-Strategie: Firmen kaufen aus Technologiebereichen, die eines Tages wichtig werden könnten, auch wenn das mit dem Kerngeschäft nichts zu tun hat?
Das kann man so sehen. Als Technologiefirma muss man manchmal grosse Wetten eingehen, und man muss hervorragende Leute gewinnen. Auf diese Weise können wir beides.

Was ist «The next big thing» im Silicon Valley?
Wenn ich das wüsste, wäre ich ein grossartiger Investor!

Sie investieren ja in Start-ups. Irgendetwas werden Sie sich dabei ja überlegen.
Das stimmt. Wir sind in einer spannenden Zeit. Vor zwei Wochen habe ich im Silicon Valley eine Firma entdeckt, die Krebs zu einem sehr frühen Zeitpunkt mithilfe eines simplen Bluttestes diagnostizieren kann. Und die auch noch die Therapie identifiziert, die am meisten Erfolg verspricht. Ich glaube, im Medizinbereich wird es in den nächsten Jahren grosse Fortschritte geben. Viele Firmen im Silicon Valley sind auf diesem Gebiet aktiv, auch wenn man das Valley nicht in erster Linie damit verbindet.

Wenn man sich die absurd hohen Bewertungen von Start-ups wie Uber, Dropbox oder AirBnb anschaut: Sind wir in einer neuen Blase?
Das glaube ich nicht. Das sind alles phänomenale Firmen mit unglaublichem Wachstum. Und jede für sich löst ein wichtiges Problem. Bei der Internetblase der New Economy waren viele Firmen sehr hoch bewertet, ohne dass sie ein echtes Geschäft vorweisen konnten. Diese Firmen jetzt machen gute Geschäfte, und sie haben das Potential für riesige Geschäfte. Sie stellen wichtige Industrien auf den Kopf. Natürlich gibt es auch jetzt Start-ups, deren Bewertungen jenseits von Gut und Böse sind – es gibt immer solche Ausreisser. Aber die Firmen, welche Sie genannt haben, gehören nicht dazu. 

Sie haben zwei Start-ups in Genf gegründet, mit dem dritten sind Sie ins Silicon Valley gezogen. Was war der fundamentale Unterschied?
Als Technologiefirma mit Konsumentenfokus ist es kaum möglich, die notwendige Grösse auf dem kleinen Schweizer Heimmarkt zu erreichen. Also muss man international expandieren. Deshalb bin ich gereist wie verrückt, sicher zwei bis drei Tage pro Woche. Aber wenn man an englische, französische und deutsche Kunden verkauft, hat man eine neue Sprache, eine neue Kultur, eine neue Gesetzgebung, auf die man Rücksicht nehmen muss. Bei meinem dritten Start-up hingegen war der Hauptkunde Facebook; wir hatten unser Büro gleich neben seinem Hauptsitz. Das hat die Sache sehr erleichtert.

Kann ein Schweizer Startup Erfolg haben, ohne im Silicon Valley präsent zu sein?
Manchen ist das gelungen. Aber es ist schwieriger. Das Interessante: Wenn man lange Unternehmer in Europa war, dann hat man in den USA viel grössere Erfolgschancen. Weil es hier soviel schwieriger ist als in den USA. Im Silicon Valley ist ja das ganze Ökosystem so angelegt, dass man Erfolg hat.

Was halten Sie von der Schweizer Start-up-Szene?
Sie würde es verdienen, viel besser zu sein.

Was kann die Schweiz dafür tun?
Ein leichterer Zugang zu Kapital ist das eine. Aber das Entscheidende ist die Einstellung. Wir haben unglaubliche Ingenieurstalente an den Hochschulen. Aber ich sähe dort gerne mehr Unternehmer, die nach dem Studium tatsächlich Firmen gründen, statt zu einer Bank zu gehen. Das passiert bisher viel zu selten. Es ist in der Schweiz zu einfach, ein angenehmes Leben zu führen. Deshalb ist der Appetit auf unternehmerisches Risiko so gering. 

Investieren Sie in Schweizer Start-ups?
Bislang nicht.

Warum nicht?
Erstens bin ich zu weit weg, als dass ich mich persönlich einbringen könnte. Zweitens ist mir noch nichts Überzeugendes begegnet. Und drittens sind die Möglichkeiten für einen erfolgreichen Exit beschränkt. Es gibt keine grossen Technologiefirmen in der Schweiz, die Start-ups zu angemessenen Preisen kaufen können. Die können auch kaum entstehen, wenn es bereits an den Start-ups mangelt. Es ist ein Huhn-Ei-Problem.

Dieses Interview erschien im Februar 2015 in der BILANZ.