In Garagen und Schuppen in ganz Europa und Amerika werden wohl gerade jetzt Motorräder gehätschelt, abgestimmt und auf Hochglanz gebracht – von einer ziemlich ungewöhnlichen Gruppe von Männern und Frauen, die sich auf eine fünf Tage dauernde Veranstaltung vorbereiten. Tage, auf die sie in ein paar Jahren zweifellos als eine der denkwürdigsten Erfahrungen ihres ganzen Lebens zurückblicken werden.

Während sie mit einem Lappen den Lack polieren und mit dem Schraubenschlüssel dieses oder jenes vorsichtig nachziehen, werden sich diese wahren Liebhaber die warme Sonne und die engen, sich schlängelnden Strassen im südlichen Italien vorstellen, den Duft der Zypressen, die prickelnde adriatische Brise und sich selbst, wie sie auf ihren ältlichen Maschinen sitzen und durch die Landschaft brausen, knattern und dröhnen – oder im Leerlauf schleichen, weil mal wieder ein Defekt zu beklagen ist.

Die Veranstaltung, das ist der Motogiro d’Italia. Schon der Name verspricht Abenteuer, Tempo, Leiden und Begeisterung. Denn der Motogiro ist die Wiedergeburt eines der berühmtesten Strassenrennen der Welt, das 1914 als Giro Motociclistico d’Italia zum ersten Mal ausgetragen wurde. Damals sollte er der wachsenden Zahl italienischer Motorradhersteller als Schaufenster für ihre neuesten Produkte dienen – und deren Leistungskraft und Verlässlichkeit. Dummerweise stoppte der Erste Weltkrieg das 2400-Kilometer-Rennen bereits nach dem ersten Durchgang. Es wurde Mitte der Zwanzigerjahre wieder aufgenommen, aber nach dem Tod von zwei der berühmtesten italienischen Rennfahrer gleich wieder abgebrochen. Erst 1953 durfte der Giro wieder starten, diesmal aber aus Sicherheitsgründen nur mit Maschinen mit einem Hubraum von maximal 175 Kubikzentimetern. Diese Beschränkung vermochte indessen die Begeisterung der Hersteller nicht zu dämpfen, darunter Ducati, Benelli, Bianchi und Motobi, die aus den kleinen Motoren genug Kraft herauspressten, um damit Spitzengeschwindigkeiten von gegen 150 Stundenkilometern zu erzielen.

Auf dem Höhepunkt der Fünfzigerjahre war der Giro Italiens populärste Motorsportveranstaltung. Zehntausende von Zuschauern säumten die staubigen Strassen und jubelten, wenn ihre tollkühnen, furchtlosen Helden in der Lederkluft vorbeirasten, auf ihrem Weg zum glorreichen Sieg oder, viel wahrscheinlicher, zum schmerzhaften Sturz. So wie früher die Burschen im Londoner East End die Boxarena als Fluchtweg aus ihren beengten Verhältnissen in ein Leben von Ruhm und Reichtum betrachteten, war für die jungen Italiener der Nachkriegszeit der Giro der Zugang zur Anerkennung. Sie hofften darauf, einer der traditionellen Motorradhersteller würde ihr Talent entdecken und sie als Werksfahrer auf die Rennstrecken der Welt schicken.

Diese Jungen waren es gewohnt, auf ihren kleinen Maschinen rücksichtslos und schnell zu fahren: Sie benutzen sie tagtäglich, um zu ihren schlecht bezahlten Jobs in den Fabriken zu fahren. Die befanden sich vornehmlich in der Umgebung von Bologna, der Hauptstadt der Maschinenindustrie Italiens, von der aus auch die kurvenreichen Strassen über den Apennin für ein inoffizielles Renntraining schnell erreichbar waren.

Den ersten Giro im Jahre 1953 gewann Leopoldo Tartarini auf einer 125er-Benelli. Der Erfolg verhalf ihm zur Karriere in der italienischen Motorradindustrie. Heute, mit 70, ist er Präsident des Rollerherstellers Italjet. Er erinnert sich an das Rennen, als ob es gestern gewesen wäre: «Im Norden des Landes waren Motorradrennen kein Problem, denn die Polizei hielt die Strassen frei. Im Süden aber war es verrückt – da gab es Traktoren, Autos und Tiere hinter jeder Kurve. Wenn ein Fahrer auch nur für einen Augenblick unkonzentriert war, erreichte er das Ziel nie», erzählt er. «1954 starben fünf Fahrer während des Rennens, und 1955 hatte ich selber einen Unfall, bei dem ich mir das Rückgrat brach. Der Giro und die Motorräder waren aber in meinem Blut, und 1958, als das Rennfahrerdasein für mich zu Ende war, machte ich auf einer 175er-Ducati eine Reise rund um die Welt, für die ich 13 Monate brauchte.»

Ironischerweise waren es nicht die Toten und Verletzten im Giro, die sein Ende bewirkten. Es wurde vielmehr von Alfonso de Portago ausgelöst, der 1957 im Autorennen Mille Miglia die Kontrolle über seinen Ferrari verlor und in die Zuschauermenge raste. Zehn Menschen starben, ebenso der Herzog selbst und sein Kopilot. Und das brachte die Regierung dazu, alle Arten von motorisierten Rennen von öffentlichen Strassen zu verbannen.

Es brauchte 44 Jahre, um dieses Verbot aufzuheben. Und den Einsatz des Motorradunternehmens Ducati und seiner Event-Organisation Dream Engine, die im letzten Jahr die Erlaubnis erhielt, den Giro nochmals durchzuführen. Diesmal unter der Bezeichnung «Motogiro d’Italia» und mit der Auflage, die Bewertung dürfe sich nicht auf das Tempo beziehen, sondern auf die Regularität der Fahrzeuge und der Fahrweise. Was die Offiziellen übersehen hatten, war natürlich die Tatsache, dass die Rennverrückten nicht aussterben und dass viele der Teilnehmer im vergangenen Jahr alte Kämpen waren, die schon in den Fünfzigern im Einsatz standen. Einige nahmen sogar mit ihren alten Maschinen teil. «Rennen? Natürlich haben wir kein Rennen gemacht, sondern, sagen wir mal, ein kleines Würfelspiel», sagt Giuliano Maoggi, ein lebenslustiger 75-Jähriger, der mich auf seiner 1954er Laverda überholte, um sich auf einer kurvenreichen Passstrasse ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit seinem alten Rivalen Remo Venturi zu liefern, der im Jahre 1957 den letzten Giro gewonnen hatte und seither zweimal Weltmeister der Strassenrennfahrer geworden war.

Luigi Beretta mag zwar 73 Jahre alt sein. Das hält ihn aber nicht davon ab, auf seiner kleinen 98-Kubik-Cucciolo über 300 Kilometer pro Tag abzubrettern – und sich damit den Respekt vieler jüngerer Fahrer zu verdienen, darunter auch meinen Respekt. Nur wenn man selber am Motogiro teilnimmt, kann man die Anforderungen wirklich ermessen. Nach der 210-Kilometer-Etappe des dritten Tages von Rimini nach San Sepolcro und zurück auf einer gemieteten 125er-Ducati aus dem Jahre 1956 war ich erstaunt, wie gut die älteren Semester das Tempo mithalten konnten.

Spitzengeschwindigkeiten von knapp 100 Stundenkilometern scheinen auf eine gemütliche Landpartie hinzudeuten; aber Tartarini hatte ganz Recht, als er auf die nötige ununterbrochene Konzentrationsfähigkeit hinwies. Mit dünnwandigen Pneus und den gelegentlich unberechenbaren Bremsen werden die kurvenreichen, mit Kieselsteinen übersäten Strassen trügerisch, und die vorbeiziehende wunderschöne Landschaft lenkt einen leicht ab. Je länger man fährt, umso mehr wachsen Fahrer und Maschine zusammen. Meine gemietete Ducati machte mir sehr schnell klar, dass sie aufwärts etwas langsamer fahren wollte, als ich mir das gewünscht hätte, und abwärts lief wie ein wild gewordenes Pferd.

Die Rennregeln blieben ein Mysterium, das nur von fliessend italienisch sprechenden Fahrern verstanden werden konnte. Diese waren mit unscheinbar aussehenden, aber offenkundig lebenswichtigen Zeitmessgeräten ausgestattet, die an der Lenkstange angebracht waren, um sicherzustellen, dass man die Kontrollstellen exakt zur richtigen Stunde, Minute und Sekunde passierte. Allgemein verständlich war immerhin die Begeisterung, mit der die Teilnehmer mitfuhren und dabei getreulich den Tausenden von roten Pfeilen folgten, mit denen die Strassen in Bologna und Terni vollgepflastert waren – und alle Strassen dazwischen.

Natürlich verirrten sich einige und fanden das erst heraus, als ihnen ein schlauerer Konkurrent entgegenkam, der mit vollem Tempo in die entgegengesetzte Richtung blochte. Natürlich gab es Pannen, einige grosse, die meisten aber waren am Strassenrand mit herkömmlichen Werkzeugen und einem Stück Kabel zu reparieren. Und natürlich gab es Unfälle: Mario Stecchis geliebte Morini wird nie mehr dieselbe sein, und der energische Phil Hitchcock hatte nun wirklich nicht damit rechnen können, dass er den weiten Weg von Australien herreisen würde, nur um kopfüber in Zementstaub einzutauchen, als er mit einem Sack kollidierte, den ein achtloser Lastwagenfahrer in einer unübersichtlichen Kurve verloren hatte.

Vicky Smith, die in Florida eine Honda-Vertretung betreibt, gab den Part der Heroine der Veranstaltung – sie ist die erste Frau, die jemals daran teilgenommen hat. Sie legte die ganze Strecke von 1400 Kilometern auf einer 125er-Motobi zurück, die sie von Silvano Puliti gemietet hatte, dem umtriebigen Italiener, von dem auch ich meine Ducati mietete. Der hatte freilich die unbedeutende Tatsache übersehen, dass die Bremsen der Motobi nicht funktionierten. «Das ist mir egal, nach all der Zeit im Sattel dieser Maschine habe ich sie richtig lieb gewonnen», waren die letzten Worte, die ich von Vicky hörte – bevor sie hinging, um das Motorrad zu kaufen und den Transport nach Florida zu organisieren.

Das Wichtigste, was man über den Motogiro sagen kann, ist ganz einfach, dass er nur in Italien stattfinden kann. Wo sonst als in Italien könnten es sich derart zufällig zusammengewürfelte Leute – vom New-Yorker Anwalt bis zum Verleger aus Oxfordshire, der in Hongkong lebt – erlauben, einander auf ziemlich hinfälligen Maschinen über Küstenstrassen und durch die Berge zu jagen, und das mit dem Segen der Polizei? Wo sonst als in Italien könnte eine Schar antiker Motorräder um halb zehn Uhr auf einem Dorfplatz eintreffen und von der Stadtmusik und den Bewohnern in mittelalterlichen Kostümen mit üppiger Verpflegung begrüsst werden? Und was ist mit dem Pizzateam, das uns getreulich von Etappenort zu Etappenort folgte und uns in den ruhigeren Momenten damit unterhielt, dass es Kleider für die zurückgelassenen Partnerinnen entwarf – aus Pizzateig natürlich?

Dieses Jahr verspricht der Anlass wieder ebenso exzentrisch zu werden, auch wenn er jetzt einer anderen Route folgt. Diesmal geht es durch Zentral- und Süditalien, durch die Regionen Marken, Umbrien, Latium und Emilia-Romagna und durch Städte wie Pescara, Todi, Terni und Cattolica. Das dürfte eine unschlagbare Art alternativer Ferien werden. Neben der Vintage-Klasse ist die Klasse der Tourenmaschinen zugelassen, die der Konkurrenz in angenehmem Tempo auf alten und neuen Maschinen folgt. Das bietet die Möglichkeit, einen Beifahrer mitzunehmen und die Rennatmosphäre aufzusaugen, ohne sie allzu ernst zu nehmen.

* Simon de Burton ist Mitarbeiter der «Financial Times», in deren Wochenendbeilage auch der oben stehende Artikel publiziert wurde.
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