Das diesjährige World Economic Forum (WEF) stand im Zeichen einer vierten industriellen Revolution. Die Digitalisierung werde die Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttern, mahnte WEF-Gründer Klaus Schwab. Besonders die Finanz- und Dienstleistungsbranche sei betroffen. Auch in der Schweiz ist die Digitalisierung in vollem Gange. Beim ersten Digital Insight-Talk von Business Sunrise und «Bilanz» sprach Marc Kowalsky, stv. Chefredaktor der «Bilanz», mit Führungskräften aus vier Branchen über die Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung.

Vielen Schweizer Betrieben dürfte die Digitalisierung das Leben schwer machen. Der Grund: «Die Schweiz steht in der Digitalisierung ein bis zwei Jahre hinter Deutschland und Österreich», meinte Markus Naef, CCO bei Sunrise. Holger Spielberg, Leiter der Innovationsabteilung im Digitalen Private Bank bei der Credit Suisse pflichtete ihm bei: «Alle Branchen in der Schweiz wissen, es muss etwas passieren. Führungskräfte sind aber oft hilflos.» Die Denkhaltung in der Schweiz müsse sich grundlegend verändern.

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«Nur zwei Prozent vom Umsatz im Internet»

Wie weit diese Denkmuster in Bezug auf die Digitalisierung noch auseinander klaffen, zeigte sich gleich zu Beginn der Diskussion: Banken preschen in der Digitalisierung voran – die beiden Grossbanken Credit Suisse und UBS sind laut einer Studie von Accenture Vorreiter in dem Gebiet. Auch der Mobilbereich ist vorne dabei, sagte Naef von Sunrise. Viele Neuerungen würden von den Kunden angenommen: Sie bezahlen ihre Rechnungen online, Hilfe zu technischen Problem erhalten sie ebenfalls im Netz. Andere Bereiche wie etwa das Festnetz hinkten aber hinterher: «Dieses wurde vor Urzeiten gelauncht und ist nicht digital unterwegs.» Sind das Erbsünden? - «Teilweise ja», so Naef.

Im Vergleich dazu geht es anderswo nur schleppend voran. «Ich mache zwei Prozent des Umsatzes meines Unternehmens im Internet», sagte etwa André Lüthi, VR-Präsident des Reiseunternehmens Globetrotter. Hat Globetrotter einfach keine Lust auf digital? Nein, hinter seinem beschränkten digitalen Angebot stecke Strategie, so Lüthi: «Es gibt ein Restsegment von Kunden, die persönlich beraten werden wollen. Das ist unsere Nische.» Dieses Segment wachse sogar. «Wir verdienen nicht an den Produkten, sondern an unserem Wissen, unserem Expertentum.»

Lüthi fühlt sich auch von aufstrebenden Online-Portalen nicht unter Druck gesetzt: «Tripadvisor & Co. können unser persönliches Wissen und unsere Beratungsfähigkeit nicht ersetzen.» Das Internet verzerre, sagte der Travel-Experte. «Wenn ein Hotel 200 Bewertungen vom Nachbarshotel erhält, ist das nicht aussagekräftig.» Trotzdem sieht er in der Digitalisierung eine Chance für Globetrotter: «Wir nutzen die Homepage, um Menschen in unsere Filialen zu holen.»

»Gesundheitsbranche veraltet, ineffizient und null digitalisiert»

In der Gesundheitsbranche gibt es ebenfalls noch viel Luft nach oben, so die Einschätzung von Peter Ohnemus. Die Prognose des Gründers und Chefs der Health-Tracking App Dacadoo:  «In wenigen Jahren werden alle heutigen analogen Krankenkassen pleitegehen». Die Branche sei veraltet, ineffizient und null digitalisiert.

Da will er ansetzen und die Branche mit seiner App in das digitale Zeitalter hinein führen. Auf Interesse ist er bereits beim Versicherer CSS/Sanagate gestossen: Die Krankenkasse stellt die App ihren Kunden zur Verfügung. Motiviert werden Nutzer über ein Punkt-System. Man sammelt Punkte in einem sogenannten «Health Score» und erhält damit Rabatte, etwa in Form von Cumulus-Punkten. Angedacht sind laut Ohnemus Prämienreduktionen bei Krankenkassen. Auch andere Unternehmen geben den Health Tracker Dacadoo bereits an ihre Mitarbeiter heraus: etwa Roche, Die Post, Migros und Takeda Europa.

Jobkiller Digitalisierung?  

Wie sieht es mit den Mitarbeitern aus? Ist die Digitalisierung der Jobkiller? Brechen - wie am Wef prognostiziert - sieben Millionen Jobs durch die digitale Revolution weg? Mittelfristig ja, meint Sunrise-CCO Naef. Vor allem im mittleren Management würden viele Jobs wegfallen, während im oberen eher Stellen entstehen würden.

Dennoch bleibe die menschliche Komponente trotz Digitalisierung relevant, meint Digital-Experte Spielberg von der CS. «Digitalisierung macht das Business menschlicher». Anstatt alle Berater rauszuschmeissen und durch Robo-Advisors zu ersetzen, wolle die Credit Suisse etwa Kundenberater mit digitalen Möglichkeiten unterstützen. So könne diese ihre Kunden besser verstehen und deren Produkte personalisieren.  

Kulturwandel und neue Kollaborationen

Was muss die Schweiz tun, um bei der Digitalisierung am Ball zu bleiben? Es brauche in Unternehmen vor allem einen Kulturwandel – auch um die Mitarbeiter vorzubereiten. Da waren sich alle Teilnehmer einig. «Man muss eine Kultur entwickeln, in der man etwas wagt», sagte Naef. Anders als in den USA, in der mehr ausprobiert würde, sei man in der Schweiz sehr sicherheitsgetrieben.

CS-Fachmann Spielberg sagt ausserdem neue Kollaborationen voraus: Zwischen Startups (etwa Fintech-Companies), die Ideen bringen und globalen Unternehmen, die die Power haben, diese umsetzen. Das sei eine Chance für die Banken. Denn derzeit liefen viele kleinere Zahlservices, etwa Paypal oder sogar Starbucks, den grossen Anbietern den Rang ab.

Redaktorin Caroline Freigang
Caroline Freigangschreibt seit 2019 für den Beobachter – am liebsten über Nachhaltigkeit, Greenwashing und Konsumthemen.Mehr erfahren