Der Chef stinkt. Einmal im Jahr, Anfang Sommer, steht er im Rauch und heizt den kleinen Würstchen so richtig ein. Es ist Betriebsfest, der Chef brutzelt Würste und überreicht mit heiterer Gelassenheit jedem Mitarbeiter eine.

In vielen kleineren und grösseren Betrieben in der Schweiz gilt beim Betriebsgrillfest oftmals die ungeschriebene Regel, dass ausschliesslich die Topmanager am Grill stehen dürfen. Der Volkskundler Andreas Wittel von der Nottingham Trent University hat sich des Themas schon vor Jahren angenommen und in einer Arbeit über Unternehmenskultur eine Analyse vorgelegt.

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Aus seiner wissenschaftlichen Perspektive bilden Unternehmensführung und Belegschaft eine Stammesgemeinschaft. Doch was das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken, die Hierarchien durchbrechen, gar eine Umkehrung der Arbeitsbeziehung darstellen soll (der Manager als stinkender Diener der Mitarbeiter), führt sich selbst ad absurdum. Denn beim Grillbetriebsfest stehen natürlich das Grillen und damit die Topmanager im Zentrum – wie immer im hierarchischen Betriebsalltag. Das Kader behält also die Macht, es teilt das Fleisch den Mitarbeitern zu. Und noch deutlicher: Das Grillen von Fleisch erinnert an erfolgreiche Jäger, welche die Beute dem Stamm zurückbringen, um sie mit allen zu teilen. Hier sind also nur die Topmanager die Erfolgreichen. Die anderen Angestellten sind entweder Versager – oder sie haben noch nicht genug Erfahrung, um an der Jagd teilzunehmen und am Feuer zu stehen. Die Kaderleute am Grill bestätigen also die Hierarchie, statt sie zu durchbrechen.

Kulturelle Fantasie. Also, ab an den Grill, es ist karrierefördernd! Und sowieso stellt Grillen eine einfach umzusetzende Methode dar, um Menschen zusammenzubringen und Beziehungen zu knüpfen. «Einen köstlichen Fünfgänger auf den Tisch zaubern, das können nur wenige, Grillen, das schaffen alle», sagt Helene Karmasin, Motivforscherin aus Wien und Autorin des Buchs «Die geheime Botschaft unserer Speisen». Die Schlichtheit des Grillens zeigt sich auch darin, dass dazu meist Bier und nicht Wein getrunken wird. «Grillen ist eine kulturelle Fantasie. Das offene Feuer – dahinter steckt die Sehnsucht, die Utopie vom einfachen Leben», so Karmasin weiter. Deshalb dürfen die Gäste beim Grillen vieles tun, was sie sich bei einem Fünfgänger am Tisch nie erlauben würden, wie etwa mit den Händen essen.

Kein Wunder, findet das Grillen in der Schweiz immer breiteren Zuspruch. Die verschiedenen Anbieter haben dieses Frühjahr – trotz Regenzeit – bis zu doppelt so viele Grills verkauft wie im Vorjahreszeitraum. Der Detailhändler Coop beispielsweise meldet ein Plus von 70 Prozent (Holzkohlegrills) bzw. sogar 100 Prozent (Gasgrills). «Die Gasgrills werden immer beliebter, weil es einfacher ist, mit Gas als mit Holzkohle zu arbeiten», sagt Beat Hochstrasser, Geschäftsführer bei Weber-Stephen, dem Schweizer Generalimporteur von Weber-Grills. Das gilt vor allem dann, wenn neben Wurst und Fleisch ganze Menus mit Gemüse und anderen Beilagen auf den Rost kommen. Deren Zubereitung mit einem Gasgrill ist weniger anspruchsvoll als mit Kohle. Zudem entfällt mit Gas die lange Aufwärmzeit, bis die beste Temperatur erreicht ist. Für Holzkohle spricht hingegen die warme, heimelige Atmosphäre, die glühende Kohle verbreitet.

Die Vorteile der Gasgrills scheinen jedoch zu überwiegen, denn der Schweizer greift für sie tiefer in die Tasche als für Holzkohlegrills. «Das Budget für Gasgrills liegt im Durchschnitt bei 500 bis 1000 Franken, bei Holzkohlegrills sind es nur 150 bis 250 Franken», sagt Hochstrasser. Auch die Preisspanne bei Gasgrills ist grösser, sie reicht von 200 bis über 5000 Franken. Dagegen liegen die Preise für die meisten Holzkohlegrills zwischen 50 und 1000 Franken.

Die bekanntesten Grillmarken in der Schweiz sind Koenig, Campingaz, Outdoorchef und Weber. Campingaz liegt im untersten Preissegment, Weber im obersten. Die Weber-Grills sind oft Einsteigermodelle fürs passionierte Grillen; so war das auch bei Markus Zimmermann, Veranstalter von Grillweltmeisterschaften. Erst später hat er zu den Smokern und damit zur sehr zeitintensiven Niedergar-Grillkunst gefunden. Smoker gehören zur Königsklasse der Grills und bieten Barbecue-Genuss auf höchstem Niveau, weil sie das Grillgut am besten zubereiten, hochwertige Materialien verwenden und das Design das gewisse Etwas hat.

«Diese edleren Modelle werden immer beliebter», sagt die Motivforscherin Karmasin. Das stehe zwar im Widerspruch zur Sehnsucht nach Einfachheit, die beim Grillen bedient wird. Aber man tue ja sowieso nur so als ob. «Zudem sind es eben meist Männer, die am Grill stehen. Sie kochen für das Publikum, und dem wollen sie etwas bieten», sagt Karmasin. Sie wollen zeigen, wie sehr sie ihre Versorgerrolle geniessen und welchen Aufwand sie dafür betreiben. So genügt nur der grösste Grill, der die unglaublichsten Zusatzfeatures aufweist, das Essen am schmackhaftesten zubereitet sowie einzigartig und kostbar ist.

High Grill. «Wenn Männer kochen oder grillen, dann brauchen sie eine Ausrüstung wie ein Handwerksbetrieb», sagt Karmasin. Zangeninstrumente für Kohle, Fleisch und Gemüse, Grillthermometer, Spiesse, Frischbräter, Silikonpinsel, Geflügelschere, digitale Fleischthermometer mit Temperatursonde, Metallwender, Hühnersitze, Diamantschärfer und natürlich die schärfsten Messer. Für die Sicherheit werden festes Schuhwerk sowie besonders hitzebeständige Handschuhe gekauft. Die Liste ist endlos. «Unsere Kunden geben für Grillzubehör meist noch mal so viel aus wie für den Grill selber», bemerkt Beat Hochstrasser.

«Selbstverständlich gehört auch das Connaisseurtum zum Grillen», sagt Karmasin. Man will etwas vom Grillen verstehen, etwas Gescheites dazu erzählen können, ausgefallene Rezepte kennen, die seltensten Grillgewürze und die beste Grillmethode. «Grillen bietet eine Fülle von Inszenierungen, darum ist es so beliebt», kommentiert Karmasin.

Derzeit geht der Trend – die Connaisseurs wissen es – hin zum gesunden Grillen. Das Fleisch ist bio, und oft werden Fisch und Gemüse gegrillt. Auch die asiatische Küche, die gemeinhin als gesund gilt, hat Einzug gehalten. «Es werden beispielsweise vermehrt Salate mit Koriander als Beilage zum Grillgut gereicht», so Karmasin. Gemäss Heilpflanzenlexikon hilft Koriander gegen Blähungen, ist leicht krampflösend und wirkt anregend auf die Magensaftsekretion.

Wer beim nächsten Betriebsgrillfest imponieren will, erwähnt den Koriander beiläufig, geniesst die Inszenierung und schmunzelt, wenn der Chef stinkt.