Der Fall ist klar. Für den Laien gibt es am stattlichen Rubin mit tiefrotem Glanz nichts zu mäkeln, doch Lore Kiefert ist perplex. «Im Inneren sieht es schrecklich aus», sagt sie beim Blick durchs Mikroskop, «das reinste Schlachtfeld!» Was die Expertin erkennt, ist ein nahezu wertloser Stein, von Rissen durchsetzt und eher grau als rot in der Farbe. Den perfekten Schein verdankt der Ramschrubin dem Geschick von sogenannten Treatern. Sie haben ihn in Bleiglas getaucht und geschliffen und so seine Fehler kaschiert. «Meistens wird diese Art von Manipulationen in Thailand gemacht», weiss Lore Kiefert.

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Als Chefgemmologin des Gübelin Gem Lab steht sie einem Team von zehn Spezialisten vor, die so ziemlich das gesammelte Wissen über Qualität, Herkunft und Möglichkeiten zum Betrug bei Edelsteinen und Perlen vereinen. Die hoch qualifizierten Fachleute kommen aus sieben Ländern. Kein Mensch würde vermuten, dass sich im Luzerner Maihof-Quartier in einem unscheinbaren Gebäude das wohl renommierteste Zentrum zur Begutachtung von Juwelen versteckt. Weltweit. «Unsere Expertisen sind die Bentleys der Branche oder vielleicht eher die Aston Martins», meint lächelnd Geschäftsführer Daniel Nyfeler. «Wir drücken eine professionelle Meinung aus, und der Handel scheint diese zu akzeptieren.»

Königliche Fälschungen

Tatsächlich sind die Berichte des Labors zu Identität, Authentizität und Herkunft der kostbaren Steine – ihr durchschnittlicher Wert liegt bei mehreren zehntausend Franken – von Käufern und Verkäufern gleichermassen gefragt. Denn sie bauen ausschliesslich auf Fakten. Das bietet Sicherheit – ein seltenes Gut in einem Geschäft, das von Mythen und Emotionen geprägt ist. Zur Unabhängigkeit des Gübelin Gem Lab trägt bei, dass es sich nicht zur Qualität, geschweige denn zum Preis der Preziosen äussert. Die Beschränkung auf objektive Kriterien schafft Vertrauen. Und so schicken denn alle ihre Steine nach Luzern oder lassen sie mit Hilfe eines mobilen Gübelin-Labors vor Ort begutachten: der Edelsteinhändler aus Hongkong und der Sammler aus dem Nahen Osten so gut wie die New Yorker Erbin oder der Genfer Schmuckhersteller.

Zu den regelmässigen Kunden zählen aber auch die Auktionshäuser. So wurde etwa «The Perfect Pink», der Star an der Hongkonger Herbstauktion 2010 von Christie’s, kürzlich von Gübelin begutachtet. Nun prangt im Auktionskatalog neben dem Bild des Diamantrings ein Faksimile des Untersuchungsberichts, der die Echtheit des Steines bescheinigt. Der Verkaufswert wurde auf 14 bis 19 Millionen US-Dollar geschätzt. An der Auktion brachte «Pink» dann 23,3 Millionen ein.

Negative Nachrichten werden von den Besitzern der Steine nicht an die grosse Glocke gehängt. Und Enttäuschungen gibt es zuhauf. So müssen etwa Mitglieder von Königshäusern regelmässig erleben, dass die Juwelen ihrer Dynastie nicht halten, was sie versprechen. Aus Geldnot, so erzählt Nyfeler, liessen gekrönte Häupter in der Vergangenheit die wertvollsten Steine aus ihren Geschmeiden herausbrechen und durch mindere Qualität oder gar Fälschungen ersetzen. «Sonia Cherchi, die Verantwortliche unseres Kundendienstes, braucht einen breiten Rücken, wenn sie solche Ergebnisse eröffnet», sagt Nyfeler, «sie muss sich am Telefon manchmal üble Beschimpfungen anhören.» Zum Beispiel wenn sie einem Kunden erklärt, sein Saphir stamme definitiv nicht aus Kaschmir, wie von anderen Labors behauptet, sondern aus Madagaskar. Der Grund für die Enttäuschung und die Wut: Bei den farbigen Edelsteinen ist die Herkunft alles. Nicht nur die Qualität bestimmt über ihren Wert, sondern vor allem der Fundort.

Doch zuerst zu den «Jungs von Chantaburi», wie Nyfeler seine Gegenspieler in der thailändischen Handelsmetropole nahe bei Bangkok nennt. «Die überlegen den ganzen Tag, wie sie minderwertige Steine verkäuflich machen können. Oft werden diese Verbesserungen nicht offengelegt, um Käufer und Labors an der Nase herumzuführen.» In Hinterhofateliers wird an Tricks herumgetüftelt, um Farbe und Glanz von Edelsteinen zu beeinflussen. Einige dieser Manipulationen sind in der Branche gang und gäbe und werden vom Handel toleriert. Der allerkleinste Teil der Saphire etwa kommt in jenem intensiven Blau aus dem Boden, in dem die Steine schliesslich an der Zürcher Bahnhofstrasse oder der Londoner Bond Street feilgeboten werden.

Zerstörerische «Wertsteigerung»

Manche Treater gehen aber zu weit: «Steine, die im Erdinnern bei einer Temperatur von 400 bis 700 Grad entstanden sind, werden im Ofen auf über 1500 Grad erhitzt, also nahe an ihrem Schmelzpunkt», erklärt Nyfeler, der Mineraloge mit Doktorhut. «Wir reden da von einem Totalumbau!» Ziel der Hitzebehandlung: Die Steine sollen eine begehrtere Farbe erhalten und an Wert gewinnen. Im Labor aber lässt sich diese Art von Manipulation zweifelsfrei feststellen, und die Wertsteigerung verkehrt sich in ihr Gegenteil.
Zurück also zu den Spezialisten des Gübelin Gem Lab. Mitten im Grossraumbüro stehen zwei blaue Tresore. Hier lagert ein einmaliger Schatz: Muster von über 20 000 farbigen Edelsteinen aus allen Herkunftsgebieten und den wichtigen Minen der Welt – darunter auch solchen, die ihren Betrieb längst eingestellt haben. Die Steine, zum Teil nur Bruchstücke, sind unspektakulär in Kartonschachteln und Kunststoffbeuteln verpackt. Doch sie stellen das eigentliche Herzstück des Labors dar: die Gübelin-Referenzsammlung.

Geduldspiele in Afghanistan

Ein derart vollständiger Überblick über Rubine, Berylle, Alexandrite und andere farbige Edelsteine existiert nirgendwo sonst. Die Steine sind mit einem Code versehen, der auf eine Datenbank verweist. Vom Abbauort bis zu den gemmologischen Eigenschaften sind hier alle relevanten Daten gespeichert, bis zu hundert Einträge pro Stein. Anhand dieser Vergleichsmöglichkeiten lassen sich zweifelsfreie Aussagen über Art und Herkunft machen. In den meisten Fällen jedenfalls. Das Abgleichen dieser Fülle von Informationen ist derart komplex, dass die Gübelin-Fachleute auf spezielle Software, sogenannte Expertensysteme, angewiesen sind.

Die Grundlagen zu den blauen Safes hat der Mann gelegt, der von einem Porträtfoto von der Wand herunterblickt: Dr. Eduard Gübelin, Pionier der modernen Gemmologie, Vater des Gem Lab und von seinen Nachfolgern liebevoll «ds Dökti» genannt. Gübelins Sammlung wird von den Mitarbeitern des Labors laufend erweitert. Sie statten bis zu hundert Minen im Jahr einen Besuch ab. «Zum Teil sind diese Minen nicht mehr als ein Loch im Boden, und gearbeitet wird mit den primitivsten Methoden», erzählt Nyfeler und zeigt Bilder von abenteuerlichen Reisen. In Afghanistan haben die Gübelin-Geologen erlebt, dass man mit einem Minenbesitzer zuerst eine Woche Tee trinken muss, bevor er einen zu seiner Abbaustätte mitnimmt, und in Afrika haben sie Bauern getroffen, die bloss für ein paar Monate zu Edelsteinschürfern wurden. Als der Abbau in den zufällig entdeckten Minen sich als unrentabel erwies, kehrten sie einfach auf ihre Felder zurück. «Man hat es bei den farbigen Edelsteinen mit kleinen, unabhängigen Schürfern zu tun», erzählt Nyfeler, «sie verdienen zwar nicht viel mit ihrer harten Arbeit, aber es gibt auch keine Grossfirmen im Hintergrund, die profitieren.»

Ganz im Gegensatz zum Diamanten-Business: «Diamanten stellen eine eigentliche Commodity dar», so Nyfeler, «die jährlich produzierten Mengen übersteigen diejenigen der Farbedelsteine um ein Vielfaches. Die Diamantenförderung ist eine hoch entwickelte Industrie, die gigantische Summen in Abbau und Vermarktung investiert.» Nur dank cleverem Marketing von Giganten der Branche sind die glitzernden Klunker zum Inbegriff von Luxus geworden. Zu deren Strategien zählt unter anderem die künstliche Verknappung des Angebots.

Stammbaum vor Schönheit

Kommt dazu, dass Diamanten für Gemmologen bei der Herkunftsbestimmung wenig hergeben: Sie bestehen zu 99,9 Prozent aus Kohlenstoff. Ihr Abbauort lässt sich deshalb auch mit den besten Analysemethoden nicht bestimmen, denn im Gegensatz zu den farbigen Steinen fehlt ihnen der lokalitätsspezifische chemische Fingerabdruck.

Um diesen Charakteristiken auf die Spur zu kommen, rüstet das Gübelin Gem Lab technisch immer weiter auf. Letzte Errungenschaft: ein 500 000 Franken teures Hightech-Gerät mit der Bezeichnung LA-ICP-MS. Es funktioniert, vereinfacht gesagt, so: Ein Laser trägt eine winzige Probe des zu untersuchenden Steins ab, aus dieser werden mittels extremer Hitze die einzelnen Atome isoliert, was eine präzise Analyse praktisch aller chemischen Elemente, aus denen der Stein zusammengesetzt ist, durch ein Massenspektrometer erlaubt. So gelingt den Mineralogie-Detektiven nicht nur der Herkunftsnachweis, sondern sie entlarven auch synthetisch hergestellte Steine.

«Unser Job wird immer schwieriger», sagt Chefgemmologin Lore Kiefert. Was weniger mit findigen Fälschern zu tun hat als mit der stetigen Zunahme von neuen Abbaugebieten. In den letzten 30 Jahren hat sich die Zahl der Minen für Farbedelsteine ungefähr verdreifacht. Umso aufwendiger und komplexer wird da die geografische Zuordnung. Die besten Saphire etwa stammten bis 1990 vor allem aus Kaschmir, Burma und Sri Lanka. Heute werden sie an zahlreichen Orten auf der Welt abgebaut, in ausgezeichneter Qualität unter anderem auch in Madagaskar. Doch Spitzenpreise erzielen nur Steine aus dem traditionellen Abbaugebiet im Himalaja. «Der Handel», so Kiefert, «hat eine sehr verzerrte Wahrnehmung.» Tolle Steine aus Afrika seien weit weniger wert, bei Steinen aus Kaschmir hingegen stiegen die Preise auch bei zweifelhafter Qualität ins Astronomische.

Das Einzige, was auf dem Markt zählt, ist die Herkunft eines Steins. Sie beeinflusst den Preis gewaltig. Weshalb ist das so, und warum kommt ausgerechnet bei Edelsteinen Stammbaum vor Schönheit? Da kann auch Gem-Lab-Chef Daniel Nyfeler nur Mutmassungen anstellen. In der Vergangenheit, so vermutet er, hätten echte Qualitätsmerkmale den Ruf eines Herkunftsgebiets begründet und eine eigentliche Marke geschaffen. Heute liessen sich dadurch höhere Preise durchsetzen – oft unabhängig von der Qualität. «Diesen Effekt verstehen wohl Frauen am besten. Sie könnten ja auch bei Vögele qualitativ gute Schuhe kaufen, doch für ein Paar Manolo Blahniks sind sie, ohne mit der Wimper zu zucken, bereit, ein Mehrfaches auszugeben.»