… BILANZ ist ein …?

… Wirtschaftsmagazin, Herr di Grassi.
Okay, cool. Kommt es monatlich?

Ja, es ist gerade 40 Jahre alt geworden.
Glückwunsch, das ist nicht mehr alltäglich in Ihrem Geschäft. Übrigens, wegen meiner Kleidung: Ich war in einem Fotoshooting (er trägt Chinos, dunkles T-Shirt und eine spezielle Lederjacke). So sehe ich sonst nicht aus.

Was tragen Sie privat? Eher Anzüge?
Auch. Heute Morgen zum Beispiel haben wir Formel-E-Fahrer den Papst getroffen (holt sein Handy hervor). Hier, ein Foto (di Grassi und seine Gattin im Gespräch mit Franziskus) mit meiner Frau, sie ist schwanger. Der Papst hat uns und unser Kind gesegnet! Ich hatte ihn nie zuvor getroffen, das war toll. Wir haben auch den Gottesdienst besucht.

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Lucas di Grassi und Bianca Diniz Caloi

Lucas di Grassi und seine schwangere Frau Bianca Diniz Caloi.

Quelle: David M. Benett / Getty Images

Sie sind Markenbotschafter für Boss, das ist DER Anzugbrand. Wie kam das?
Die waren immer Avantgarde, waren auch lange in der Formel 1. Ich erinnere mich an Boss-Schriftzüge am Helm von Ayrton Senna. Als sie in die Formel E gekommen sind, dachte ich: Ein schlauer, zukunftsgerichteter Schritt! Ausserdem kaufte ich schon früher die Anzüge auf Mass von ihnen, auch trendigere Sachen. Als sie mich dann gefragt haben, ob ich Ambassador werden wolle, hab ich sofort Ja gesagt.

Beim Rennen in Uruguay mussten Sie 10 000 Dollar Strafe wegen falscher Unterwäsche zahlen – lustig oder nervig?
Ich zahle 10 000 Dollar aus meiner Tasche, das ist wirklich nicht lustig. Wenn es manchmal, wie in Uruguay, im Formel-E-Auto zu heiss ist, ziehe ich nicht gern lange feuerfeste Unterhosen an. Bei einem Verbrenner würde ich das natürlich nie tun, da trage ich immer alles. Die Begründung für die Strafe ist korrekt – man muss die Regeln befolgen. Das eigentliche Problem ist: Die Unterwäsche muss feuerfest sein, aber E-Autos fangen kein Feuer! Im Moment sind die Vorschriften für alle Rennkategorien gleich, aber wir brauchen für die Formel E eigene Regeln – bei uns wäre Isolierung viel wichtiger als Feuerschutz.

Wie fährt sich ein Formel-E-Auto?
Es gibt keinen grossen Unterschied zum Verbrenner, um schnell zu fahren. Man muss in der Lage sein, die Kraft des Motors bestmöglich auf die Strasse zu bringen. Wie die Energie produziert wurde, ist dabei nicht wichtig. Daneben gibt es aber grosse Unterschiede: Man hat keine Gänge, nur einen, man hat keinen Sound. Im Rennen muss man Energie sparen, im Qualifying Vollgas fahren, es gibt also unterschiedliche Fahrtechniken. Zudem ändert sich das Auto im Rennverlauf stark, weil die Energie in der Batterie abnimmt, die Rückgewinnung beim Bremsen aber zunimmt.

Das Handling ist wie bei Verbrennern?
Ja. Das ändert sich nicht. Es hängt viel mehr von den Reifenformaten ab als vom Antriebsstrang.

Lucas di Grassi

E-Renner mit Pilot: Der Brasilianer Lucas di Grassi in seinem Formel-E-Auto vom Team Audi Sport ABT Schaeffler. Es leistet im Rennen umgerechnet rund 245 PS (im Qualifying mehr), beschleunigt in 3,5 Sekunden auf 100 km/h und rennt maximal etwa 225 km/h.

Quelle: Getty Images

Und die neuen Strecken der Formel E, wie Zürich?
Wir fahren nur Stadtkurse, niemand ist die neue Strecke jemals gefahren, und das erste Training ist am selben Tag wie das Rennen. Hier das Limit zu finden, ohne Fehler zu machen, ist extrem schwierig.

Auslaufzonen gibt es in den engen Stadtkursen nicht.
Verpasst man bei uns ein Mal den Bremspunkt, dann hängt man in der Mauer. Das alles macht die Formel E zu der wohl schwierigsten Rennserie, die ich je gefahren bin.

Kennen Sie die Strecke in Zürich?
Nein, noch nicht. Ich weiss nur, es ist in der Nähe der Bahnhofstrasse. Aber allein dass die Schweiz jetzt ein Rundstreckenrennen erlaubt, ist ein riesiges Symbol.

Wofür?
Dass die Schweiz sich offen zeigt für neue Technologie. Auch für Motorsport, wenn er jetzt mit dem Elektroantrieb das Vorzeichen für eine gute Entwicklung ist. Wir haben auch einen Schweizer Fahrer (Sébastien Buemi, die Red.), und die beiden Hauptsponsoren der Formel E sind Schweizer Firmen: Julius Bär und ABB. Das:°° passt also alles zusammen.

Sie kennen die Schweiz also schon?
Klar, da bin ich sehr oft. In Zürich, auch sonst in der Schweiz.

Treffen Sie hier Ihre Rennfahrerkollegen?
Ich habe einen sehr guten Freund, der in Schindellegi lebt und in Zürich arbeitet. Wir hatten früher auch ein Business zusammen. Er ist kein Rennfahrer, sondern Banker. Also, ich war sicher 30, 40 Mal in Zürich. Ich bin aber auch oft in Genf, dort habe ich auch Freunde.

Ein Formel-E Rennwagen mit Sebastien Bümi am Steuer auf der Zuercher Bahnhofsbrücke .

Ein Formel-E Rennwagen mit Sebastien Bümi am Steuer auf der Zuercher Bahnhofsbrücke .

Quelle: Keystone

Wohin wird sich die Formel E bewegen?
Nächste Saison haben wir ein neues Auto mit stärkerer Batterie, dann müssen wir nicht mehr zur Rennhälfte die Autos wechseln. Ich bin es schon gefahren, es fühlt sich gut an, hat mehr Power. Die Technologien entwickeln sich, so ist es ja immer. Was wir brauchen, ist eine noch leichtere Batterie. Wenn das Batteriegewicht sinkt, gibt es für uns praktisch keine Leistungsgrenze nach oben. Man könnte sogar an induktive Ladung über die Fahrbahn denken, so könnten wir ewig fahren! Wir bräuchten vielleicht gar keine Batterie mehr, nur eine Art Energieumwandler.

Ist Elektro die Zukunft des Rennsports?
Der Umstieg vom Verbrenner zum E-Motor ist eine Zeitenwende. Wir wechselten vom Pferd zur Kohle, zum Verbrenner und schliesslich zum E-Motor. Punkto Erzeugung mechanischer Energie kommt danach nichts mehr.

Glauben Sie? Wieso?
Ein E-Motor ist supereffizient. Er macht fast 97 Prozent der Energie nutzbar. Die effizientesten Verbrenner, Schiffsdiesel, schaffen vielleicht 50 Prozent. Deshalb ist der E-Motor eine disruptive Technik.

Wie schätzen Sie die fahrerische Qualität der Formel E ein?
In der Formel 1 …

… wo Sie ja auch gefahren sind …
… müssen viele Fahrer Sponsoren mitbringen, auch bei US-Serien wie Nascar oder IndyCar – solche «Bezahlfahrer» gibt es in der Formel E nicht. Hier werden wir bald elf Teams haben und acht Autobauer, das ist ein sehr hohes Level an Wettbewerb. In Grösse und Beliebtheit liegt die Formel 1 noch vor uns, man muss sich nur die Saläre der Fahrer anschauen. Doch auf lange Sicht werden wir mit unseren Kindern zurückschauen und sagen, Motorsport mit Verbrennungsmotoren war das Gleiche wie Tabakwerbung in Restaurants oder Rauchen im Flugzeug.

Lucas di Grassi

Lucas di Grassi im E-Renner.

Quelle: Getty Images

Sie sind CEO von Roborace, der Rennserie für autonome Autos. Wie kam das?
Ich half Alejandro Agag, die Formel E aufzubauen. Schon 2010, als ich in der Formel 1 war, fuhr ich privat einen Tesla Roadster, später einen Audi R8 E-Tron. Diese Autos brachten Fahrspass, machten Sinn, und die Batteriepreise fingen an zu sinken. Als Alejandro 2012 mit der Idee für eine E-Rennserie kam, dachte ich sofort: Das ist die Zukunft. Ich kannte Alejandro, wusste, was er kann. 2014 kam das erste Formel-E-Auto. In den beiden Jahren half ich ihm beim Aufbau. Mein erster Titel in der Formel E war «Special Advisor to the CEO».

Und Roborace?
Ich traf damals den Gründer von Roborace, Denis Swerdlow. Er fand, autonomes Fahren sei die Zukunft. Diese Idee gefiel mir, zumal autonomes Fahren den meisten Sinn mit Elektromotor macht. Bei Roborace fing ich 2015 als Advisor an, war aber nicht so tief involviert. Dann wollte Denis bei einer anderen Firma den CEO-Posten übernehmen und fragte mich, ob ich ihm nachfolgen wolle.

Sagten Sie sofort zu?
Zunächst lehnte ich ab – ich habe weder genug Kenntnisse noch Erfahrung. Doch er insistierte, und wir einigten uns, dass es mehr eine lernende und repräsentierende Rolle sein würde, während ich noch aktiv Rennsport betreibe. Und wenn ich damit in ein paar Jahren aufhöre, würde ich den Job voll übernehmen.

Was ist die Idee dieser Rennen?
Ich möchte Roborace in eine Richtung bringen, von der ich glaube, dass sie mehr Sinn macht, als dass einfach autonome Roboterautos gegeneinander antreten.

Nämlich?
Interaktion zwischen Mensch und Maschine. Es soll ein Fahrzeug sein, das ein Mensch fahren kann, wie der DevBot. Der Mensch fährt los, die Algorithmen lernen und sammeln Daten, wo man bremst und beschleunigt, wo die Mauern sind – der Fahrer lehrt also quasi das Auto, zu fahren. Beim Boxenstopp steigt der Mensch aus, dann fährt der Computer autonom auf Basis der Inputs des Menschen. Diese Kombination, glaube ich, macht mehr Sinn und ist auch unterhaltsamer.

Ist man als professioneller Rennfahrer ein One-Man-Business?
Nein. Man ist der Kern eines Geschäfts. Es braucht ein gutes Team, einen guten Anwalt, einen guten Buchhalter, man kann sich nicht um alles kümmern. Aber klar, man ist ein Business, eine Marke. Neben dem Sport muss man sein Image auf Social Media kontrollieren, Marketing und Konten. Man führt einen Zehn-Leute-Laden.

Also sehen Sie sich als Business?
Klar. Und es ist auch ein Geschäft mit Abschreibungen über die Zeit. Man muss schnell sein, weil man nicht ewig als Rennfahrer arbeiten kann. Man hat gewissermassen ein Ablaufdatum.

Sie sind 33. Wie lange fahren Sie noch?
Ich will meine Rennfahrerkarriere in der Formel E beenden. Hier möchte ich fahren, solange es geht und meine Leistungen gut sind. Also würde ich sagen: maximal bis 40. Maximal.

Dirk Ruschmann
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