BILANZ: Mathieu Jaton, am 4. Juli startet das 47. Montreux Jazz Festival, das erste in der Ära nach Claude Nobs. Welche Management-Qualitäten sind in den letzten Tagen vor der Eröffnung gefragt?

Mathieu Jaton: Die Vorbereitungsphase seit September 2012 findet nun ihren Abschluss. Jetzt ist Fine-Tuning gefragt. Das Festivalteam wächst von den 25 Festangestellten auf 2000 an; wir müssen sicherstellen, dass jeder an seinem Platz einen grossartigen Job leistet. Es bleibt die Sorge ums Wetter: 30 Prozent unserer Einnahmen machen wir mit der Verpflegung – und dieses Geschäft wird stark beeinträchtigt, wenn das Wetter nicht stimmt.

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Christian Jott Jenny, was steht bei Ihnen noch an bis zum Start der sechsten Ausgabe des Festival da Jazz in St. Moritz in zwei Wochen?

Christian Jott Jenny: Es sind die gleichen Themen wie bei Mathieu, die Druck und Energie freisetzen. Wenn auch in einer etwas anderen Dimension. Unser Team wächst fürs Festival von den drei Festangestellten auf 40 Mitarbeiter an.

Welche Skills braucht es für Ihren Job als Festivalchef?

Jaton: Ich denke in allererster Linie an die Musik und an die Zuhörer. Doch daneben gibt es in Montreux eine soziale und ökonomische Verantwortung. Der Ort lebt im Sommer stark vom Festival, das muss ich berücksichtigen.

Jenny: Auch ich denke zuerst an die Musik. Dann: Es muss ein guter Mix rein – schliesslich muss ich mir ja alle 50 Konzerte anhören ... Es freut mich sehr, dass wir neben den eingefleischten Musikfreaks auch einem neuen Publikum diese wunderbare Musik näherbringen können. Ausserdem möchte ich dazu beitragen, dass das Engadin wegkommt vom Ruf der reinen Winterdestination; St. Moritz hat weiss Gott mehr zu bieten als «Champagner-Klima» und Cüpli-Partys. In diesem Hochtal sind weltweit einmalige Dinge möglich. Wir müssen nur wieder vermehrt auf die Ursprünge zurückkommen, auf die Pionierzeiten von St. Moritz.

In Ihrem Business geben vielfach ältere Männer den Ton an. Wie werden Sie beide als Youngster unter vierzig akzepiert?

Jenny: Für mich spielt das keine Rolle.

Aber für die Künstler und Geschäftspartner?

Jenny: Als ich noch unter 30 war, war es vielleicht ab und zu anfangs ein Thema. Aber in diesem Geschäft holt man sich mehr Kredibilität mit Musikkenntnis und Leidenschaft als mit Jahresringen.

Jaton: Bei mir stellt sich die Frage nach dem Alter weniger. Ich folge auf Claude Nobs, eine Legende in dieser Szene. Das ist mit 55 Jahren gleich schwierig wie mit 38. Was ich ins Feld führen kann: Ich war fast 20 Jahre lang mit Claude Nobs unterwegs und teile seine Leidenschaft für die Musik.

Sie sind im gleichen Business, in der gleichen Altersklasse – und haben sich trotzdem noch nie getroffen. Warum sieht man sich erst hier in Marians Jazzroom in Bern zum ersten Mal?

Jaton: Ich gestehe, dass ich auch noch nie am Festival da Jazz in St. Moritz war. Vor allem deshalb, weil wir beide unser Festival zur fast gleichen Zeit produzieren.

Jenny: Ich gehe immer mal wieder nach Montreux. Dieses Jahr auch deswegen, weil ich mit Jazzpianist Dave Grusin, der dort auftritt, wandern gehen möchte.

Darf er das, Herr Jaton?

Natürlich, damit habe ich kein Problem.

Dieses Jahr treten mit Sängerin Randy Crawford, Pianist Joe Sample und Saxofonist David Sanborn drei Künstler sowohl in St. Moritz als auch in Montreux auf. Wer hat mehr bezahlt?

Jaton: Das besprechen wir dann nach dem Interview.

Spricht man sich ab bezüglich Engagement von Künstlern?

Jenny: Nein, das tun wir nicht. Das tun wenn schon eher die Künstler untereinander.

Wie sehr sind Sie Konkurrenten?

Jenny: Ich sehe das sehr entspannt. Natürlich: Manchmal frage ich Künstler an für St. Moritz, und dann sagen sie mir, dass sie zunächst noch warteten, ob eine Anfrage von Montreux komme. Grundsätzlich ticken wir unterschiedlich. Mathieu muss in Montreux die grossen Hallen füllen; in St. Moritz bieten wir Jazz im Dracula Club im intimen Rahmen von 150 Zuhörern. Back to the roots sozusagen. So muss Jazz sein.

Jaton: Die Distanz zwischen St. Moritz und Montreux ist gross genug, um nicht Angst haben zu müssen, Zuhörer vom einen an den anderen Ort zu verlieren.

Trotzdem wollen Sie, Herr Jaton, einige Stars in Montreux exklusiv für die Schweiz auftreten lassen.

Jaton: Das stimmt, bezieht sich aber eher auf Künstler aus dem Rock- und Pop-Bereich. Hier hilft uns eine gewisse Exklusivität, unsere Hallen zu füllen. Würde ein bekannter Pop- oder Rockstar in derselben Zeitperiode neben Montreux auch im Zürcher Hallenstadion oder am Festival Moon and Stars in Locarno auftreten, könnte das bei den Zuhörern ein Übersättigungsgefühl auslösen. Das möchten wir verhindern. Abgesehen davon sind wir im Wettbewerb in diesem Segment eher einer internationalen als einer nationalen Konkurrenz ausgesetzt. In Osteuropa beispielsweise wachsen einige Festivals und entwickeln eine unheimliche Finanzkraft; das ungarische Sziget Festival etwa ist zum Teil willig, dreimal höhere Gagen zu bezahlen als wir.

Jenny: Hohe Gagen bieten wir nicht. Wir leben von der Mundpropaganda unter den Künstlern: Der eine erzählt dem anderen weiter, wie toll sein Auftritt im Dracula Club war. Das bringt uns dann weitere gute Künstler. Je länger, je mehr kommen grosse Namen auf uns zu.

Wir fassen es kurz: In St. Moritz treten die Jazzer wegen der coolen Clubatmosphäre auf. Wenn es ums Geldverdienen geht, reisen sie eher nach Montreux.

Jaton: Das ist nicht ganz falsch.

Montreux sei mit seiner hohen Dichte an Rock und Pop gar kein Jazzfestival mehr: Haben Sie sich das schon tausend oder hunderttausend Mal anhören müssen?

Jaton. Eher tausend Mal. Jazz ist zwar unsere DNA – aber er füllt die grossen Hallen nicht mehr. Ein Auditorium Stravinski mit seinen 4000 Plätzen kann man heute nur noch voll bringen, wenn man die Affiche verdoppelt. Früher reichte es, einen grossen Namen für einen solchen Abend anzukündigen. Heute müsste ich gleich zwei oder drei Namen präsentieren, um das hinzukriegen. Es ist einfach so: Die Popstars des Jazz gibt es nicht mehr. Das letzte Doppelticket, das uns das Stravinski füllte, waren Marcus Miller und Wayne Shorter. Heute müsste ich die Versammlung der All-Stars bringen, um das zu schaffen.

Deshalb wird das Auditorium Stravinski dieses Jahr von Jazz-unverdächtigen Grössen wie Green Day, Kraftwerk oder Deep Purple bespielt.

Jaton: So ist es.

Ist da das Wort «Jazz» im Festivalnamen überhaupt noch angebracht?

Jaton: Ja. Um die Jazz-DNA zu beleben, führen wir dieses Jahr als neue Kategorie den Jazz Club mit seinen 350 Plätzen ein. Eine der Herausforderungen in Montreux ist das Yield-Management. Ich muss eine Halle klug konfigurieren, muss mir Gedanken machen, welche Preiskategorien ich wo setze, wie viele Steh- und Sitzplätze einen optimalen Ertragsmix ergeben. Wie im Airline-Geschäft, wo man sich den optimalen Mix aus First-, Business- und Economy-Sitzen überlegen muss. Man muss, auch aufgrund der wettertechnischen Unsicherheiten, immer auch ein Stück weit Risikomanager sein.

Jenny: Yield-Management gibts bei uns nicht. Was es gibt: einen Preis für einen Abend – fertig.

Die Künstler als Fans der Genfer Riviera, die Stars als eine grosse Familie – wie viel ist heute noch dran an dieser Montreux-Legende?

Jaton: Bezogen auf die Künstler selber hat das immer noch seine Richtigkeit. Aber weil heute weitgehend Manager und Agenten übernommen haben, wird das nicht mehr so gelebt wie früher. Die Ausnahme ist hier Prince, der wirklich für sich selber entscheidet. Ansonsten aber ist die Welt seit dem Aufkommen der Online-Kanäle nicht mehr die gleiche: Früher gingen Künstler auf Tour, um ihr Album zu promoten. Heute gehen sie auf Tour, um damit Geld zu verdienen.

St. Moritz arbeitet mit 53 Partnern und Sponsoren, Montreux mit 77. Wie viel Ihrer Zeit stecken Sie ins Fundraising?

Jenny: Bei mir sind es leider über 50 Prozent. Dennoch: Ich mag die Arbeit eigentlich, da ich es oft mit sehr interessanten Menschen zu tun bekomme. Das kann auch beschwingend sein.

Jaton: Für Sponsoren ist bei uns die Montreux Jazz Festival Foundation zuständig. Zwar führe ich diese als CEO, aber durch die Mitarbeit anderer Profis beträgt der Aufwand für die Sponsorensuche weniger als 20 Prozent meiner Zeit.

Woher kommen die Einnahmen in Montreux?

Jaton: Food and Beverage ist mit 30 Prozent sehr wichtig. 45 Prozent kommen aus Ticketeinnahmen, 25 Prozent aus dem Sponsoring. TV-Rechte und Merchandising bringen noch einmal etwa eine Million.

Eine Million aus dem Merchandising – damit könnte man glatt Ihr Festival bestreiten, Herr Jenny. Neidisch?

Jenny: Nein, das bin ich nicht. Wir haben es hier einfach mit zwei Festivals in völlig unterschiedlichen Dimensionen zu tun – und das ist auch gut so. Bei uns stammen 40 Prozent der Einnahmen aus dem Sponsoring, 20 Prozent aus dem Ticketverkauf, 15 Prozent von der öffentlichen Hand sowie ein ganz wichtiger Rest von den 99 Mitgliedern des Gönnerclubs «Amis da Festival da Jazz». Der Bereich Food and Beverage trägt dazu bei, dass wir unsere Künstler und das gesamte Festivalteam im Kulm Hotel unterbringen können – das ist sehr viel wert.

Jaton: Ich sollte neidisch sein: Christian schafft es oft, die Hälfte seiner Konzerte mit «sold out» zu melden. Ich schaffe das nur bei einem Drittel.

Nun, da Sie sich kennen: Wie wäre es im Sinne einer Jobrotation, für das Festival 2014 einmal Ihre Aufgaben zu tauschen?

Jenny: Gute Idee! Ich müsste nur mein Französisch verbessern, den Rest würde ich schon hinkriegen.

Jaton: Das würde ich eigentlich auch ganz gerne einmal tun. Das Problem ist, dass wir nicht im gleichen Zeitrahmen laufen. Christians Festival dauert bis August – und im September 2014 müsste ich schon wieder Montreux 2015 vorbereiten. Da wäre die Entspannungsphase zu kurz.

Christian Jott Jenny (34): Der Zürcher Kosmopolit ist neben der Rolle als Festivalgründer als klassischer Sänger unterwegs, etwa in der Figur des Gesellschafts-Tenors Leo Wundergut.

Mathieu Jaton (38): Der Absolvent der Ecole hotelière de Lausanne heuerte 1999 beim Montreux Jazz Festival an, 2008 wurde er CEO. Nach dem Tod des Gründers Claude Nobs Anfang 2013 übernahm Jaton die Festivalleitung.

Andreas Güntert
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