In den Ländern der OECDhaben die medizinischen Fortschritte und technologischen Innovationen des 20. Jahrhunderts die Lebensqualität und Lebenserwartung dramatisch erhöht. Fälle von verbreiteten Infektionskrankheiten oder Kindersterblichkeit sind in den USA geradezu inexistent. Zahlreiche frühe Innovationen wie der Gebrauch von Antibiotika kommen bereits weltweit zum Einsatz. Doch fehlende Gelder und Infrastruktur verhindern den Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung, der nötig ist, um gewisse Gesundheitsprobleme weltweit zu eliminieren oder zu reduzieren.

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In Ruanda gingen im Jahr 2010 erschütternde 63 Prozent aller Todesfälle auf das Konto von übertragbaren Krankheiten, mütterlichen, perinatalen oder ernährungsbezogenen Gesundheitsproblemen. In den USA waren diese oftmals einfach zu verhindernden Probleme für lediglich sechs Prozent aller Todesfälleverantwortlich, in der Schweiz gar nur für vier Prozent.

Nachdem wir im Zeitalter der datengetriebenen digitalen Gesundheitangekommen sind, sinkt die Schwelle für den Zugang zu Konsumentengesundheitslösungen zusehends. Einwohner von Ländern wie den USA können Diabetes in der Cloud behandeln, den Herzschlag mit einem tragbaren Sensor überwachen oder gar ein EKG mit einem Smartphone-App durchführen. Die Sequenzierung eines menschlichen Genoms, welche erstaunliche Erkenntnisse über die Prävention von Krankheiten und zielgerichtete Therapien ermöglicht, dauert nur wenige Tage und kostet weniger als 5000 Dollar. Das Do-It-Yourself DNA-Kit von 23andmeist gar für nur 99 Dollar erhältlich. Gedankengesteuerte künstliche Gliedmassensind bereits verfügbar und wir stehen kurz davor, dreidimensionale menschliche Organe zu drucken.

Angesichts des überragenden technologischen Enthusiasmus für digitale und auf Konsumentengesundheit fokussierte Lösungen und technologie-gestützte medizinische Durchbrüche, insbesondere im Silicon Valley, stellt sich die Frage, ob diese Lösungen auch für die Herausforderungen der globalen Gesundheit taugen.


Bildquelle : California Health Information Technology

Die Rolle der Technologie in der globalen Gesundheit

Im Juni 2013 hat swissnex im Rahmen der Serie World Economic Forum Debate gemeinsam mit der Universität Genf einen Anlass über die Zukunft der globalen Gesundheitslandschaftdurchgeführt. In einer lebhaften Debatte über die weltweite Zunahme nicht übertragbarer Krankheiten sowie über unterschiedliche Modelle universeller Gesundheitsversicherung hat sich rasch die Rolle der Technologie in der globalen Gesundheit als entscheidende Komponente in der Diskussion herauskristallisiert.

Die Bilanz war nuanciert. Technologie kann echte Lösungen für traditionellerweise teure und langwierige Behandlungen bieten. Während dies in vielen Fällen relevant ist – etwa der Verbesserung der Müttergesundheit in ländlichen Gebieten Indiens, dem Aufbau eines nationalen offenen Gesundheitsaustauschs in Ruanda oder der Eindämmung von HIV/Aids in Malawi – stellen sich an der Schnittstelle von technologischer Innovation und globaler Gesundheit neue Herausforderungen.

Dr. Caricia Catalani von der School of Public Health an der University of California in Berkeley, leitende Forschungsbeauftragte bei der Organisation Innovative Support to Emergencies, Diseases and Disaster (InSTEDD), identifizierte drei Punkte, die es im Zusammenhang mit Technologie und globaler Gesundheit zu bedenken gilt:

1.     Technologie muss ganzheitlich sein und „Daten-Silos“ vermeiden

2.     Die Auswirkungen der Technologie auf Gesundheitssysteme müssen messbar sein

3.     Technologie muss gerecht und benutzerfokussiert sein.

 


Quelle: Youtube

Nach Ansicht von Catalani bedeuten beschränkte Mittel in der öffentlichen Gesundheitsversorgung, dass unterliegende oder beisteuernde Gesundheitsprobleme oftmals nicht zu lösen sind, oder jedenfalls nicht so leicht wie in San Francisco oder Zürich.

Oft fehlt es an der Infrastruktur, um neue Technologien zu unterstützen. In Malawi beispielsweise hatte UNICEF sich vom Einsatzvon Smartphones und Tablets bessere und zeitechte Daten über HIV/Aids erhofft. Es stellte sich jedoch heraus, dass diese Technologien zu teuer und auf noch nicht vorhandene Datennetzwerke angewiesen sind.

In der Tat ist der Nutzen von auf Smartphones basierten Glukose-Monitoren, dank welchen Diabetiker in OECD-Ländern ein einfacheres Leben führen können, in ländlichen Gegenden von Entwicklungsländern, wo viele Menschen kein Smartphone haben, nicht über Internet mit einem Arzt kommunizieren oder erst gar keine Anleitungen lesen können, praktisch gleich Null.

In anderen Fällen mögen Landkliniken zwar über zeitgerechte Maschinen, Instrumente und Medikamente verfügen. Doch wenn Dorfbewohner einen mehrtägigen Fussmarsch auf sich nehmen müssen, um die Klinik zu erreichen, oder es an Spitalbetten und ausgebildetem Gesundheitspersonal mangelt, verliert die neuste Technologie jegliche Relevanz.

Innovation bedeutet jedoch nicht zwingend, neue Technologien zu kreieren oder zu übernehmen. Vielmehr geht es auch darum, neue und bessere Gebrauchsweisen für bereits existierende Technologien zu finden.

Innovation heisst Technologie klug nutzen

Im Fall des HIV/Aids-Projekts von UNICEF in Malawi erwiesen sich einfache, auf Kurznachrichten beruhende Lösungen als erstaunlich effiziente und effektive Ressource. RapidSMS, wie sich das Werkzeug nennt, ist ein kostenloses Open-Source-System, das von UNICEF zum dynamischen Sammeln von Daten, zur logistischen Koordination und für Kommunikationszwecke zur Verfügung gestellt wird und sich grundlegende SMS-Mobiltelefon-Technologie zunutze macht.

RapidSMS hat sich auch in Ruanda bewährt. Nach einem Jahrzehnt des Völkermords und Kriegs ist es der Regierung von Ruanda dank der Hilfe internationaler Organisationen und privater Akteure gelungen, von Grund auf ein einfaches aber funktionierendes Gesundheitssystem zu errichten, das auf einem nationalen offenen Informationsaustausch basiert, der auf RapidSMS erstellt wurde.

Dieser innovative Gebrauch von SMS hat buchstäblich Leben gerettet: Die Müttergesundheit hat sich dramatisch verbessert und das Land wird inzwischen, bei Gesundheitsausgaben von lediglich 63 Dollar pro Kopf, als Wunderkind der Gesundheitsversorgunggehandelt.

Im ländlichen Indien wiederum zeitigen mobile Gesundheitstechnologien – oder mHealth –   Resultate. Medic Mobile, ein in San Francisco beheimatetes Startup-Unternehmen im Sektor Global Health Technology, setzt dort einfache Mobiltelefone und SMS-basierte Technologie ein, um Kliniken und lokales Gesundheitspersonal mit Patienten zu vernetzen und wertvolle Informationen zu sammeln.

Indem sie die in dem Gebiet verfügbare grundlegende Mobilfunkinfrastruktur nutzt, trägt die Firma dazu bei, Lücken in der Kommunikation mit den lokalen Gesundheitsarbeitern zu schliessen und die Qualität der Versorgung sowie den Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen zu verbessern.


Bildquelle : Medic Mobile

Im Rahmen des swissnex-Anlasses konnte Dr. Catalani von einem weiteren Erfolg im ländlichen Indien berichten: In abgelegenen Regionen ohne Ressourcen teilten sich schwangere Frauen, von denen einige des Lesens und Schreibens unkundig waren, ein Mobiltelefon mit einem Video über grundlegende Hygiene sowie anderen Tipps für Schwangerschaft und Niederkunft.

Solche Beispiele innovativen Gebrauchs zeigen das Potenzial von Technologie auf, um spezifische globale Gesundheitsprobleme anzugehen. Die klügsten Applikationen in der globalen Gesundheit beziehen jedoch auch kulturelle Faktoren in die Rechnung mit ein. So erklärt Jaspal Sandhu von der Berkeley School of Public Health in einem kürzlich in Fast Companyerschienenen Artikeldie eminente Bedeutung von Design, das sich nach menschlichen Bedürfnissen richtet. Er erwähnt als Beispiel die gescheiterten Bemühungen des World Food Program, dem Mangel an Mikronährstoffen in der Bevölkerung des Flüchtlingscamps Kakuma in Kenya zu begegnen. Nur ein Drittel der Bewohner nahm die kostenlosen Vitaminbeutel entgegen, da deren Design Kondomverpackungen ähnelte und deshalb peinliche Assoziationen weckte. Dies ist eine Erinnerung daran, dass brauchbare Lösungen nur dann gefunden werden können, wenn die Bedürfnisse der Verbraucher miteinbezogen werden.


Stanford d.school’s Visualisierung des sogenannten „Design Thinking Process“

Innovation, die nach oben sickert

Globale Gesundheit besteht nicht in einem Vakuum, sondern ist eng an ökonomische, ökologische und soziale Systeme geknüpft. Natürlich kann Technologie auf Gesundheitsprobleme angewendet werden. Doch um die gewünschten Effekte zu erzielen, ist Verständnis der Bedingungen vor Ort sowie Flexibilität im Umgang mit ihnen unabdingbar, seien es gesellschaftliche und kulturelle Faktoren oder grundlegende Infrastrukturvoraussetzungen.

Wie Atul Gawande kürzlich in einem Artikel im New Yorkererklärt hat, verbreitet sich Innovation am schnellsten, wenn Menschen vor Ort miteinander kommunizieren. Innovation ist persönlich. Im Gesundheitsbereich geschieht Innovation oft an der Peripherie, wo spezifische lokale Probleme zu spezifischen lokalen – und dadurch passenderen und nachhaltigeren – Lösungen führen. Die Komplexität globaler Gesundheit unterstreicht auf erstklassige Weise die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Verständnisses lokaler Faktoren sowie die Ineffizienz des Ansatzes, ein Problem mit universell angewendeter Technologie von oben nach unten zu lösen.

Um wirklich bedeutungsvolle Auswirkungen auf die Gesundheit zu haben, muss Innovation nach oben sickern, nicht nach unten.

 

* Christian Simm ist Gründer und CEO von swissnex San Francisco.

Mitarbeit : Emina Reissinger & Ramona Krucker.